Drei Buchstaben genügen - und jeder Börseninteressierte weiß Bescheid: "Dow". Gemeint ist der bekannteste Börsenindex überhaupt, der Zusatz "Jones" ist meist gar nicht mehr nötig. Viel weniger bekannt ist allerdings die "Dow-Theorie" - dabei gilt sie völlig zu Recht als Ursprung der charttechnischen Analyse. Die sechs Kernaussagen sind auf den folgenden Seiten mit aktuellen Chartbeispielen dargestellt.

Doch zuvor ein Blick in die Historie: Das Zentrum der globalen Finanzwelt war bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert New York und damit die Wall Street. Pflichtlektüre für Börsianer war damals wie heute das "Wall Street Journal", als dessen Herausgeber der 1851 geborene und 1902 verstorbene Charles Henry Dow fungierte. Das Journal entwickelte sich 1889 aus dem ersten Börsenbrief, den der Journalist und Wirtschaftswissenschaftler ab 1882 zusammen mit Edward D. Jones und Charles M. Bergstresser veröffentlichte.

Um einen Richtwert für die Beurteilung der Aktienkurse und ihrer Schwankungen zu erhalten, entwickelte Dow 1884 den "Dow Jones Railroad Average". Denn damals war die Eisenbahnindustrie hinsichtlich der Bedeutung für die Wirtschaft, was heute die Informationstechnologie ist. Daher umfasste der erste von Dow kreierte Index nur zwei produzierende Gesellschaften, aber neun Eisenbahnunternehmen.

Erst Jahre später entschied er, dass zwei Indizes - einer für die Industrie und einer für die Eisenbahnen (Transportwesen) - die Ökonomie besser wiedergeben würde. Beim "Dow Jones Industrial Average" wurden die Kurse der zwölf wichtigsten Aktien an der New York Stock Exchange addiert und durch zwölf dividiert. Die Erstnotiz lag am 26. Mai 1896 bei 40,94 Punkten. Charles H. Dow wollte mit den Indizes ein Barometer schaffen, das den Markt in seiner Gesamtheit abbildet. Sie sollten quasi das "gesamte Wissen eines Marktes" darstellen.

Von 1899 bis zu seinem Tod veröffentlichte Dow eine 255 Ausgaben umfassende Artikelserie mit dem Versuch, die täglichen Aktienkursänderungen einem langfristigen Trend zuzuordnen. Ein Jahr nach seinem Tod erschien das Buch "The ABC of Stock Speculation" von Samuel A. Nelson, der auch den Begriff der "Dow-Theorie" einführte.



1. Die Indizes diskontieren alles



Das Grundprinzip der Technischen Analyse schlechthin: Alle Informationen sind im Chart enthalten, jeder dem Markt bekannte Faktor ist im Kurs reflektiert. Damit sind Einschätzungen im Hinblick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gemeint, aber auch Insiderwissen. Letzteres ist vor allem bei einzelnen Aktien bedeutsam, für die diese Theorie natürlich auch gilt.

Unvorhersehbare Ereignisse werden rasch eingepreist. Es besteht keine Notwendigkeit einer fundamentalen Analyse.



Dow Jones auf Quartalsbasis: Zu Lebzeiten Charles Henry Dows ging es nie höher als auf 78,26 Punkte (Juni 1901), ein Plus von 91 Prozent gegenüber dem ersten Stand.

100 Punkte wurden erstmals im September 1909 übertroffen, die 200er-Marke im Oktober 1927, die 300er-Marke bereits im Dezember 1928. Von 383 Zählern aus begann der 1929er-Crash.



2. Im Markt gibt es drei Trends



Ein charttechnischer Trend im Sinne von Charles Dow ist ein Muster von steigenden (respektive fallenden) relativen Hoch- und Tiefpunkten. Die grafische Verbindung der jeweiligen Tiefs bzw. Hochs ergibt eine Trendlinie.

