Sell in May and go away? No way! Zahlreiche Marktexperten rechnen mit einer anhaltenden Aufwärtsbewegung.
Das Börsenbonmot "Sell in May and go away" ist in der Finanzwelt ein Klassiker. Es suggeriert, dass Anleger im Mai ihre Aktien verkaufen und bis zum Herbst aus dem Markt aussteigen sollten, da die Sommermonate historisch schwächere Renditen bringen. Doch in diesem Jahr könnte die Börsenweisheit an Relevanz verlieren, zumal der große Ausverkauf im Frühjahr bereits stattgefunden haben könnte.
Historisch basiert die Börsenweisheit auf der Beobachtung, dass Aktienmärkte in den Sommermonaten (Mai bis Oktober) oft schlechter performen als im Winterhalbjahr. Daten zeigen, dass die Renditen in dieser Phase tendenziell niedriger ausfallen. So hat eine langfristige Erhebung für den S&P 500 von 1950 bis 2024 ergeben, dass im Winterhalbjahr eine durchschnittliche Rendite von 6,5 Prozent erzielt wurde, im Sommer dagegen lediglich ein Plus von 1,5 Prozent – häufig wegen geringerer Handelsvolumina, Urlaubszeiten und saisonaler Unsicherheiten.
Verbesserte Marktbreite als bullisches Signal
Doch das Börsenphänomen ist natürlich kein Naturgesetz. Die aktuelle Marktentwicklung lässt durchaus vermuten, dass 2025 eine Ausnahme sein könnte und im Sommer weitere Kurszuwächse möglich sind, zumal die US-Leitindizes kaum über den Jahresstartniveau notieren.
Ein zentraler Indikator für die Fortsetzung der Aufwärtsbewegung ist die sogenannte Marktbreite („Breadth“). Sie misst, wie viele Aktien an den Kursgewinnen eines Index wie dem S&P 500 beteiligt sind. Eine breite Partizipation gilt als Zeichen einer gesunden Rallye, während eine schmale Marktbreite – getragen von wenigen Titeln – oft ein Warnsignal darstellt.
Laut Adam Turnquist, Technischer Stratege bei LPL Financial, hat sich die Marktbreite seit April deutlich verbessert. Die „Advance-Decline Line“ des S&P 500, ein viel beachteter Indikator, erreichte im Mai 2025 wieder Rekordniveaus, nachdem sie im April auf den niedrigsten Stand seit Januar gefallen war. „Das war ein klarer Hinweis“, erklärt Turnquist gegenüber dem Finanzportal MarketWatch. Die jüngste Erholung sei daher keine kurzlebige „Bärenmarktrallye“, sondern stehe auf solidem Fundament.
Tech-Aktien führen die Rallye an
Turnquist hebt hervor, dass inzwischen 60 Prozent der S&P-500-Aktien in einem Aufwärtstrend liegen – ein deutlicher Anstieg gegenüber nur 30 Prozent Anfang April. Besonders der Technologiesektor, der rund 30 Prozent des Index ausmacht, hat eine beeindruckende Wende vollzogen. Nach einem Einbruch Anfang Mai, als weniger als 10 Prozent der Tech-Aktien im Aufwärtstrend waren, liegt dieser Wert inzwischen bei 88 Prozent. Dieses Comeback gilt als starkes bullisches Signal.
In dieselbe Kerbe schlägt Jay Hatfield, CEO von Infrastructure Capital Advisors. In einem Interview mit The Street betonte er, dass die Märkte hervorragend für eine Fortsetzung der Rallye im Sommer positioniert seien. Er verweist auf die robuste Erholung nach den Unsicherheiten durch die Zollpolitik sowie auf die starke Performance der Technologieaktien als zentrale Treiber. Laut Hatfield schafft die Kombination aus technischer Stärke, positiver Marktstimmung und einer stabilen Binnenkonjunktur ein günstiges Umfeld für weiteres Wachstum – insbesondere in den Sektoren Technologie und zyklische Konsumgüter.
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Auch technische Indikatoren sprechen für eine Rallye
Ein weiteres Signal für eine mögliche Sommerrallye ist der sogenannte Zweig Breadth Thrust (ZBT) – ein seltener technischer Indikator, der Ende April auftrat und in der Finanzszene viel Beachtung fand. Der ZBT signalisiert häufig den Beginn einer nachhaltigen Aufwärtsbewegung. Seither hat sich die Marktbreite weiter verbessert: Zehn der elf Sektoren im S&P 500 schlossen den Mai im Plus ab.
Auch Robert Sluymer, Technischer Stratege bei RBC Wealth Management, hält die Rückkehr der Advance-Decline Line auf Rekordniveau für ein „ermutigendes technisches Ereignis“, das seiner Meinung nach nicht typisch für eine Bärenmarktrallye sei, wie er gegenüber MarketWatch erklärt.
Globale Bestätigung und potenzielle Risiken
Die positive Entwicklung beschränkt sich nicht auf die USA. Sluymer verweist darauf, dass auch internationale Indizes wie der deutsche Dax und der kanadische TSX neue Zyklushochs erreicht haben, ein Hinweis auf eine breitere globale Marktbeteiligung. Dies stützt die These, dass die Rallye über die Sommermonate anhalten könnte – zumindest bis der Markt überkauft ist, was laut Sluymer im Spätsommer oder Herbst der Fall sein könnte.
Dennoch bleiben Risiken bestehen. Die Unsicherheit rund um die Handelspolitik von Präsident Trump – insbesondere die Zollpläne – könnte nach Ablauf der 90-Tage-Pause im August für neue Herausforderungen sorgen. Auch die Überschuldung der USA und die daraus resultierende Schwäche des Dollar schweben wie ein Damoklesschwert über den Märkten. Entsprechend mahnen zahlreiche Stimmen zur Vorsicht – darunter auch JPMorgan-CEO Jamie Dimon, der eine weitere Korrektur im Bereich des Möglichen sieht und vor „außergewöhnlicher Selbstzufriedenheit“ warnt.
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