Selbst wenn das am Dienstag auf Grund gelaufene Containerschiff "Ever Green" bald wieder flottgemacht und die wichtige Wasserstraße wieder befahrbar wird, rechnen Logistiker mit wochenlangen Problemen an den deutschen Häfen. Besonders das Geschäft mit Deutschlands wichtigem Handelspartner China dürfte leiden. Das hatte zuletzt merklich angezogen und der exportabhängigen Industrie aus der Corona-Rezession geholfen. Doch ein Großteil der Lieferungen kommt durch den Suez-Kanal.
"Die Störung kommt zu einem schlechten Zeitpunkt", erklärte der Verband der Chemischen Industrie (VCI) am Donnerstag auf Nachfrage. "Die Kapazitätsauslastung in der Chemie ist hoch. Entsprechend stark ist der Bedarf an Lieferungen aus Asien." Die indirekten Effekte dürften noch stärker sein, befürchtet VCI-Chefvolkswirt Henrik Meincke: "Wenn bei unseren industriellen Kunden in Europa die Produktion stillsteht, weil Lieferungen aus Asien ausbleiben, sinkt die Nachfrage nach Chemikalien".
Auch die Maschinen- und Anlagenbauer blicken mit Sorge auf die Havarie im Kanal. "Die asiatischen Märkte sind aktuell die Wachstumstreiber für den Maschinen- und Anlagenbau", sagte der Chefvolkswirt des Branchenverbands VDMA, Ralph Wiechers. "Mit Blick auf die Exporte bedeutet der Stau im Suez-Kanal möglicherweise Verzögerungen in der Belieferung asiatischer Kunden mit Maschinen, Maschinenteilen und -Komponenten." Bei den Zulieferungen aus Asien spüre die Branche auch ohne diese Störung schon Engpässe - insbesondere bei elektronischen Komponenten und Halbleitern. "Abhängig vom gewählten Transportweg könnte es auch hier zu Verschärfungen kommen", sagte Wiechers. "Da Seefrachten aber längere Zeit unterwegs sind, wird sich die aktuelle Lage am Suez-Kanal vermutlich erst in einigen Tagen bemerkbar machen."
Das rund 400 Meter lange Containerschiff "Ever Green" blockiert seit Dienstag eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt. Der 193 Kilometer lange Kanal ist die kürzeste Verbindung zwischen Europa und Asien und der entscheidende Korridor für Rohöl und Importwaren nach Europa. Dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) zufolge fahren 98 Prozent der Containerschiffe durch den Suez-Kanal, wenn sie zwischen Deutschland und China unterwegs sind. Die Volksrepublik ist seit Jahren Deutschlands wichtigster Handelspartner mit einem gegenseitigen Volumen von mehr als 212 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Etwa acht bis neun Prozent der gesamten deutschen Warenimporte und -exporte gehen durch den Suez-Kanal.
Dort dürften sich die Bergungsarbeiten noch hinziehen. "Wir können nicht ausschließen, dass es noch Wochen dauern könnte", sagte der Chef der an den Bergungsarbeiten beteiligten Firma Bos, Peter Berdowski, dem niederländischen Fernsehsender "Nieuwsuur". Aber selbst wenn das Problem rasch behoben werden sollte, rechnet der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) noch mit langen Nachwehen. "Das Problem im Suez-Kanal wird sich nach seiner Auflösung im Anschluss unmittelbar auf die europäischen Häfen und ihre Terminals übertragen", warnte DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster. Diese müssten mit begrenzten Kapazitäten und Stellplätzen dann ein "verspätetes, gigantisches Containervolumen innerhalb kürzester Zeit geballt abfertigen und auf die Seehafenhinterland-Verkehre mit Lkw, Bahn und Binnenschiff verteilen". Das schätzt Lieferketten-Experte Joachim Schaut vom Logistikdienstleister DB Schenker ähnlich ein. "Das wird uns noch mindestens ein, zwei Monate auf Trab halten", sagte Schaut auf der Online-Branchenkonferenz "Digital Logistics Days 2021". Der Schaden sei enorm.
Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist deshalb beunruhigt. "Zentrale Lieferketten geraten aufgrund mangelnder Container, unpünktlicher Schiffe und fehlender Transportkapazität ins Stocken, während die Kosten steigen", sagte Hauptgeschäftsführer Holger Lösch. "Dies wirkt sich in der Industrie bereits negativ auf die Produktionsabläufe aus."
rtr