Dow definierte drei Trends, die er mit dem Verhalten des Wassers im Meer verglich. Dabei repräsentiert der primäre Trend Ebbe und Flut. Dieser zeigt also an, in welche Richtung es mit dem Markt gerade grundsätzlich läuft. Der sekundäre Trend steht in diesem Bild für die Wellen und der tertiäre, den Dow als unbedeutenden oder untergeordneten Trend bezeichnete, entspricht kleinsten Veränderungen auf diesen Wellen.

Den primären (langfristigen) Trend sah Dow in einem Zeitraum von einem bis mehreren Jahren. Der sekundäre (mittelfristige) Trend ist eine Korrektur des Primärtrends, läuft also in die Gegenrichtung.

Dabei werden in der Regel zwischen einem Drittel und zwei Dritteln der vorherigen Bewegung korrigiert (ähnlich also den heute oft zitierten Fibonacci-Retracements), was idealerweise drei Wochen bis drei Monate dauert. Diese Korrekturen, so Dow, seien notwendig, wenn der dynamische Primärtrend pausiert.

Der untergeordnete Trend dauert höchstens drei Wochen und spielte für Dow kaum eine Rolle. Ihm waren die Primärtrends wichtig.



Alphabet-Aktie auf Wochenbasis: An dem Chart hätte Charles Dow seine helle Freude gehabt. Es handelt sich um einen Aufwärtstrend par excellence, der seit mittlerweile fast fünf Jahren anhält.

Ausgehend von zwei Tiefs im Sommer 2012 entwickelte sich eine Trendlinie, die im Jahr 2015 zweimal bestätigt wurde und den beiden großen Korrekturen des Jahres 2016 (Brexit, US-Wahl) standhielt.



Henkel-Aktie auf Wochenbasis: Die DAX-Aktie läuft in einem primären Aufwärtstrend, der seit Juni 2012 etabliert ist.

Ein typischer Sekundärtrend war ab April 2015 zu beobachten, als bis Herbst ungefähr ein Drittel der vorherigen Gewinne wieder korrigiert wurde.

Innerhalb des Sekundärtrends sind Tertiärtrends auszumachen. Einer davon ist im Chart benannt, langfristig aber unbedeutend.



3. Primärtrends sind dreiphasig



Das größte Interesse Dows galt dem Primärtrend, den er in drei Phasen unterteilte. Diese lauten Akkumulation, öffentliche Beteiligung und Distribution.

In der Akkumulationsphase kaufen besonderes informierte, scharfsinnige Investoren billig Aktien ein. Sie erkennen zum Beispiel, dass die schlechten Meldungen aus dem vorherigen Abwärtstrend verarbeitet und im Prinzip alle Negativfaktoren bekannt sind.

In der Phase der öffentlichen Beteiligung springen aufgrund der steigenden Kurse und der besser werdenden Nachrichtenlage die Trendfolger auf den Zug auf. Wenn der Optimismus nahe dem Höhepunkt ist, beginnt die Phase der Distribution. Starkes Wirtschaftswachstum und hohe Margen sorgen für eine Euphorie der breiten Masse.

Clevere Investoren, die Aktien am Tief eingesammelt haben, erkennen, dass es langsam an der Zeit ist, auszusteigen. Durch den Einstieg der Massen wird der Verkauf erleichtert. Die Aktien wandern von den "starken in die schwachen Hände".



Nordex-Aktie seit 2012 auf Wochenbasis: von Sommer 2012 bis Frühjahr 2013 konnte man den TecDAX-Wert zwischen drei und fünf Euro einsammeln. Es folgte eine zweieinhalbjährige Hausse hinauf bis 25/27 Euro. Eine letzte Aufschwungphase reichte bis 30/33 Euro hinauf. Drei Monate Zeit, um teuer zu verkaufen.



