Abgesehen davon sei für viele europäische Staaten am Ostrand der Nato bereits die Intervention Russlands 2008 in Georgien ein Weckruf gewesen. "Das hat bei all denjenigen, die eine Grenze zu Russland haben, deutliche Warnsignale aufleuchten lassen", sagt der Rüstungsexperte Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. So rüste Polen bereits seit einiger Zeit auf. Inzwischen verfüge das Land über knapp 900 Kampfpanzer, bis 2030 sollten es über 1000 sein. Inzwischen habe dort wieder die Landesverteidigung Priorität, nachdem sich das Land zunächst wie viele westliche Staaten vor allem auf Auslandseinsätze eingestellt habe.
"Ich würde davon ausgehen, dass die kleineren Staaten und die mit einer direkten Grenze zu Russland nachziehen werden, soweit sie das können", sagt Mölling. "Bulgarien und Rumänien beispielsweise aber haben ohnehin große soziale Problem und könnten den Kauf neuer Panzer wohl nur schwer legitimieren." Mit zunehmender Sorge schauten auch die Skandinavier auf ihren mächtigen Nachbarn im Osten. So hätten russische Flugzeuge im vergangenen Jahr einen Bombenangriff auf Stockholm simuliert. Nun heize die Krim-Krise die Debatte über einen Nato-Beitritt Schwedens weiter an. All dies genüge jedoch nicht, um das Rüstungsgeschäft massiv anzukurbeln. "Wir sitzen alle auf riesigen Schuldenbergen, und jetzt wollen wir ein massives Rüstungsprogramm auflegen? Woher soll die Kohle kommen?", fragt der Experte.
EXPERTEN ERWARTEN STÄRKERE US-MILITÄRPRÄSENZ IM OSTEN
Tatsächlich sind die Rüstungsetats der EU-Staaten seit 2008 um etwa 15 Prozent geschrumpft. Russland dagegen hat seine Wehrausgaben seither um 30 Prozent gesteigert, wie aus einem Bericht des Londoner Centre for European Reform hervorgeht. Die USA haben Zehntausende ihrer rund 300.000 Soldaten heimgeholt, die während des Kalten Krieges in Europa stationiert waren. Momentan leben noch etwa 80.000 amerikanische Soldaten und zivile Angestellte hier. Trotz der Krim-Krise rechnen Experten nun jedoch nicht mit einer Trendwende: Sie prognostizieren höchstens bescheidene Mehrausgaben in den Wehretats. Dazu dürfte eine verstärkte US-Militärpräsenz in den Staaten am Ostrand der Nato kommen.
Schon vor einigen Tagen hatten die USA Kampfjets nach Litauen verlegt und damit eine Botschaft in Richtung Moskau geschickt, dass die Nato ihre Verbündeten im Baltikum nicht im Stich lassen wird. Die Baltenstaaten gelten als empfindlichste Flanke der Militärallianz. Wie in der Ukraine leben hier große russische Minderheiten. Die nach Litauen entsandten US-Kampfjets sind bisher im britischen Lakenheath stationiert. Experten hatten erwartet, dass ihr Geschwader an den Pazifik verlegt werden wird, da die USA ihr Augenmerk zuletzt verstärkt auf Asien gerichtet hatten. Dies erscheint nun unwahrscheinlich.
FRANZÖSISCHE STAATSWERFT KÖNNTE PROBLEME BEKOMMEN
Die Nato wiederum könnte gestärkt aus der Krim-Krise hervorgehen: Der Konflikt verleiht der Militärallianz mit dem Ende des Afghanistan-Einsatzes eine neue Daseinsberechtigung. Beim Nato-Gipfel im September dürften die Staats- und Regierungschefs auch darüber beraten, welche Konsequenzen das Bündnis ziehen soll.
Und wenn die deutsche Rüstungsindustrie auch keinen Nutzen aus der Krise ziehen dürfte, so hält sich zumindest der Schaden in Grenzen: Abgesehen von der inzwischen auf Eis gelegten Lieferung eines 100 Millionen Euro teueren Gefechtsübungszentrums von Rheinmetall an Russland gibt es kaum Rüstungsgeschäfte zwischen den beiden Staaten. Die Russen seien zum großen Teil Selbstversorger im Rüstungssektor, sagt Mölling. Immerhin rangiert das Land bei den Exporteuren von Kriegswaffen nach den USA an zweiter Stelle weltweit. Den dritten Platz nimmt mit großem Abstand Deutschland ein.
"Das einzige, was wir in den letzten zehn Jahren an die Russen verkauft haben, waren vier große Dieselmotoren für Schiffe", erklärt Mölling. "Russland ist kein Rüstungspartner - weder für uns noch für sonst jemand in Europa."
Das einzige europäische Land mit einem größeren Rüstungsvertrag mit Russland sei Frankreich, sagt der Experte. Russland habe für über eine Milliarde Euro drei Hubschrauberträger bei der französischen Staatswerft DCNS bestellt. Der Betrieb lebe allein vom militärischen Schiffsbau und sei auf den Export angewiesen. "Wenn der Deal platzt, dann steckt die Staatswerft wahrscheinlich in erheblichen Problemen", prognostiziert Mölling. "Die Frage ist jetzt: Wie kann man den Franzosen in dieser Situation helfen, damit sie nicht in die Verlegenheit kommen, diese Schiffe trotzdem liefern zu müssen?"
Reuters