Noch nie war die Polit-Agenda eines zukünftigen Präsidenten so verschwommen, unklar und widersprüchlich
Abgesehen von vielen Gerüchten weiß niemand, wie die tatsächliche Amtsführung unter Donald Trump aussehen wird. Bei aller Unsicherheit kann man sich jedoch an ein altes politisches Gesetz halten: Wahlkampf und tatsächliche Politik sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Diese Einschätzung vermitteln auch die internationalen Finanzmärkte mit einem erstaunlich robusten Bild. Die erwarteten Kurseinbrüche wegen eines erneut überraschenden "Brexit"-Moments blieben an den Aktien-, Renten- und Rohstoffmärkten aus. Betrachtet man den Volatilitätsindex VDAX-New für die nächsten 30 Handelstage sowie das US-Pendant S&P 500 Volatility Index als Risikomaß, reagieren die Aktienmärkte - sie sind deutlich von früheren Unsicherheitsniveaus entfernt - äußerst entspannt. Der DAX hatte zwischenzeitlich sogar ein neues Jahreshoch erreicht. Und dabei gilt er als exportsensitiver Index bei drohenden handelsprotektionistischen Maßnahmen der USA als besonders gefährdet.
Die Fed hält wohl an ihrer Zinserhöhung fest
Sicherlich wird die US-Notenbank die Risiken an den Finanzmärkten, die sich auch realwirtschaftlich negativ bemerkbar machen können, bis zu ihrer nächsten Sitzung am 14. Dezember genau beobachten. Gemäß Fed Fund Futures preisen die Finanzmärkte trotz der Unsicherheit über das Regierungsprogramm Trumps eine Leitzinserhöhung sogar mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als vor der Präsidentenwahl ein. Sollten weiterhin spürbare Verwerfungen an den Finanzmärkten ausbleiben, wird die Fed an der ohnehin eingepreisten Zinserhöhung festhalten.
Nicht zuletzt dürfte es der Fed darum gehen, ihre Handlungsfähigkeit auch angesichts der Kritik von Trump an einer angeblich besonderen Beziehung zwischen dem demokratisch regierten Weißen Haus und der US-Notenbank zu beweisen. Direkte Rücksichtnahme auf die neue politische US-Führung wird sie nicht nehmen, es sei denn, sie wäre mit finanz- oder realwirtschaftlichen Fehlentwicklungen verbunden.
Auch die Trump-Administration wird in den Genuss einer vermutlich freizügig bleibenden Geldpolitik kommen. Seine infrastrukturelle Offensive und Steuersenkungen sind ohne die Hilfe der kritisierten Fed nicht möglich. Trump dürfte noch sehr dankbar für eine dem Konjunkturaufschwung zugeneigte Fed-Präsidentin Yellen sein.
Wie viel Konjunkturaufschwung in den USA ist mit Trump verbunden?
Unter normalen Umständen hätte nach dem Wahlsieg Trumps und der mit ihm verbundenen (wirtschafts-)politischen Unsicherheit die als sicher geltende Anlageklasse "US-Staatspapiere" profitieren müssen. Diese Entwicklung ist jedoch ausgeblieben, die Anleiherenditen sind sogar gestiegen. Dahinter verbirgt sich die Einschätzung, dass die von Trump propagierte Renaissance der amerikanischen Basisindustrie, Steuersenkungen und erhöhte Rüstungsausgaben das US-Wirtschaftswachstum beflügeln und für Inflation sorgen werden.
In diese Konjunktureinschätzung passt auch der nach Wahlsieg Trumps plötzliche Preisanstieg der Industriemetalle, Kupfer und Eisenerz. Vor dem Hintergrund, dass Trump mindestens eine Billion US-Dollar in Straßen, Brücken und (Flug-)Häfen investieren will, ist tatsächlich eine höhere Rohstoffnachfrage zu erwarten. Dieses Bild unterstützt auch der sichere Hafen Gold, dessen Preis nach einer anfänglichen Bewegung nach oben wieder nachgegeben hat.
US-Konjunktur stark, Dollar stark - Unter sonst gleichen Bedingungen nicht schlecht für DAX und MDAX
Auch der US-Dollar spielt nicht die Rolle, die ihm das Lehrbuch bei politischer Unsicherheit zuschreibt. Er ist nur kurz gefallen, um anschließend gegenüber fast allen Währungen zu steigen. Insbesondere der mexikanische Peso hat wegen der geplanten Restriktionen gegen Mexiko verloren. Aber auch der Euro und japanische Yen - an sich die Alternativkrisenwährungen, wenn selbst Amerika mit Risiken behaftet ist - geben nach.
