Die Konsumfreude der Japaner kommt nicht von ungefähr: Viele haben große Anschaffungen vorgezogen, weil am 1. April die Mehrwertsteuer von fünf auf acht Prozent erhöht wird. Dann dürfte mit dem Kaufrausch erst mal Schluss sein. Schon jetzt trübt sich die Stimmung bei den Konsumenten ein: Der Index für das Verbrauchervertrauen sank von Januar auf Februar von 40,5 auf 38,3 Punkte, den niedrigsten Wert seit September 2011.
Wirtschaftswissenschaftler warnen davor, dass höhere Steuern den Konsum und somit auch die gerade begonnene Erholung der japanischen Wirtschaft abwürgen könnten. Viele rechnen deshalb damit, dass die Bank of Japan spätestens im Sommer wieder in ihre geldpolitische Trickkiste greifen wird, um die Wirtschaft zu stützen. Geld in den Markt pumpen, die Zinsen niedrig halten und so den Yen abwerten, um die Exportwirtschaft anzukurbeln - auf diese Weise versucht der japanische Premierminister Shinzo Abe seit über einem Jahr sein Land aus dem Deflations- und Rezessionsstrudel zu befreien. Der Erfolg der als "Abenomics" bekannt gewordenen Strategie ist bisher durchwachsen.
Auf der einen Seite hat der Yen seit November 2012 tatsächlich mehr als 20 Prozent seines Werts eingebüßt, weil die Notenbank begonnen hat, in großem Stil japanische Staatsanleihen aufzukaufen und so den Markt mit Geld zu fluten. Japanische Produkte wurden auf dem Weltmarkt billiger, und die Ausfuhren stiegen an. Erst zaghaft im niedrigen einstelligen Bereich, doch schon bald lag das Exportvolumen mit zweistelligen Zuwachsraten deutlich über dem des Vorjahres. Im Herbst 2013 legten die Exporte in der Spitze um knapp 20 Prozent zu. Auch wenn sich das Wachstum mittlerweile wieder abgeschwächt hat, machen Firmen wie der japanische Autohersteller Toyota Rekordgewinne. Als Folge legte der Aktienindex Nikkei 225 im vergangenen Jahr um mehr als 70 Prozent zu.
Auf der anderen Seite birgt die drastische Abwertung des Yen gefährliche Risiken: Es steigt nämlich nicht nur das Finanzvolumen der Exporte, sondern auch das der Einfuhren, weil mit sinkender Kaufkraft der Währung Güter aus dem Ausland teurer werden. Dies trifft vor allem den Energiesektor. Seit Japan nach der Tsunami-Katastrophe vor drei Jahren viele Kernkraftwerke heruntergefahren hat, muss es mehr als 90 Prozent der benötigten Energie aus dem Ausland einkaufen. 2012 war das Land nach China der weltweit zweitgrößte Importeur fossiler Brennstoffe.
Das hat das Handelsbilanzsaldo Japans, das eher von Überschüssen denn von Defiziten geprägt war, ins Minus gewendet. Im Februar übertrafen die Importe die Exporte bereits den zwanzigsten Monat in Folge um fast sechs Milliarden Euro. Der schwache Yen hat das Problem derart verschärft, dass Japan so schnell wie möglich einen Teil der stillgelegten Kernkraftwerke wieder ans Netz bringen will.
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Gigantische Verschuldung
Trotz des Yen-Verfalls dürfte die Notenbank ihren Kurs des billigen Geldes weiter fortsetzen. Schon allein deshalb, weil sich Japan eine Zinsanhebung kaum leisten kann. Die Staatsverschuldung beträgt 240 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Ende des Jahres sollen es fast 250 Prozent sein. Zum Vergleich: Die USA sind mit 108 Prozent ihres BIP verschuldet, Deutschland mit 78 Prozent. Selbst Griechenlands Verschuldung liegt mit 171 Prozent des BIP deutlich unter dem japanischen Niveau. Stiegen die Zinsen in Nippon von derzeit 0,7 auf zwei Prozent, würde die Zinslast die gesamten Einnahmen der Exportnation übertreffen. Über kurz oder lang wäre Japan dann zahlungsunfähig.
Dass angesichts dieses Szenarios Anleger dem Land noch nicht den Rücken gekehrt haben, liegt vor allem daran, dass mehr als 90 Prozent der Schulden von den Japanern selbst gehalten werden. So sind institutionelle Anleger wie Pensionskassen oder große Versicherungen zum Teil gesetzlich verpflichtet, einen bestimmten Anteil ihres Vermögens in japanische Staatsanleihen zu investieren.
Dennoch steht die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt mit dem Rücken zur Wand. Der riesige Schuldenberg lähmt das Land, das außerhalb der Geldpolitik kaum noch Spielräume hat, seine Wirtschaft anzukurbeln. Seit Monaten streitet die Regierung beispielsweise darüber, die relativ hohen Unternehmenssteuern von 35 auf 25 Prozent zu senken. Das würde zwar Unternehmen entlasten, doch die zu erwartenden Steuerausfälle von umgerechnet 35 Milliarden Euro wären schmerzhaft. Sie entsprächen immerhin einem Zehntel der gesamten Steuereinkünfte.
