Doch die EU und die Vereinigten Staaten sind sich nicht einig. US-Präsident Barack Obama steht innenpolitisch unter Druck. Die Republikaner fordern ihn zu Härte gegenüber Moskau auf. In Berlin setzt man hingegen auf Dialog, auch um den eigenen Interessen nicht zu schaden - Deutschland bezieht immerhin ein Drittel seiner gesamten Erdgasimporte aus Russland. Zudem hängen rund 200 000 Arbeitsplätze hierzulande vom Export nach Russland ab. Deutlich schneller und entschiedener als die Politik reagierten zunächst die Investoren. Vergangenen Montag gaben russische Aktien, die zu 70 Prozent von ausländischen Investoren gehalten werden, gleich zwölf Prozent ab. Die Talfahrt vernichtete Vermögenswerte in Höhe von umgerechnet rund 43 Milliarden Euro, das entspricht ungefähr den Kosten für die Winterolympiade in Sotschi. Der Energieriese Gazprom verlor in der Spitze 14 Prozent.
Gleichzeitig rutschte der Rubel im Vergleich zu Euro und Dollar auf ein historisches Tief. Um die Währungsverluste zu stoppen, sah sich Russlands Notenbankchefin Elwira Nabiullina gezwungen, die Zinsen von 5,5 auf sieben Prozent zu erhöhen und für fast neun Milliarden Euro Stützungskäufe zu tätigen. Was die Märkte machen, lässt Putin kalt. Auch von der westlichen Sanktionsrhetorik zeigt sich Russlands starker Mann unbeeindruckt. Er macht den Westen für das "Chaos" in der Ukraine verantwortlich, die neue Regierung in Kiew hält er für illegitim. Sollte es in der Ostukraine - sie ist die wirtschaftliche Basis des Landes - zu Übergriffen auf russische Staatsbürger kommen, will er die Armee in Marsch setzen. "Wir werden nicht zusehen, wie sie verfolgt und vernichtet werden", ließ er die Welt wissen. Bisher sei das aber nicht notwendig, versichert Putin.
Doch die Option bleibt bestehen. Das alarmiert neben Berlin und Washington vor allem die einstigen Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts. "Wir wissen, dass das Raubtier durch Fressen immer noch mehr Appetit bekommt", warnt Polens Außenminister Radoslaw Sikorski.
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Die russische Wirtschaft leidet
Putins außenpolitische Muskelspiele schaden der bereits angeschlagenen Wirtschaft. 2013 legte das Bruttosozialprodukt Russlands gerade mal um 1,4 Prozent zu. Für ein Schwellenland ist das viel zu wenig. Indien und China erzielten deutlich höhere Zuwächse. Und eine konjunkturelle Belebung in Russland ist nicht in Sicht. Bis zum Jahr 2030 werden Zuwachsraten von nur 2,5 Prozent prognostiziert.
Wesentlicher Grund für die Schwäche des flächenmäßig größten Staats der Erde ist die mangelnde Diversifikation der Wirtschaft. Diese fordert Putin zwar immer wieder ein, doch Staatshaushalt und Wachstum hängen immer noch entscheidend vom Öl- und Gasexport ab. "Gerade mal 20 Prozent der russischen Exportgüter basieren auf technologischem Wissen", sagt Ewald Böhlke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Um den Umbau der Wirtschaft voranzubringen, ist Russland eigentlich auf den Westen angewiesen. Doch das hohe Maß an Korruption und die mangelnde Rechtssicherheit schrecken potenzielle Investoren aus dem Ausland ab. "Wer in Russland ein Unternehmen gründet, muss sicher sein, dass er sein Eigentum behalten kann", sagt Böhlke. Putins aggressiver Kurs dürfte die Bereitschaft zu Direktinvestitionen weiter senken. Fraglich auch, ob der für das erste Halbjahr geplante Börsengang der Russland-Tocher von Metro in Moskau stattinden wird.
Die Welt hofft nun auf Entspannung durch Diplomatie. Doch die könnte nur von kurzer Dauer sein. Auch wenn Putin versichert, es sei nicht seine Absicht, die Krim zu annektieren. Über die Zukunft der Halbinsel solle allein die dortige Bevölkerung bestimmen, er werde jedes Ergebnis akzeptieren.
