Ex-VW-Chef Winterkorn hat mehrfach beteuert, erst im September 2015 von den millionenfachen Abgasmanipulationen erfahren zu haben. Die neuen Vorwürfe sind Wasser auf die Mühlen von Anlegern, die Volkswagen wegen angeblich verspäteter Information über den Dieselskandal auf mehr als acht Milliarden Euro Schadenersatz verklagt haben.

Winterkorn wies die Vorwürfe erneut zurück. Sein Anwalt erklärte, gegenwärtig bleibe es bei dem, was der 69-Jährige vergangene Woche im Bundestags-Untersuchungsausschuss gesagt habe. Dort hatte Winterkorn bestritten, früher als im September 2015 von den Manipulationen erfahren zu haben. Damals war der Abgasskandal durch die US-Umweltbehörden öffentlich gemacht worden.

Neben Winterkorn rückten weitere Verdächtige ins Visier der Staatsanwaltschaft, sie ermittelt nun gegen 37 Beschuldigte. Die Strafverfolger durchsuchten 28 Wohnungen und Büros mit Schwerpunkt in Wolfsburg, Gifhorn und Braunschweig. Die Auswertung des sichergestellten Materials werde voraussichtlich mehrere Wochen in Anspruch nehmen. In München sei Winterkorns Villa im Stadtteil Oberföhring und sein Büro in der Innenstadt durchsucht worden, berichtete die "Bild"-Zeitung. Bisher wurde gegen 21 Beschuldigte wegen des Abgasbetrugs ermittelt, darunter befand sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft kein Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied.

VW erklärte, man arbeite vollumfänglich mit den Ermittlern zusammen, darüber hinaus machte das Unternehmen keine Angaben. Die niedersächsische Staatskanzlei erklärte, sie habe volles Vertrauen in die Arbeit der Justizbehörden. Ministerpräsident Stephan Weil und Wirtschaftsminister Olaf Lies, die beide im Aufsichtsrat von VW sitzen, hätten über die Mitteilung der Staatsanwaltschaft hinaus keine Kenntnisse über Inhalte der Ermittlungsverfahren. Niedersachsen ist mit 20 Prozent zweitgrößter VW-Eigner.

Wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermittelt die Staatsanwaltschaft bereits seit dem vergangenen Jahr gegen Winterkorn, VW-Markenchef Herbert Diess und den Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch. Sie stehen unter dem Verdacht, die Börse zu spät über den Abgasskandal informiert zu haben, in dessen Folge die VW-Aktie rasant an Wert verlor.

Der Abgasskandal hat den Autobauer in eine tiefe Krise gestürzt. Nach monatelangen Verhandlungen einigte sich der Konzern mit Privatklägern, Behörden und Autohändlern auf Schadensersatz und Wiedergutmachung von insgesamt 16,5 Milliarden Dollar. Soviel musste noch nie ein Autobauer in den USA für einen zivilrechtlichen Vergleich auf den Tisch legen. Erst kürzlich einigten sich die Wolfsburger Unterhändler mit der US-Justiz zudem auf 4,3 Milliarden Dollar an Straf- und Bußgeldzahlungen. Insgesamt hat der Konzern bisher 18,2 Milliarden Euro für die Rechtskosten in den USA und Rückrufaktionen in Europa zur Seite gelegt. VW hat bereits erklärt, dass diese Summe nicht reichen wird.

ANWÄLTE REIBEN SICH DIE HÄNDE



Den in den USA veröffentlichten Gerichtdokumenten zufolge räumt VW ein, Behörden und Kunden von 2006 bis 2015 betrogen zu haben hinsichtlich der Stickoxid-Emissionen von knapp einer halben Million Dieselfahrzeugen in den USA. Weltweit sind rund elf Millionen Fahrzeuge mit einer Software unterwegs, die dafür sorgt, dass die Wagen nur auf dem Prüfstand die Abgasgrenzwerte einhalten. Für den Betrug und die anschließende Verschleierung verantwortlich gemacht werden sechs Manager unterhalb der Konzernführung, einer von ihnen sitzt in den USA in Haft.

Unklar ist bisher, ob auch jemand aus der Unternehmensspitze von der Manipulation wusste. Sollte Winterkorn für schuldig befunden werden, hätten Anwälte Argumente, um Schadenersatz für erlittene Kursverluste ihrer VW-Aktien zu fordern. Der größte Teil der Anlegerklagen wird beim Landgericht Braunschweig verhandelt. Dort lagen zuletzt mehr als 1500 Schadenersatzklagen über insgesamt 8,8 Milliarden Euro vor.

Winterkorn war von seinem Amt an der Spitze von Europas größtem Autobauer zurückgetreten, kurz nachdem die Abgasmanipulationen im September 2015 öffentlich bekannt wurden. Er erklärte damals, er tue dies im Interesse des Unternehmens, obwohl er sich keines Fehlverhaltens bewusst sei. Unter ihm war der Wolfsburger Autokonzern mit seinen zwölf Marken rasant gewachsen und lieferte sich mit Toyota ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Weltmarktführung. Winterkorns Führungsstil mit harter Hand sowie seine ehrgeizigen Ziele werden heute für den Abgasskandal mitverantwortlich gemacht. Sie gelten als Grund, warum einige Ingenieure tricksten, als in den USA absehbar wurde, dass die strengen Stickoxidwerte für Dieselautos mit legalen Mitteln nicht zu erreichen waren.

rtr