Nach einer ersten Zwischenanalyse der entscheidenden Studie sei das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, für geimpfte Studienteilnehmer um mehr als 90 Prozent geringer als ohne Impfung. "Das ist die erste Evidenz, dass Covid-19 durch einen Impfstoff beim Menschen verhindert werden kann", sagte BioNTech-Chef Ugur Sahin zu Reuters.
Allerdings verwiesen sowohl Gesundheitsminister Jens Spahn als auch Wissenschaftsministerin Anja Karliczek auf die nötigen Zulassungen und darauf, dass es bei Impfstoffentwicklungen immer wieder Rückschläge gegeben habe. In der am Montag im Corona-Kabinett besprochenen Impfstrategie der Bundesregierung ist von einer Zulassung frühestens im ersten Quartal 2021 die Rede.
BioNTech und Pfizer sind die weltweit ersten Unternehmen, die erfolgreiche Daten aus der für eine Zulassung entscheidenden Studie mit einem Corona-Impfstoff vorgelegt haben. An den Aktienmärkten sorgte das weltweit für Euphorie. Vor allem die Papiere der von der Pandemie besonders betroffenen Luftfahrt- und Tourismuskonzerne gingen auf Höhenflug, der MSCI-Weltindex markierte ein Rekordhoch. Die Aktien von BioNTech legten in Frankfurt rund 30 Prozent zu, Pfizer gewannen in den USA rund 15 Prozent.
"DIE BESTEN NACHRICHTEN SEIT JANUAR"
"Heute ist ein ganz besonderer Tag für die Wissenschaft und die Menschheit", sagte Pifzer-Chef Albert Bourla. "Wir erreichen diesen wichtigen Meilenstein in unserem Impfstoffprogramm zu einem Zeitpunkt, an dem die Welt einen Impfstoff am dringendsten braucht, mit Infektionszahlen, die neue Höchststände erreichen, Krankenhäuser, die an Kapazitätsgrenzen stoßen und der Wirtschaft, die sich bemüht, wieder zu öffnen."
Wissenschaftler stimmten dem zu. "Die Daten zur Wirksamkeit sind wirklich beeindruckend. Das ist besser als von den meisten von uns erwartet. Ich wäre schon bei einer Effektivität von 70 oder 75 Prozent erfreut", sagte William Schaffner, Experte für Infektionskrankheiten am Vanderbilt Medical Center. "Ehrlich gesagt sind das die besten Nachrichten, die ich seit dem 10. Januar erhalten habe", erklärte der Virologe Florian Krammer von der amerikanischen Icahn School of Medicine.
Andere Experten wiesen aber darauf hin, dass es sich nur um erste Daten von relativ wenigen Fälle handele. "Zusätzliche Daten in den kommenden Wochen und Monaten werden ein klareres Bild über die langfristige Wirksamkeit des Impfstoffs liefern", sagte Azra Ghani, Professor für Epidemiologie am Imperial College in London. BioNTech-Chef Sahin, in dessen Laboren der Impfstoff seine Wurzeln hat, hofft auf einen Impfschutz von mindestens einem Jahr. Noch wisse man das aber nicht.
BUNDESREGIERUNG RECHNET MIT IMPFSTOFF IM ERSTEN QUARTAL
BioNTech und Pfizer planen, noch im November in den USA eine Notfallgenehmigung für den Impfstoff zu beantragen. Wenn genügend Daten zur Impfstoff-Sicherheit vorlägen, womit in der kommenden Woche gerechnet werde, solle der Antrag bald darauf gestellt werden. Bislang seien in der Studie keine ernsten Sicherheitsbedenken aufgekommen. In Europa hatte die europäische Arzneimittelagentur Anfang Oktober den Einreichungsprozess eingeläutet, um eine spätere Zulassung zu beschleunigen.
Spahn sagte, er freue sich, dass gerade ein deutsches Unternehmen so weit sei. Da es aber immer Rückschläge bei der Entwicklung geben könne, rechne man vorsichtiger damit, dass ein Impfstoff erst im ersten Quartal 2021 zur Verfügung stehen werde. Wenn es eine Zulassung in den USA geben sollte, könne er sich nicht vorstellen, dass der zeitliche Abstand für eine Genehmigung in der EU sehr groß werde. Es gelt aber weiter, "keine risikoreichen Abkürzungen zu nehmen", forderte Wissenschaftsministerin Karliczek in der "Rheinischen Post".
Um die Virus-Ausbreitung einzudämmen, müssten zwischen 55 und 65 Prozent der Bevölkerung geimpft werden, sagte Spahn. Dies solle freiwillig erfolgen und kostenlos sein. Kanzlerin Angela Merkel hatte am Wochenende gesagt, Pflegekräfte, Ärzte und Risikogruppen sollten vorrangig geimpft werden, weil es anfangs nicht genügend Impfstoff für die gesamte Bevölkerung gebe.
Zahlreiche Regierungen haben sich bereits Millionen Dosen des BioNTech-Impfstoffs vorab gesichert, darunter die USA, Japan und Großbritannien. Auch die Europäische Kommission hat Sondierungsgespräche über den Kauf von bis zu 300 Millionen Einheiten abgeschlossen. BioNTech und Pfizer erwarten, 2020 weltweit bis zu 50 Millionen Impfstoffdosen herzustellen und 2021 bis zu 1,3 Milliarden. US-Präsident Donald Trump, der einen Impfstoff noch vor den Präsidentschaftswahlen am 3. November in Aussicht gestellt hatte, sprach von "großartigen Nachrichten". Sein Kontrahent Joe Biden, der die Wahl gewann, sagte, die Nachrichten seien "ausgezeichnet", änderten aber nichts an der Tatsache, dass Mundschutz, Abstandhalten und andere Maßnahmen bis weit in das nächste Jahr hinein erforderlich sein würden.
Bislang ist international noch kein Impfstoff gegen das Coronavirus, an dem weltweit mehr als 1,25 Millionen Menschen gestorben sind, auf dem Markt. Ein solcher wird aber als entscheidend angesehen, um die Pandemie zu beenden.
Die vorläufige Analyse der Studie von BioNTech und Pfizer basiert auf 94 von insgesamt 43.538 Studienteilnehmern, die sich infiziert haben. Die Unternehmen schlüsselten nicht genau auf, wie viele der Erkrankten den Impfstoff erhielten oder ein Placebo. Um die Wirksamkeitsrate zu bestätigen, soll die Studie fortgesetzt werden, bis es insgesamt 164 Covid-19-Fälle unter den Teilnehmern gibt. Angesichts des jüngsten Anstiegs der Infektionsraten in den USA könnte diese Zahl bereits Anfang Dezember erreicht werden, sagte Bill Gruber, einer der führenden Impfstoffforscher von Pfizer.
Der Impfstoff basiert auf der so genannten Boten-RNA (mRNA), die den menschlichen Zellen die Information zur Produktion von Proteinen und damit zur Bekämpfung der Krankheitserreger vermitteln soll. Bislang wurde weltweit noch keine Impfung auf Basis dieser neuen Technologie zugelassen. Ein solcher Impfstoff soll schneller in großem Maßstab hergestellt werden können als herkömmliche. Er benötigt aber auch eine deutlich höhere Kühlung, was die Logistik erschwert.
Auf Boten-RNA basiert auch der Impfstoffkandidat des US-Biotechkonzerns Moderna, der neben dem Duo BioNTech/Pfizer und dem britischen AstraZeneca zum Kreis der führenden Unternehmen im Rennen um einem Impfstoff gehört. Moderna will auch noch diesen Monat Daten aus seiner zulassungsrelevanten Studie vorlegen.
rtr