Unter dem Druck des Ölpreisverfalls stemmt Shell die größte Übernahme in der Energiebranche seit mehr als zehn Jahren und kauft für umgerechnet 64 Milliarden Euro den britischen Gasproduzenten BG. Die Führungen beider Konzerne stimmten dem Geschäft am Mittwoch zu. Der britisch-niederländische Energiegigant will damit zum global führenden Anbieter von Flüssiggas aufsteigen und den Rückstand zum US-Ölweltmarktführer ExxonMobil verringern. Wegen der großen Präsenz beider Unternehmen in der Europäischen Union, in Australien, Brasilien und China rechnet Shell-Chef Ben van Beurden allerdings mit intensiven Verhandlungen mit den Wettbewerbshütern.

Es ist die erste Großfusion in der Branche seit den Zeiten um die Jahrtausendwende, als sich die Energiekonzerne wegen sinkender Preise in ähnlichen Schwierigkeiten befanden. Damals kaufte der britische Ölmulti BP die amerikanischen Rivalen Amoco und Arco. Exxon übernahm Mobil, und Chevron schloss sich mit Texaco zusammen. Nun herrscht ein vergleichbarer Druck. Seit dem vergangenen Sommer haben sich die Rohölpreise halbiert. Gründe dafür sind die hohen Fördermengen, für die es angesichts der schwächelnden Weltwirtschaft nicht genügend Abnehmer gibt, sowie der Schiefergasboom in den USA. Auch der Gaspreis, der sich am Ölpreis orientiert, ist im Zuge dessen kräftig gesunken.

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BG IST SHELL AUFSCHLAG VON 50 PROZENT WERT

Um gegenzusteuern lässt sich Royal Dutch Shell die Übernahme der BG Group, die einst aus dem Konzern British Gas hervorging, einen Aufschlag von gut 50 Prozent auf den durchschnittlichen BG-Aktienkurs der vergangenen drei Monate kosten. Bezahlt wird in bar und Aktien. "Wir haben eine Reihe von Möglichkeiten geprüft, BG stand aber immer ganz oben auf unserer Liste", erklärte van Beurden. Die Fusion verbinde nun zwei Unternehmen mit einem "starken Portfolio" bei der Öl- und Gasförderung auf hoher See sowie der Liefer-Infrastruktur. Experten sehen dies ähnlich: "Der Deal dürfte ausgezeichnet zu Shell passen", schrieben die Analysten vom Brokerhaus Jefferies. Allerdings müssten die Anleger noch überzeugt und um Geduld gebeten werden, weil der Schuldenabbau wohl künftig eine größere Priorität als die Ausschüttung an die Aktionäre haben dürfte.

Shell fallen mit BG milliardenschwere Projekte in Brasilien, Ostafrika, Australien, Kasachstan und Ägypten in die Hände. Darunter sind auch einige der weltweit ambitioniertesten Projekte mit Flüssiggas, das in der Branche als Zukunftsgeschäft gilt. Vor allem europäische Abnehmer erhoffen sich angesichts des Ukraine-Konflikts davon eine größere Unabhängigkeit vom Erdgas-Lieferanten Russland, der sich auf gigantische Pipeline-Netze stützt. Flüssiggas kann dagegen mit Schiffen, der Bahn und per Lkw transportiert werden und damit den Markt umkrempeln.

Das Geschäft des deutschen Gasespezialisten Linde überschneidet sich kaum mit dem von Shell oder BG. Die Münchner bauen zwar für Förder- und Handelsunternehmen Anlangen zur Verflüssigung von Erdgas - sogenannte LNG-Terminals - sowie zur Aufbereitung, sind aber selbst nicht im Großhandel von Erdgas aktiv. Der Konzern ist eher auf Prozessgase für Industrie und Medizin spezialisiert. In seiner Anlagenbausparte machte Linde zuletzt einen Jahresumsatz von 3,1 Milliarden Euro.

Bei Shell soll der BG-Kauf die Öl- und Gas-Reserven um 25 Prozent steigern. Das Management begründet den Schritt aber auch mit Einsparungen: Pro Jahr soll er Synergien von rund 3,4 Milliarden Euro vor Steuern bringen. Die Megafusion wird zudem den Verkauf zusätzlicher Geschäftsbereiche nach sich ziehen: Shell kündigte an, sich zwischen 2016 und 2018 von Konzernteilen und Beteiligungen im Volumen von knapp 28 Milliarden Euro zu trennen. Im Januar hatte der Ölmulti die geplanten Verkäufe pro Jahr noch mit rund 4,5 bis 5,5 Milliarden Euro beziffert.

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BG GALT SCHON LÄNGER ALS ÜBERNAHMEKANDIDAT

Auch BG stand zuletzt erheblich unter Druck. Schwindende Gasreserven in Ägypten und der niedrige Ölpreis bereiten dem Konzern Probleme. Wegen des Ölpreisverfalls hatte BG 2014 seine Gas-Leitungen in Australien verkauft. Seit Juni 2014 ist der Aktienkurs um fast 28 Prozent gesunken. Nicht zuletzt deswegen galt BG seit längerem als Übernahmekandidat. Gleichwohl hat sich das Unternehmen ehrgeizige Wachstumsziele gesetzt. Am neuen Konzern sollen BG-Aktionäre rund 19 Prozent halten.

BG wurde vor der Fusionsankündigung mit umgerechnet rund 42,5 Milliarden Euro bewertet, Shell bringt 186,5 Milliarden Euro auf die Waage. Ein Zusammenschluss würde den Abstand von Shell zu ExxonMobil verringern, der auf einen Marktwert von gut 330 Milliarden Euro kommt. Bei den Verhandlungen über die gemeinsame Zukunft betraten die Konzerne Neuland, denn sie stützten sich zusammen auf lediglich drei Berater - darunter Bank of America Merrill Lynch und Goldman Sachs.

An der Börse löste der Deal ein geteiltes Echo aus: Die Aussicht auf den kräftigen Aufschlag ließ die BG-Aktien zunächst um knapp 40 Prozent nach oben schnellen, am Nachmittag lagen sie noch rund 32 Prozent im Plus. Shell-Papiere gaben hingegen fast drei Prozent nach. Den europäischen Branchenindex trieb die geplante Fusion auf den höchsten Stand seit sechs Jahren.

Reuters