4. Die Indizes müssen sich bestätigen



Die vierte Kernaussage der Dow-Theorie bezieht sich auf den marktbreiten Dow Jones Industrial Average sowie den Branchenindex Dow Jones Transportation.

Charles Dow war der Meinung, dass kein neuer allgemeiner Bären- oder Bullenmarkt ausgerufen werden sollte, wenn die beiden Indizes nicht dasselbe Signal geben. Dies muss keinesfalls gleichzeitig erfolgen, aber doch zeitlich einigermaßen in Zusammenhang stehen.



Dow Jones Transportation (oben) sowie Dow Jones Industrial auf Wochenbasis seit Beginn des Bullenmarkts 2009. Damals wurden wichtige Widerstände zeitnah (im September beziehungsweise August) überwunden, die Indizes bestätigten sich gegenseitig.

Das negative Signal vom Transportindex im Januar 2016 wurde dagegen vom Industriebarometer nicht bestätigt. Die Hausse ging weiter.



5. Volumen muss Trend bestätigen



Das Umsatzvolumen muss in Richtung des primären Trends ansteigen. Ist der primäre Trend also aufwärtsgerichtet, sollten die Umsätze bei steigenden Kursen steigen und bei fallenden Kursen sinken.

Gibt es einen primären Abwärtstrend, sollte das Umsatzvolumen bei fallenden Kursen steigen und andersherum. Ist das nicht so, muss man den Trend hinterfragen. Für Dow war das Volumen ein sekundärer Indikator, den er aber durchaus beachtete.



DAX auf Tagesbasis: Im Candlestick-Chart ist das Volumen integriert. Je dicker eine Kerze, desto größer das Handelsvolumen. Zumeist wurde der Aufwärtstrend bestätigt, auch beim jüngsten Ausbruch.



6. Ein Trend gilt bis zur definitiven Umkehr



Ein Trend gilt so lange als intakt, bis ein Umkehrsignal einen Richtungswechsel anzeigt. Grundlage dieser Aussage bildet das (natürlich abgewandelte) erste Newton’sche Gesetz der Bewegung: Ein Objekt bleibt so lange in Bewegung, bis durch externe Kräfte ein Richtungswechsel verursacht wird.

Grundsätzlich soll man gemäß Charles Dow also davon ausgehen, dass sich der Trend eines Index oder einer Aktie so lange fortsetzt, bis er dreht.



Barrick Gold-Aktie auf Wochenbasis: Der langfristige Abwärtstrend seit 2011 wurde mit dem April-Hoch bestätigt. Der seit Herbst 2015 laufende Erholungstrend dagegen ist mit dem Bruch der Trendlinie vorbei.



Fazit: Was bis heute gilt



Charles Dow berücksichtigte nur Schlusskurse für seine Analyse. Intraday-Schwankungen hatten für ihn wenig Relevanz und konnten mit der damaligen Technik ohnehin nicht annähernd so mit einbezogen werden wie heutzutage.

Das Hauptanliegen von Charles Dow war es sowieso nicht, Kurse zu prognostizieren, sondern die künftige wirtschaftliche Entwicklung vorab an den Kursen abzulesen. Er entdeckte die Börse als ökonomischen Frühindikator.

Heute ist die Tagesvolatilität eine ganz andere als zu Dows Zeiten, sodass sich die Zeithorizonte verschoben haben: Alles läuft schneller ab.

Kritiker behaupten, mit der Dow-Theorie verpasse man große Teile einer Bewegung. Tatsächlich liefert sie die wichtigsten Signale, wenn mittelfristige Hochs und Tiefs gebrochen werden und oft schon ein Viertel der Gesamtbewegung vorbei ist.

Aber auch heutige Trendfolgemodelle setzen vor allem darauf, den mittleren Hauptteil einer großen Kursbewegung zu erwischen. Insofern hat die Dow-Theorie einen hohen Stellenwert, da sie vorgibt, wann sich ein Trend etabliert hat.