"Es geht aber nicht darum, 100.000 Fahrzeuge mehr oder weniger als ein großer Wettbewerber zu verkaufen", sagte Müller. Für den Wolfsburger Autobauer werde künftig nachhaltiges, qualitatives Wachstum im Mittelpunkt stehen, kündigte der ehemalige Porsche-Chef an, der im Zuge der Abgasaffäre an die Spitze des größten Autokonzerns in Europa gerückt war. Im dritten Quartal hat der Skandal VW einen Verlust von 3,5 Milliarden Euro eingebrockt - erstmals seit mindestens 15 Jahren rutschte das Unternehmen damit in die roten Zahlen.

An seiner neuen Strategie feilt der 62-Jährige Müller noch. Sie soll Mitte kommenden Jahres präsentiert werden und bis 2025 reichen. Einige Punkte sind jedoch bereits bekannt: So sollen die Marken mehr Verantwortung für Modellpolitik, Vertrieb und Produktion in den Regionen bekommen. Die mehr als 300 Modelle werden auf ihre Profitabilität hin überprüft. Müller will VW zudem eine neue Kultur verpassen, in der Fehlentwicklungen nicht mehr wie unter seinem Vorgänger Martin Winterkorn unter den Teppich gekehrt werden. Dies gilt als eine von mehreren Ursachen für den Abgasskandal. "Wir müssen die Wahrheit herausfinden und daraus lernen", erklärte Müller. "Wir brauchen eine Kultur der Offenheit und der Kooperation."



Es geht (...) nicht darum, 100.000 Fahrzeuge mehr oder weniger als ein großer Wettbewerber zu verkaufen.
Volkswagen-Chef Matthias Müller am Mittwoch zu Fragen nach dem Wettbewerb. Im dritten Quartal haben die Wolfsburger die Weltmarktführung an Toyota abgegeben.






Im dritten Quartal, an dessen Ende die Manipulation der Abgaswerte bei elf Millionen Fahrzeugen weltweit bekannt wurde, musste VW 6,7 Milliarden Euro für Rückrufe und Wertminderungen zurücklegen. Müller kündigte einen Gewinneinbruch für 2015 an - nach Einschätzung von Analysten kommt das dicke Ende aber erst im nächsten Jahr. Die Milliarden-Rückstellungen für die Rückrufe will Finanzvorstand Frank Witter von der Steuer absetzen. Investoren schreckte die tiefrote Bilanz nicht, da sie auf den Verlust vorbereitet waren. Die in den vergangenen Wochen schwer gebeutelte VW-Aktie legte zeitweise um mehr als vier Prozent zu und setzte sich an die Spitze des deutschen Leitindex Dax.

"DIESELTHEMATIK"



Der Konzern ist vorerst vollauf damit beschäftigt, die Folgen des Skandals, den VW als "Dieselthematik" bezeichnet, zu bewältigen. Oberste Priorität habe die Hilfe für die Kunden, erklärte Müller. Bei der Suche nach Schuldigen sollen nun die Wirtschaftsprüfer von Deloitte helfen. Die Verantwortlichen müssten mit harten Folgen rechnen. Noch unabsehbar sind die Kosten für Bußgelder in den USA und die Welle an Straf- und Schadensersatzprozessen weltweit. Für Rechtsstreitigkeiten, die in den USA üblicherweise sehr teuer werden können, hat VW noch kein Geld auf die Seite gelegt.

Für manche Experten sind die roten Zahlen deshalb erst die Spitze des Eisberges: "Die 6,7 Milliarden Euro an Rückstellungen für Rückrufe werden erst der Anfang gewesen sein", sagte Autoanalyst Frank Schwope von der NordLB. Er geht davon aus, dass der Schaden am Ende bei mehr als 30 Milliarden Euro liegen wird. Die Manipulation von Abgaswerten war im September von der US-Umweltbehörde EPA öffentlich gemacht worden. Alleine in den USA drohen Volkswagen Strafzahlungen von umgerechnet bis zu 16 Milliarden Euro. Auch in anderen Ländern ermitteln Behörden gegen das Unternehmen.

FÜR STURM GERÜSTET



Arndt Ellinghorst von Evercore ISI begrüßte indes, dass VW die Rückstellungen jetzt nicht wesentlich erhöht hat. Zusammen mit der hohen Netto-Liquidität, also dem hohen Bestand an flüssigen Mitteln, sollte dies Investoren beruhigen. Nach neun Monaten verfügte Volkswagen wegen des starken operativen Geschäfts und des Verkaufs der Beteiligung an Suzuki über Barmittel in Höhe von 27,8 Milliarden Euro - gut zehn Milliarden mehr als Ende vergangenen Jahres.

Auf den Absatz von Fahrzeugen hatte der Abgasskandal noch keine größeren Auswirkungen, da die Manipulationen erst zum Ende des Quartals im September bekannt geworden waren. Allerdings musste Volkswagen die Weltmarktführung wieder an Toyota abgeben. In den ersten neun Monaten lieferten die Wolfsburger weltweit 7,43 Millionen Fahrzeuge aus, 1,5 Prozent weniger als noch vor Jahresfrist. Der japanische Rivale schlug im gleichen Zeitraum 7,49 Millionen Fahrzeuge los.

Das Kerngeschäft von Volkswagen läuft vorerst rund: Der Umsatz kletterte von Januar bis September um 8,5 Prozent auf 160 Milliarden Euro. Der bereinigte Betriebsgewinn legte auf 10,2 Milliarden Euro zu. Abzüglich der Rückstellungen brach der operative Gewinn allerdings um zwei Drittel auf 3,3 Milliarden Euro ein. Wegen der hohen Belastungen durch den Skandal rechnet der Vorstand für dieses Jahr mit einem operativen Ergebnis deutlich unter den 12,7 Milliarden Euro des Vorjahres.

Die nicht vom Skandal betroffene VW-Tochter Porsche steuert indes auf ein neues Rekordjahr zu und bleibt laut Finanzchef Lutz Meschke der profitabelste Autobauer der Welt. Die Porsche SE, die Holding in der die Volkswagen-Anteile der Eigentümerfamilien Porsche und Piech stecken, rechnet in diesem Jahr mit zwei Milliarden Euro weniger Gewinn wegen des Skandals.