Wenn die Weltwirtschaft schwächelt, kann die deutsche nicht stark sein
Nach einer Zwischenerholung im Sommer sind der ifo Geschäftsklimaindex und seine Subindices Geschäftserwartungen und Geschäftslage im November jeweils zum dritten Mal in Folge gefallen und haben Abwärtstrends etabliert.
Neben dem Brexit und der italienischen Schuldenfrage hängt vor allem das Damoklesschwert der US-chinesischen Zolldiskussion über der exportlastigen deutschen Wirtschaft. Da China ein neuralgischer Punkt für die Weltkonjunktur ist, schlägt sich die verhaltene chinesische Industriestimmung naturgemäß in schwächeren deutschen ifo Exporterwartungen nieder.
Die rückläufigen deutschen Konjunkturerwartungen für die nächsten sechs Monate sind nicht nur auf das Verarbeitende Gewerbe beschränkt. Auch der Handel sieht mit Skepsis in die Zukunft. Insbesondere der Großhandel fürchtet neben der internationalen Zolldiskussion auch Verwerfungen durch einen No Deal-Brexit, der Export- und Importwarenströme zwischen Großbritannien und dem Kontinent behindern würde. Immerhin zeigt sich der Dienstleistungssektor trotz Abschwächung in vergleichsweise robuster Verfassung.
In der gesamten Eurozone hat sich ein Stimmungsabschwung in Industrie und Dienstleistungsgewerbe fest etabliert.
Die ifo Konjunkturmatrix für Deutschland, die Geschäftslage und -erwartungen zueinander in Beziehung setzt, deutet in der Tat auf eine gebremste Wachstumsdynamik hin. Noch jedoch befindet sich die deutsche Wirtschaft in der konjunkturellen Zyklusphase "Boom". Noch ist von Rezession nicht die Rede.
Aktienfundamentalismus mit Schlagseite
Da nach Eintrübung der Konjunkturstimmung mit einer Verzögerung von sechs Monaten typischerweise nachgebende Unternehmensgewinne folgen, gerät der Ertragstrend deutscher Unternehmen zunächst weiter unter Druck.
Auch damit ist Deutschland nicht allein. Das Gewinnwachstum geht auch in der Eurozone und in den Schwellenländern zurück. Vergleichsweise stabil sind die Gewinne in den USA, doch dürften selbst sie ihren Zenit überschritten haben. Aufgrund des Handelsstreits sprechen vereinzelte US-Unternehmen bereits von verhalteneren Geschäftsperspektiven, siehe General Motors.
Der Zinsrealismus ist in der Chefetage der Fed angekommen
Doch wo die konjunkturelle Not am größten, da sind die Notenbank am nächsten. Die selbst in den USA stockenden Konjunkturperspektiven haben jetzt auch den US-Notenbankpräsident Powell und nicht nur seine Beisitzer bewogen, sanftere Zinstöne anzuschlagen. Laut Powell liegt der US-Leitzins nur noch knapp unter dem für die Wirtschaft neutralen Niveau, bei dem sich Risiken der konjunkturellen Überhitzung und des wirtschaftlichen Abschwungs ausgleichen. Solche Aussagen lassen aufhorchen, waren doch die amerikanischen Leitzinsen laut Fed noch Anfang Oktober weit entfernt von jeglicher Neutralität und sollte insofern der Zinserhöhungskurs bis 2020 fortgesetzt werden.
Mit Powells Aussage, dass sich "die Dinge oft anders als die Prognosen entwickeln" könnte die Fed ab 2019 sogar komplett auf Zinserhöhungen verzichten. Die Terminmärkte erwarten bereits nur noch eine Zinserhöhung im kommenden Jahr. Korrespondierend haben sich auch die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen auf den niedrigsten Stand seit Mitte September zurückgebildet. Zins- und Renditeerhöhungsängste haben als maßgebliche Risikofaktoren für Aktien ausgedient.
Auf Seite 2: Marktstimmung - Wie stark sind die Friedensbewegungen an den Kriegsfronten der Aktienmärkte?
Marktstimmung - Wie stark sind die Friedensbewegungen an den Kriegsfronten der Aktienmärkte?
Auf dem bevorstehenden G20-Gipfel in Buenos Aires ist mit Lösungen im US-chinesischen Handelsstreit noch nicht zu rechnen, maximal mit einem Waffenstillstand. Trump setzt zunächst weiter auf Zeitgewinn. Er will Peking angesichts des Endes der chinesischen Superwachstumsraten und zunehmenden Exporteintrübungen mürbe machen, um einen noch besseren Handels-Deal mit China herauszuschlagen. Dazu drohte er in seiner typischen Verhandlungs-Manier neben der Erhöhung bestehender Zölle von 10 auf 25 Prozent zum Jahreswechsel erneut mit der Verzollung aller Warenimporte aus China.