Auf Seite 3: DAX und Dow unter Druck
DAX und Dow unter Druck
Dies sorgte erst mal für Beruhigung an den Finanzmärkten. DAX, Dow Jones sowie die Emerging Markets erholten sich, nachdem sie Anfang der Woche zunächst deutlich unter Druck geraten waren. Nun warten die Investoren die weitere Entwicklung in nervöser Stimmung ab. Doch die geopolitischen Risiken sind durch Putins Beschwichtigungsversuche keineswegs geringer geworden. Das Regionalparlament der Krim hat sich bereits ür den Anschluss an Russland ausgesprochen, am 16. März findet ein Referendum dazu statt. Die Regierung in Kiew hält die Volksbefragung wiederum für nicht vereinbar mit der Verfassung. Eine Abspaltung will sie verhindern - wenn es sein muss auch mit militärische Mitteln.
Dass die Probleme längst nicht gelöst sind und für wie hoch die Gefahr einer Eskalation des Konflikts eingeschätzt wird, dafür ist wiederum die Börse ein Gradmesser. In den vergangenen Tagen waren auch Aktien von Rüstungsunternehmen gefragt. Investoren spekulieren, dass als Folge der Krim-Krise die Verteidigungsausgaben weltweit steigen werden.
Derweil verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage der Ukraine zusehends. Seit Jahresanfang hat die Landeswährung Hrywnja schon um mehr als 20 Prozent abgewertet. Noch dazu hat Gazprom den Preisnachlass für Erdgas von 30 Prozent, den die Ukraine ür die mögliche Mitgliedschaft in der von Putin anvisierten Eurasischen Union zunächst eingeräumt bekommen hatte, nach dem Kurswechsel in Kiew wieder rückgängig gemacht.
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Der Ukraine droht die Pleite
Die Ukraine steht finanziell enorm unter Druck: 2014 müssen Staatsschulden in Höhe von rund acht Milliarden Dollar zurückgezahlt werden.
Dazu kommt, dass sich die Devisenreserven innerhalb von zwei Jahren auf 15 Milliarden Dollar halbiert haben. "Damit lassen sich nur etwa zwei Monate lang Importe bezahlen", sagt Robert Kirchner von der auf osteuropäische Staaten fokussierten Beratungsirma Berlin Economics.
Ohne Kreditunterstützung seitens der EU und der USA steuert das Land, das von der Ratingagentur Standard & Poor’s jüngst auf die sehr schlechte Note "CCC" herabgestuft und mit negativem Ausblick versehen wurde, auf die Zahlungsunähigkeit zu. Die Hilfspakete werden gerade geschnürt. Rund 1,6 Milliarden Euro davon muss Kiew zur Begleichung offener Gasrechnungen an Gazprom überweisen.
Die Mittel aus dem Westen ermöglichen allenfalls eine kurzfristige Stabilisierung. "Um die Wirtschaft, die seit zwei Jahren stagniert, auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu bringen, sind umfassende Infrastrukturinvestitionen, Energieefizienzmaßnahmen und die Steigerung der Wettbewerbsähigkeit notwendig", erläutert Kirchner.
Doch die notwendigen Reformen bedeuten ür die Menschen in der Ukraine, die mit einem jährlichen durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von umgerechnet 2760 Euro auskommen müssen, erst einmal neue Härten. "Um den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen, müssen die Energiekosten drastisch erhöht werden", sagt Kirchner.
Fraglich ist, ob die Bürger der Ukraine das klaglos hinnehmen werden. Die Unterstützung für die neue Regierung droht dann jedenfalls zu schwinden. Und die Frage, ob das Land seine Zukunft im Westen als assoziiertes Mitglied der EU oder doch eher in einem Verbund mit Russland sieht, dürfte die Ukraine erneut vor eine Zerreißprobe stellen. Solange dies nicht endgültig geklärt ist, bleiben die geopolitischen Risiken für die Märkte groß.
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