"Es gibt eindeutig neue Fragen über die Varianten, die wir adressieren müssen. Und eine davon lautet: Brauchen wir neue Impfstoffe?", sagt der Leiter der Impfstoffgruppe der Universität Oxford, Andrew Pollard, dem Radiosender BBC. Die Universität hat zusammen mit AstraZeneca den Covid-19-Impfstoff des britisch-schwedischen Pharmakonzerns entwickelt. "Das Urteil steht noch aus. Aber alle Entwickler bereiten neue Impfstoffe vor. Wenn wir sie brauchen, werden wir sie haben." AstraZeneca, dessen Impfstoff Ende Januar als dritter in der Europäischen Union zugelassen wurde, und die Universität wollen bis zum Herbst einen Impfstoff herstellen, der Schutz vor neuen Varianten bieten soll.

CUREVAC VERBÜNDET SICH MIT GROSSBRITANNIEN


Für die meisten Schlagzeilen sorgte zuletzt in dieser Sache die Tübinger Biotechfirma CureVac. Während andere Hersteller wie BioNTech und Moderna an Curevac vorbeizogen und die ersten erfolgreichen Zulassungen von Covid-19-Impfstoffen in der EU erhielten, befindet sich das Mittel der Tübinger erst seit Dezember in der zulassungsrelevanten letzten Studienphase. Zulassungsanträge stellte Curevac jüngst für das zweite Quartal in Aussicht.

Bei den Impfstoffen der zweiten Generation macht das Unternehmen nun aber Tempo: Vorstandschef Franz-Werner Haas verkündete in der vergangenen Woche gleich zwei Partnerschaften. Sowohl mit dem britischen Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK) als auch mit der britischen Regierung will Curevac bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen Varianten zusammenarbeiten. Vom Vereinigte Königreich erhielt Curevac bereits eine Vorbestellung über 50 Millionen Dosen eines solchen Vakzins, das im Herbst zur Verfügung stehen könnte. Der Impfstoff aus der Kooperation mit GSK könnte 2022 folgen.

Beide Projekte bauen auf dem bestehenden Curevac-Impfstoffkandidaten "CVnCoV" auf. Die Impfstoffe der nächsten Generation sollen für noch nicht geimpfte Menschen genutzt werden oder als Auffrischimpfung, falls die Immunantwort auf eine erste Impfung über die Zeit nachlassen sollte. Impfstoffe auf Basis von Boten-RNA (mRNA) wie die von Curevac, Biontech/Pfizer und Moderna haben den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu traditionellen Vakzinen schnell an neue Varianten angepasst werden können: Nach Einschätzung von Biontech-Chef Ugur Sahin theoretisch innerhalb von sechs Wochen.

IMPFSTOFFE BEI SÜDAFRIKA-VARIANTE ETWAS WENIGER EFFEKTIV


Ersten Studienergebnissen zufolge sollen die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna auch gegen die britische und die südafrikanische Variante schützen. Allerdings büßten beide Mittel bei der südafrikanischen Variante, die derzeit auch in Tirol für Unruhe sorgt, etwas von ihrer Effektivität ein. Auch die Impfstoffkandidaten von Johnson & Johnson und Novavax waren nach jüngsten Studienergebnissen vor allem in den Untersuchungen in Südafrika, wo nahezu alle untersuchten Infektionen auf die neue Variante zurückzuführen waren, weniger effektiv. Gleiches gilt für den AstraZeneca-Impfstoff.

Moderna arbeitet deshalb speziell an einem Auffrischungsimpfstoff gegen die südafrikanische Variante. Es sei "zwingend notwendig, proaktiv zu handeln, solange sich das Virus weiterentwickelt", urteilt Moderna-Chef Stephane Bancel. Pfizer-Forschungschef Mikael Dolsten geht davon aus, dass die mRNA-Impfstoffe, die den menschlichen Zellen die Information zur Bekämpfung von Krankheitserregern vermitteln sollen, eine ausreichende Immunantwort erzeugen, um die Varianten abzuwehren. Daher setzt er auf eine Auffrischungsimpfung statt eines neuen Vakzins. Das Unternehmen will nun prüfen, ob eine dritte Dosis - sechs bis zwölf Monate nach der Erstimpimpfung - die Wirksamkeit auch hinsichtlich der Varianten verlängern und verbessern kann.

Sollten die Impfstoffe gegen neue Varianten nicht wie erhofft wirken, könnte der Kampf gegen das Virus länger und teurer werden, als bisher angenommen. Noch ist "die Situation noch lange nicht unter Kontrolle", warnte RKI-Chef Lothar Wieler vor wenigen Tagen. Das Robert-Koch-Institut zeigte sich vor allem über die britische Variante besorgt. In der Bundesregierung geht man mittlerweile davon aus, dass der Anteil der Mutationen an den Corona-Fällen auf rund 20 Prozent gestiegen ist. Das RKI hatte am Freitag noch von 5,8 Prozent mit Blick auf die britische Variante B.1.1.7 gesprochen. Die neuen Varianten wirkten wie ein "Turbo-Coronavirus", schreibt SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf Twitter. "Damit riskieren wir eine dritte Welle in der Zeit, bevor Menschen unter 80 geimpft werden können."

Und das ist genau der Spagat, vor dem Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Regierungschefs der 16 Länder bei ihren Beratungen am Mittwoch stehen. Merkel sagte in der CDU/CSU-Bundestagsfraktionssitzung am Dienstag, man rechne damit, dass sich der Anteil der Varianten an den Neuinfektionen in Deutschland alle zehn Tage verdoppele. Bund und Länder steuern daher wohl auf eine Verlängerung des Corona-Lockdowns bis Ende Februar zu. "Wir müssen bis zum 1. März warten", sagte Merkel nach Informationen von Reuters aus Teilnehmerkreisen in der Fraktionssitzung.

rtr