Es ist ein sonniger Frühlingsnachmittag an der Münchner Maximilianstraße. Die Kastanien recken ihre Blüten in den Himmel, die Straßenbahnen rumpeln mit wenigen, vorschriftsgemäß maskierten Passagieren Richtung Bayerischer Landtag oder Natio­naltheater, und die wenigen Passanten auf der Nobelmeile brauchen keine Mäntel mehr. Auch der deutsche Bonhams-Funktionär Thomas Kamm zeigt nach Wochen des Homeoffice im heimischen Rosenheim eine auffallend gesunde Gesichtsfarbe. Und seine Laune ist heiter, im Gegensatz zu der mutmaßlich trüben Stimmung im Auktionsmarkt.

Doch die ist gar nicht so schlecht. In Zeiten, in denen die Aktienmärkte bestenfalls volatil sind und selbst altehrwürdige Fonds ins Minus rutschen, blicken immer mehr Anleger neugierig auf sogenannte ­alternative Investments. Und tatsächlich: Nicht nur im Bereich zeitgenössische Kunst verzeichnen die Auktionshäuser immer höhere Zuschläge, auch Wein und Whiskys, Autos oder Uhren erzielen (rechtzeitig und richtig erworben) schwindelerregende Returns.

Gerade hier, in den Nischenmärkten, hat das drittgrößte Auktionshaus der Welt vor den beiden führenden, Sotheby’s und Christie’s, die Nase häufig vorn. Wir treffen Thomas Kamm in den Räumlichkeiten der Bonhams-Niederlassung in der bayerischen Landeshauptstadt - und wahren allseits gebotene Distanz.

€uro am Sonntag: Sotheby’s und Christie’s haben bereits Anfang April mit Gehaltskürzungen, Beurlaubungen und Beantragung staatlicher Sub­ventionen auf den Corona-Ausbruch ­reagiert. Bonhams auch?
Thomas Kamm: Wir mussten in Großbritannien einige Kollegen vorübergehend beurlauben, aber es gab bislang keine Entlassungen. Das heißt, jede Abteilung bleibt gut besetzt. Die Arbeit findet überwiegend im Homeoffice statt, was erstaunlich gut klappt. Die europäischen Repräsentanten arbeiten alle, teils auch schon wieder in den Büros. Und wir haben täglich diverse Videokonferenzen.

Onlineauktionen boomen nun. Werden sie das Livegeschäft mittel­fristig ersetzen?
Ersetzen nein. Aber ich sehe eine Zukunft, in der beide Auktionsformen nebeneinander existieren. Übrigens nehmen die Onlinegebote auch bei Live­auktionen signifikant zu.

Um wie viel niedriger sind die ­Zuschläge bei Onlineauktionen gegenüber Saalversteigerungen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da große Unterschiede gibt, selbst wenn man mit einbezieht, dass mancher ältere Auktionsteilnehmer nicht ganz so fit am PC ist. Natürlich ist ein guter Auktionator in der Lage, die Atmosphäre im Saal anzuheizen. Aber wenn jemand etwas wirklich haben möchte, dann wird er auch online, zur Not mithilfe des Nachbarsjungen, bis zu seinem Biet­erfolg bei der Stange bleiben.

Viele Auktionen werden derzeit ­verschoben. Lässt sich das Geschäft denn nachholen?
Ich denke schon. Zwar befürchten manche Marktteilnehmer, dass es dann im Herbst zu viele Auktionen geben könnte, aber diese Sorge teile ich nicht. Ich glaube vielmehr, dass die Leute darauf warten: Ich bekomme Anrufe von Kunden, die fast um die nächste Auktion betteln, weil sie glauben, dass die Preise jetzt günstig sind. Wenn das aber drei oder vier denken, geht es plötzlich rauf. Das ist ja der Vorteil von Auktionsware: Dass es keine Produktionsketten gibt, dass sie einzigartig, ihr Bestand limitiert und sie deshalb deutlich weniger krisenanfällig ist.

Kann man jetzt sogar Schnäppchen ­ergattern?
Es könnte in der Tat der Fall sein, dass jetzt Dinge auf den Auktionsmarkt kommen, die sonst vielleicht auf Messen gegangen und dort deutlich höher bepreist worden wären.

Immer neue Rekorde für Werke von ­Monet, Warhol oder Jeff Koons gehen ständig durch die Medien. In welchen anderen Anlageklassen waren zuletzt ­eklatante Zuwächse zu verzeichnen?
Wir verzeichnen deutliche Steigerungen bei Schmuck, bei Uhren, bei Whisky, zum Teil auch bei Autos. Porsche und Ferrari sind sehr gesucht. Auch die sogenannten Youngtimer ziehen stark an, der Sechsneuner (Mercedes 450 SEL 6.9, Anm. d. Red.) zum Beispiel. Aber auch Brot-und-Butter-Autos, die vor Jahren kein Mensch mehr hätte haben wollen, werden jetzt zusehends teuer. Und natürlich werden Fahrzeuge im Zusammenhang mit Celebrities immer hohe Preise erzielen - wie etwa der im März auf unserer "Amelia Island"-Auktion in Florida für 445.000 Dollar versteigerte Dune Buggy, mit dem Steve McQueen 1968 Faye Dunaway in "Die Thomas Crown Affäre" über den Strand schaukelte. Ein anderes typisches Bonhams- Nischending war unsere letzte Auktion zum Thema "California and Western Paintings & Sculpture". Es gab in dieser Versteigerung sieben Weltrekorde.

