Uwe Rathausky ist promovierter Volkswirt. Während seines Studiums sammelte er Börsenerfahrung unter anderem bei der Dr. Jens Ehrhardt Kapital AG. Im Jahr 2007 gründete er zusammen mit Henry Muhle die Gané Aktiengesellschaft. 2019 wurden beide erstmals als Team vom Finanzen Verlag zum Fondsmanager des Jahres gewählt. Ihr als flexibler Mischfonds konzipierter Acatis Gané Value Event folgt einer an Warren Buffett angelehnten Value-Strategie. Zudem nutzen die beiden Profis Chancen, die aus unternehmensspezifischen Ereignissen und Events resultieren.
€uro am Sonntag: Herr Rathausky, die US-Börsen haben seit Anfang des Jahres massiv verloren. Was zieht die Kurse so nach unten?
Uwe Rathausky: Aktien galten lange als alternativlos. Angesichts eines globalen Anleihemarkts, in dem zwischenzeitlich bis zu 30 Prozent aller ausstehenden Papiere im negativen Verzinsungsbereich notierten, war diese Einschätzung durchaus nachvollziehbar. Nun springt aber die Inflation in die Höhe und die Zinsen kommen zurück. Das hat den Markt gehörig durcheinandergebracht und die Luft aus manchen Spekulationsblasen entweichen lassen.
Was treibt die Inflation an?
Der Welthandel, der über Jahrzehnte funktionierte, ist derzeit ins Chaos gestürzt. Knappheiten an Rohstoffen, Waren, Nahrungsmitteln und die Energiekrise schieben die Inflation an. Das ist vor allem zurückzuführen auf die strengen Lockdown-Maßnahmen in China und den Krieg in der Ukraine.
Auch der enge US-Arbeitsmarkt sorgt für Preisdruck?
Ja, es werden neue Stellen geschaffen, die aber nur schwer besetzt werden können. Einerseits, weil viele Amerikaner aufgrund üppiger fiskalpolitischer Unterstützung während der Corona-Pandemie gar nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurückkommen möchten, andererseits, weil es Rückgänge bei Einwanderung und der Arbeitskräftemobilität gibt.
Sind die kursbelastenden Faktoren an den US-Märkten zu einem großen Teil schon eingepreist?
Das hängt von der weiteren Entwicklung ab. Die Barschecks für US-Bürger werden jedenfalls irgendwann ausgegeben sein und China beginnt mit der Beendigung der Lockdown-Maßnahmen. Die Lockerungen erfolgen vor dem Hintergrund massiver wirtschaftlicher Schäden: Die Immobilienverkäufe, die industrielle Produktion und die Einzelhandelsumsätze sind in China so stark eingebrochen, wie man es seit Jahrzehnten nicht mehr kannte. Die Arbeitslosenquote springt in die Höhe.
Peking muss gegensteuern?
Ja, und das dürfte dem Welthandel guttun. Hier zeichnet sich also zunächst eine Entspannung ab. Im Grunde geht es darum, dass die Globalisierung wieder Fahrt aufnimmt. Alles, was in die andere Richtung geht, ist schlecht, schiebt die Preise weiter an und belastet die Börse.
Droht der US-Wirtschaft Ihrer Meinung nach Stagflation oder gar eine Rezession?
Das Risiko ist vorhanden, aber hier eine Prognose abzugeben, das wäre reine Spekulation. Für mich scheint Europa jedenfalls wirtschaftlich deutlich anfälliger zu sein als die USA. Die USA sind ein Profiteur der europäischen Energiekrise. Sie decken ihren Energiebedarf zu einem Bruchteil unserer Kosten, und ihr Flüssiggas entwickelt sich zum Exportschlager.
Und wie schätzen Sie die Entwicklung in China ein?
Die westsibirischen Gas-Pipelines werden derzeit nach China und Indien umgebaut. Experten zufolge dauert das drei Jahre und damit etwa genauso lange, bis wir in Deutschland unsere Flüssiggas-Terminals fertig gebaut haben werden. Im Ergebnis dürften die großen Flüssiggas-Importeure China und Indien künftig auf günstiges russisches Gas setzen und wir in Europa stattdessen das teure amerikanische Flüssiggas abnehmen. Außer Europa sehe ich keine Verlierer in dieser Rochade.
Welche Veränderungen haben Sie vor diesem Hintergrund im Acatis Gané Value Event Fonds in den letzten Monaten vorgenommen?
