Staranalyst Tom Lee bleibt bullisch: Der US-Angriff auf den Iran habe Aktien fürs zweite Halbjahr Rückenwind beschert. Die Fed dürfte sich bewegen.
Es sind Tage, an denen man sich an die alten Marktweisheiten erinnert. „Sell the buildup, buy the invasion“ – verkaufe im Vorfeld, kaufe beim Ereignis. In deutschen Börsenjargon so oft martialisch umschrieben mit: „Kaufen, wenn die Kanonen donnern“.
Für Tom Lee, Chefstratege bei Fundstrat Global Advisors, ist dieser Leitsatz aktueller denn je. Nachdem die USA am Wochenende eine iranische Atomanlage bombardiert haben, rechnete der Markt mit dem Schlimmsten. Doch was folgte, war das Gegenteil: Aktien notierten gestern zu Handelsbeginn leicht im Plus. Als gestern Abend dann die iranische Gegenreaktion ohne nennenswerte Folgen verpuffte, schalteten die Märkte sogar reflexartig in den Rallyemodus, während der Ölpreis deutlich nachgab.
Keine Eskalation, kein Öl-Schock
Für Lee ist das kein Zufall, sondern ein Beweis der Robustheit der Märkte. „Der Angriff war ein klassischer Stresstest“, sagt er im CNBC-Interview, das vor der Vergeltungsaktion des geführt wurde. „Und der Markt hat ihn bestanden.“
Dass der Ölpreis trotz Krise nicht auf über 120 Dollar geschossen war, wie es viele erwartet hätten, ist für Lee ein wichtiges Signal. „Wenn Öl nicht steigt, dann ist auch das Risiko, dass die Straße von Hormus geschlossen wird, begrenzt“, erklärte er. Strategische Überlegungen – auch auf Seiten der Iraner – könnten derzeit eine weitere Eskalation verhindern. Für Investoren bedeutet das: keine unmittelbare Inflationswelle, kein Druck auf die Zentralbanken, keine Zinswende rückwärts.
Gut für Aktien: Die Fed wird „dovish“
Lee geht sogar noch weiter: Die geopolitische Lage könne die US-Notenbank zu einer weicheren Linie zwingen. Schon jetzt sei der Druck auf die Fed spürbar. Bei der letzten Pressekonferenz zielten laut Lee fünf von zehn Journalistenfragen direkt auf die Frage, warum die Fed weiter mit Zinssenkungen zögere.
Gleichzeitig liegt die US-Kerninflation – wenn man sie wie die EZB misst – sogar unter dem Niveau Europas. Und die EZB senkt bereits. „Das ist eine Chance für Aktien“, sagte Lee. Der Spielraum für eine „dovishe“ US-Notenbank wächst, gerade weil Energiepreise stabil bleiben und die tatsächliche Inflation unter den Erwartungen liegt.
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Ja, es gibt Spekulation – aber keine Blase
Auch die zuletzt ausufernden Bewertungen im IPO-Markt breiten Lee noch keine Sorge – Circle wurde gestern in der Spitze mit 65 Milliarden, Coreweave mit fast 90 Milliarden Dollar bewertet, während SPACs ihr Comeback feiern. Für Lee sind das durchaus Signale wachsender Risikofreude, aber keiner Blase.
Die spekulative Dynamik sei derzeit fast ausschließlich bei Retail-Investoren zu beobachten – institutionelle Anleger und vermögende Privatkunden blieben hingegen vorsichtig. Anders als 2021 würden sie aktuell nicht alles blind kaufen. „Es gibt wieder Aktien, die man kaufen kann“, so Lee.
Fundamentale Rückenwinde – trotz Schwäche im Konsum
Was Lee besonders optimistisch stimmt, ist das makroökonomische Umfeld: „Wir haben heute mehr Visibilität als noch vor Monaten – bei Zöllen, Regulierung, Steuern.“ Auch wenn der Konsum schwächelt, bleiben die Unternehmensgewinne stark. Und: Die Erwartungen an die Inflation seien oft deutlich höher als die reale Entwicklung – was für positive Überraschungen sorgen könne.
Seine Schlussfolgerung: „Vielleicht wird das Wachstum schwächer, aber die Gewinne sind besser. Und mit all dem Cash an der Seitenlinie ist weiter Luft nach oben.“ Tom Lees Fazit: Die Märkte haben gelernt, mit geopolitischen Risiken umzugehen. Solange der Ölpreis stabil bleibt, Inflationserwartungen sich entspannen und die Fed zur Taube wird, ist auch in der zweiten Jahreshälfte mit Rückenwind zu rechnen. Für Lee ist daher klar: „Der Markt ist stressresistenter als viele denken. Und das ist die beste Nachricht für Anleger.“
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