Dass Japan seinen Schuldenberg von derzeit umgerechnet acht Billionen Euro jemals abbezahlen kann, gilt unter den aktuellen Umständen ohnehin als einigermaßen illusorisch. Auch deshalb flutet die Notenbank den Markt mit Geld: um die Inflation in die Höhe zu treiben und die Schulden auf diese Weise nach und nach zu entwerten. Erst Mitte März haben Japans Währungshüter beschlossen, ihre Anleiheaufkäufe bei jährlich umgerechnet 420 bis 490 Milliarden Euro zu belassen. Allein im vergangenen Jahr haben sie die Geldbasis des Landes um 50 Prozent auf umgerechnet 1,4 Billionen Euro erhöht. Bis April 2015 soll die Geldmenge bei fast zwei Billionen Euro liegen.
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Inflationsziel von zwei Prozent
Das vor einem Jahr von den Notenbankern ausgerufene Ziel, die Teuerungsrate nach jahrelanger Deflation auf zwei Prozent zu hieven, dürfte dann zum Greifen nahe sein. Seit Oktober liegt die Inflationsrate deutlich oberhalb der Ein-Prozent- Marke, zuletzt bei 1,4 Prozent im Januar - und damit auf dem höchsten Niveau seit mehr als 15 Jahren.
Um vor dem Hintergrund steigender Importpreise, Inflation und höherer Mehrwertsteuern den Binnenkonsum, der immerhin 60 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht, nicht abzuwürgen, beschwört Shinzo Abe zudem seit Monaten die Unternehmen, die Grundgehälter ihrer Mitarbeiter zu erhöhen. Erstmals seit Jahren haben die Gewerkschaften Lohnerhöhungen gefordert - und durchgesetzt. Auch wenn die Gehälter im Schnitt lediglich um ein mageres Prozent steigen werden, ist dies für die Verbraucher ein wichtiges Signal, dass die wirtschaftliche Erholung keine Eintagsfliege ist.
Dass die Wirtschaft allerdings noch weit entfernt ist von einem soliden Aufschwung, zeigt das schwache Wachstum. Zwar lag es 2013 mit 1,2 Prozent des BIP über dem Wachstum vieler Industrieländer, allerdings wuchs die Wirtschaft ein Jahr zuvor mit zwei Prozent.
"Abenomics ist noch nicht stark genug", sagt Koichi Hamada. Der ehemalige Professor der US-Eliteuniversität Yale berät den japanischen Regierungschef - und empfiehlt, geldpolitisch tätig zu werden, sollte sich bis Mai zeigen, dass die Umsatzsteuererhöhung den Aufschwung hemmt. Dass es dazu kommen wird, davon geht Morten Borg aus. Der Däne verwaltet den Fonds Jyske Invest Favourite Equities, einen Aktienfonds, der aktuell rund elf Prozent in japanische Aktien investiert. "Wir sehen die Abwertung des Yen positiv", sagt Borg. Auch wenn Firmen unter höheren Import- und Energiepreisen leiden werden, seien die Effekte für die meisten Unternehmen und damit auch für den Aktienmarkt positiv. "Einige Unternehmen profitieren von der Erholung des Binnenmarkts, andere von der steigenden Exportnachfrage durch die Schwäche des Yen", erläutert Borg.
Derzeit bevorzugt der Fondsmanager jedoch exportorientierte Großunternehmen wie Toyota oder den Reifenhersteller Bridgestone: "Viele Firmen haben ihr Geschäft in den vergangenen Jahren restrukturiert, um international wettbewerbsfähig zu sein. Die Yen- Schwäche wird ihnen zusätzlichen Schwung verleihen." Profitieren werden die Unternehmen zudem von der anziehenden Weltkonjunktur, vor allem vom Aufschwung in den USA, dem wichtigsten Exportmarkt Japans.
Diese Aussichten dürften den Nikkei weiter steigen lassen. Zwar schwächelte der Index, der 225 japanische Aktien abbildet, seit Jahresbeginn, ür Anleger bietet sich dadurch jedoch eine günstige Einstiegsmöglichkeit.
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Kritik trotz Gewinnerwartung
Auch Investmentprois wie der amerikanische Hedgefondsmanager Jim Rogers setzen auf japanische Aktien - jedoch nicht ohne eine kräftige Portion Kritik an der japanischen Geldpolitik zu üben: "In 20 Jahren werden wir zurückblicken und sagen, das war der Todesstoß für die japanische Wirtschaft", schreibt die Investmentlegende im Internet.
Bis dahin müsse das Geld jedoch irgendwohin, und meistens fließe es in den Aktienmarkt. "Geld in unbegrenzter Menge zu drucken ist schrecklich. Schulden anhäufen ist schrecklich. Doch genau das ist es, was Herr Abe tut", erklärt Rogers. "Es wird dazu führen, dass Japan irgendwann zusammenbricht. Aber bis es so weit ist, wird Abe die Aktienmärkte in die Höhe treiben."
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