Keine Wesentlichen. Nach dem guten Börsenjahr 2021 waren wir zum Jahreswechsel mit 68 Prozent in Aktien und 32 Prozent in Liquidität und kurz laufenden Geldmarkt-Ersatzanleihen in US-Dollar und norwegischen Kronen vergleichsweise konservativ aufgestellt. Die Ausverkaufsphasen an den Börsen in den letzten Monaten nutzten wir dann, um unsere Aktienquote immer mal wieder antizyklisch leicht zu erhöhen. Derzeit beträgt sie 72 Prozent.
Ihre Cashquote ist aber weiterhin hoch?
Die reine Cashquote liegt unter fünf Prozent. Aber im Verbund mit kurz laufenden Geldmarkt-Ersatzanleihen, die uns teilweise wieder Renditen von zwei Prozent pro Jahr bescheren, bei knapp 28 Prozent. Sie gibt uns genügend Flexibilität, um auf das Marktgeschehen aktiv reagieren zu können. Wir halten also weiterhin einiges an Pulver trocken.
Hat sich auch der geografische Schwerpunkt des Portfolios verändert?
Nein. Schon vor der Ukraine- Krise waren wir nicht in Unternehmen aus Osteuropa oder Russland investiert, und wir hatten auch solche Unternehmen gemieden, die mit Investitionen und Firmenbeteiligungen in diesen Ländern erheblich im Risiko standen. Daneben trifft uns der Energiepreisschock, der jetzt vielen Branchen sehr hart zusetzt, kaum, da wir nicht in kapitalintensive Industrieunternehmen wie Chemiekonzerne und Maschinenbauer investiert sind.
Welche Titel sind für Sie interessant?
Wir setzen weiterhin vor allem auf Technologieschwergewichte aus den USA, wie Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon und Salesforce. Diese haben in den letzten Wochen zwar auch deutliche Kursabschläge verkraften müssen, verfügen aber über exzellente Perspektiven und sind nun sehr günstig bewertet.
Sind dies aus Ihrer Sicht Value-Werte?
Absolut. Alphabet zum Beispiel dürfte allein in den kommenden drei Jahren einen freien Cashflow von rund 300 Milliarden US-Dollar erwirtschaften und davon etwa die Hälfte in den Rückkauf eigener Aktien investieren. Angesichts einer schuldenfreien Börsenbewertung von nur 1.500 Milliarden US-Dollar und einem KGV von unter 20 sehen wir viel Value. Und über die Geschäftschancen auch genügend Growth.
Wo finden Sie am Bondmarkt attraktive Titel?
In der Breite des Anleihemarktes noch immer nicht. Für uns überwiegen nach wie vor die Risiken, vor allem bei Anleihen mit langer Laufzeit. Aber wir sind froh, dass wir bei kurz laufenden Anleihen wieder zuschlagen können.
Die Inflationsrate in der Eurozone und Deutschland ist auf Rekordhöhe gestiegen. Wie sehr muss beziehungsweise kann die Europäische Zentralbank die Zinsen erhöhen?
Nach den Leitzinserhöhungen in den USA und den hohen Inflationsraten in der EU ist eine Korrektur der europäischen Geldpolitik notwendig. Die Zinsanhebungen in den USA führen zu einem Aufwertungsdruck des US-Dollars gegenüber dem Euro, und das verstärkt den Inflationsdruck in Europa. Dem sollte die EZB entgegenwirken und darüber hinaus die Inflationserwartungen steuern. Außerdem muss sie nach ihrer verfehlten Inflationsprognose an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.
Wie hoch können die Zinsen steigen?
Ein Anstieg der Zinsen auf zwei Prozent im Zeitablauf wäre kein Drama, weder für die verschuldeten Südstaaten noch für die europäischen Aktienmärkte. In den Börsenkursen ist bereits einiges vorweggenommen.
Wie gut passt Ihre Anlagestrategie zur aktuellen Börsenlage?
Der Value- und Event-Ansatz der Gané Aktiengesellschaft hat sich seit vielen Jahren durch alle Hochs und Tiefs bewährt. Deswegen ist die aktuelle Börsenlage für unsere Anlagestrategie nichts Außergewöhnliches.
Flexible Kombination: Auf Aktien entfallen derzeit knapp 72, auf Rentenpapiere 24 Prozent der Mittel. Seit Auflegung im Dezember 2008 erzielte der Fonds pro Jahr im Schnitt 7,8 Prozent.