Hinter Trumps sturer und vermeintlich starker Fassade gibt es aber nicht nur blühende Landschaften. Die Grenzen seiner "America First"-Politik zeigen sich bereits. Statt des versprochenen Jobwunders in strukturschwachen US-Regionen kündigte im Oktober zunächst Ford und nun GM als größter US-Autohersteller Werksschließungen und massive Stellenstreichungen an. Ohne es explizit zu benennen, spielen dabei auch importzollbedingt steigende Kosten für Stahl und Aluminium bei gleichzeitig sinkender Nachfrage aus China, also GMs größtem Absatzmarkt, eine Rolle. Die Kraft des wirtschaftlich Faktischen legt früher oder später ein gesichtswahrendes Handelsabkommen zwischen den USA und China nahe. Die weltwirtschaftliche Stimmung würde schlagartig besser, die Gewinnerwartungen der Unternehmen stiegen und der Aktienmarkt entkämen endlich aus seinem ärgsten Schwitzkasten.
Dagegen gibt es bereits Bewegung an der europäischen Polit-Krisenfront. Nachdem die EU dem Brexit-Abkommen zugestimmt hat, müssen nun die Abgeordneten im Londoner Parlament durch Billigung entscheiden, ob Großbritannien wirtschaftlich stabilisiert oder durch Ablehnung - wie es die Bank of England dann voraussagt - in schwere Rezessionsjahre geht. Bis zur Abstimmung am 11. Dezember kann man hier und heute nur Weisheit wünschen. Sollte sich der Wahnsinn bewahrheiten, wird die EZB ihr Scherflein zu der kontinentalen Wirtschaftsstabilisierung beitragen.
Immerhin sorgen zwischenzeitlich versöhnlichere Töne im Schuldenstreit der italienischen Regierung mit der EU für Entspannung am italienischen Anleihemarkt, der bei weiter steigenden Kreditzinsen die Finanzierung des italienischen Schuldenbergs unmöglich, aber eine italienische Schuldenkrise mit europäischem Streueffekt möglich macht.
Auf in Aussicht gestellte Senkungen des italienischen Haushaltsdefizits für 2019 von 2,4 auf 2,2, vielleicht sogar 2,0 Prozent hat die EU bereits mit der Verzögerung ihres Defizitverfahrens gegen das Land reagiert. Es tut sich was, um die Eurosklerose zu verhindern.
Die militärische Eskalation im Asowschen Meer zwischen Russland und der Ukraine taugt noch nicht zur weiteren Verunsicherung der Aktienmärkte, die sich seit der Krim-Krise 2014 ein dickes Fell zugelegt haben.
Laut Market Risk Indicator der Bank of America Merrill Lynch - er misst Erwartungen am Terminmarkt bezüglich Kursschwankungen an den globalen Aktien-, Währungs- und Rohstoffmärkten und deutet bei Werten über null auf zunehmende Marktrisiken und bei Werten unter null auf Risikoentspannung hin - ist die niedergeschlagene Stimmung seit Oktober im Trend zwar gestiegen. Doch hat sie kein neues Jahreshoch mehr ausgebildet und zuletzt sogar wieder etwas nachgegeben. Insgesamt liegt der aktuelle Risikowert deutlich im negativen Terrain und damit weit weg von der Untergangsstimmung im Jahr 2016.
Die Investitionsquote der US-Fondsmanager liegt derzeit auf einem extrem niedrigen Niveau. Immerhin signalisiert ihre rückläufige Absicherungsneigung abnehmenden Zukunftspessimismus. Für Überzeugungskäufe ist es zwar noch zu früh. Dazu sind die Stimmungsaufhellungen noch zu gering ausgeprägt. Da es aber schwer ist, auf dem absoluten Tiefpunkt wieder einzusteigen, sollten sich langfristig orientierte Anleger mit vorsichtigen Käufen an den Markt zurücktasten, um bei politischen und fundamentalen Lichtblicken dem Aktienmarkt nicht hinterherzulaufen. Königsdisziplin bleiben regelmäßige Aktiensparpläne, um bei zwischenzeitlichen Kursrücksetzern mehr Aktienanteile für die Anlagebeträge zu erhalten.