Und was ist mit den klassischen ­Abteilungen, Malerei und Skulptur?
Wir registrieren hohe Nachfrage nach guter Kunst. Das 19. Jahrhundert hat sich prächtig erholt, wir hatten hervorragende Altmeister-Auktionen. Eine Besonderheit: Gemälde, die in irgendeiner Weise orientalisch sind, erleben seit einigen Jahren einen unglaublichen Boom: Jeder Harem, jeder Orientale mit Turban bringt heute das Hundertfache von vor zehn Jahren.

Verraten Sie uns ein paar Hidden ­Chapions bei den alternativen Investments?
Als Auktionshaus sprechen wir ja nie über "Investments". Es gibt jedoch Trends, die uns auffallen. Plakate sind ein spannendes Thema. Chinesische Möbel aus Huanghuali, dem äußerst raren Holz der Könige, gehen derzeit durch die Decke. Im Automobilia-­Bereich sind Kühlerfiguren wieder groß im Kommen. Oder "Baby-Bugattis": Ich habe einen Bekannten, der sie sammelt. Er klagt, dass sein erstes Exemplar noch um 1500 Mark gekostet hat, "und jetzt, Thomas, habe ich 28.000 Pfund bezahlt. Warum sind die denn so teuer geworden?" Na, weil sie halt selten sind.

Ich habe einen Oldtimer, ein Werk eines bedeutenden Pop-Art-Künstlers und ­einen seltenen Single Malt. Was davon könnte ich jetzt lukrativ verkaufen?
Gemeine Frage. Bei guten Whiskys kann man gar nichts falsch machen, die gehen immer weg. Bei Nachkriegskunst hat sich auch nichts nach unten bewegt. Und bei Oldtimern käme es sehr auf das Modell an. Ich kenne keinen 25-Jährigen, der sich heute einen Wagen aus den 30er-Jahren kaufen würde. Diese Klientel aber würde, entsprechend ausgestattet, bei einem Lamborghini Veneno ­Roadster für knapp acht Millionen keine Minute zögern.

Vor eineinhalb Jahren wurde Bonhams vom in London gelisteten Private-Equity-Fund Epiris II gekauft, der sich mit anderen Investoren auf mittelständische Firmen unter 500 Millionen Pfund konzentriert. Was hat sich verändert?
Erfreulicherweise vieles zum Positiven. Natürlich wollen die uns in vier bis sechs Jahren weiterverkaufen. Aber erst mal haben die neuen Eigentümer Investitionen getätigt, die Infrastruktur erneuert und mehr Fachpersonal eingestellt. Und, ganz wichtig aus meiner Sicht: Sie ermöglichen es den Experten, Experten zu sein.

Was kann Bonhams besser als die Platzhirsche Christie’s und Sotheby’s?
Wir sind weltweit das Haus mit der absolut größten Angebotsvielfalt. Zu den rund 60 Departments zählen Exoten wie Aboriginal Art, Entertainment Memorabilia, Handbags & Fashion, Marine Works of Art, aber auch Natural History, Oak Furniture, Scientific Instruments und Space History. Wir sind am stärksten im Middle Market, also im Bereich zwischen 50.000 und fünf Millionen Pfund. Jeder erfahrene Sammler vertraut Bonhams hier, beziehungsweise dem Fachwissen unserer Spezialisten.

Könnten Sie Ihre Frau überreden, einen wesentlichen Teil Ihres Privatvermögens in eine Kiste Romanée-Conti oder eine Rolex Daytona zu stecken?
In Wein wohl kaum. Ich fürchte, auch nicht in eine Uhr. Meine Frau ist - wie ich - Kunsthistoriker/in und würde vermutlich ein schönes Gemälde oder eine Skulptur erwerben, ein ausgefallenes Möbelstück oder Schmuck.

Vita

Der Experte
Dr. Thomas Kamm (60) arbeitete nach seiner Promotion in Kunstgeschichte zunächst 15 Jahre beim Kunsthandelsmagazin "Weltkunst" und seit 2005 als stellvertretender Chefredakteur des Fachmagazins "Kunst und Auktionen". Im September 2011 wechselte er zu Bonhams, wo er als Senior Representative Germany/Aus­tria wirkt. Kamm ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Bonhams

Einzig-Art
1793 in London gegründet und 2018 von der dort ansässigen Beteiligungsgesellschaft Epiris für einen ungenannten Betrag übernommen, ist Bonhams das letzte international operierende Auktionshaus in privater britischer Hand. In 60 verschiedenen Kategorien, mehr als jeder Wettbewerber, führt es weltweit um die 400 Versteigerungen durch. Bonhams gilt als Nummer 3 der Branche.