Zumindest im Augenblick kommt ebenso in der Währungsentwicklung die Einschätzung zum Ausdruck, dass die amerikanische Konjunktur zulasten der "Rest-Welt" profitieren könnte.
Ein schwächerer Euro ist sicherlich ein unterstützender Faktor für deutsche Exportaktien.
Trump Jump - Make America great and Europe weak again?
Mit dem Sieg Trumps sind immerhin Fakten geschaffen worden: Je mehr Zeit vergeht, desto mehr werden die Schwarz-Weiß-Betrachtungen weichen und die Grautöne überwiegen. Statt Emotion zwischen Euphorie und Untergangsstimmung wird immer mehr die Ratio die Oberhand gewinnen. Wahlkampf war gestern, Realpolitik ist morgen. Das Oberste Gericht der USA sollte als schweres Handicap für eine allzu flott durchregieren wollende Regierung nicht unterschätzt werden. Auch Ronald Reagan und Bush jr. haben sich schon an ihm die Zähne ausgebissen.
Die "legendären" Polit-Scharmützel zwischen Demokraten und Republikanern wird es aufgrund der stabilen Mehrheiten der Republikaner in weniger dramatischer Form geben. Eine absurde fiscal cliff-Krise wie 2012, die die USA unnötig an den Rand eines zumindest technischen Zahlungsausfalls geführt hatte - im März 2017 steht die nächste Erhöhung der US-Schuldenobergrenze an - wird es als Stör-Faktor für US-Aktien nicht geben.
Eine Ankurbelung der US-Wirtschaft ist sicher ein fundamentales Argument für US-Aktien. Der Dow hat zwischenzeitlich bereits ein neues Allzeithoch erreicht. Hauptprofiteure sind bereits jetzt die Industrie, Pharma- und Bankenwerte, was in ihrer Outperformance zum Ausdruck kommt.
Das eigentliche politische Problem ist ein uneiniges Europa
Ohne Zweifel, für Deutschland als Exportnation und seine Aktienmärkte kann man aus dem Wahlsieg von Trump grundsätzlich viel Dramatik ableiten. Es ist zu hoffen, dass handelsrestriktive Wahlkampfthesen nicht zu tatsächlichen Regierungsthesen werden.
Grundsätzlich sollten die Trumpesken Risiken nicht unterschätzt werden. Denn die Zeiten werden für Deutschland insbesondere aus politischer Sichtweise größer. Die Wahl Trumps ist Kunstdünger für die Anti-Establishment- und Anti-Globalisierungsbewegungen in vielen EU-Ländern. So ist denkbar, dass viele Italiener das bevorstehende Referendum über die Verwaltungsreform als Herzstück der italienischen Reformbemühungen am 4. Dezember als willkommene Gelegenheit benutzten, um ihrer Euro-Verdrossenheit mit einem "Nein" Ausdruck zu verleihen. Damit steigt die Gefahr einer Regierungskrise um Ministerpräsident Renzi und von Neuwahlen im nächsten Jahr. Im Extremfall stünden 2017 vier Wahlen in den Niederlanden, Frankreich, Deutschland und eben Italien an, die zu Euro-feindlichen Wählerprotesten und insofern zu verstärkter politischer Eurosklerose mit enormem Schadenspotenzial auch für die Euro-Finanzmärkte führen könnten. Und der Hard Brexit kommt als Belastungsfaktor auch noch hinzu. Die EU hat jetzt die Gelegenheit, mit Strukturreformen der EU und der Eurozone zu zeigen, was sie kann. Und nur mit Einigkeit kann Europa gegen zu viel Trump anstinken.
Insgesamt ist zukünftig mehr Volatilität bei deutschen Aktien zu erwarten.
Charttechnik DAX und S&P 500
Charttechnisch liegen beim DAX die ersten Widerstände bei 10.802, 11.055 und schließlich bei 11.187 Punkten, gefolgt von einer starken Barriere bei 11.431. Im Falle einer Gegenreaktion im DAX liegt eine erste Unterstützung bei 10.535 Punkten. Wird diese durchbrochen, treten weitere Haltelinien bei 10.492, 10.383 sowie darunter bei 10.250 in den Vordergrund.
Im S&P 500 wartet auf dem Weg nach oben der erste Widerstand bei 2.185 Punkten. Wird diese Hürde überwunden, wartet knapp darüber eine weitere Barrieren bei 2.194. Auf der Unterseite liegen die ersten Unterstützungen bei 2.135 und 2.083 Punkten sowie knapp darunter bei 2.079. Werden diese unterschritten, liegt die nächste Haltelinie bei 1.972 Punkten.
Der Wochenausblick für die KW 46 - In den USA mehr politische Butter bei die Fische
Das Trump-Lager wird konkreter bei der Auswahl des demnächst regierenden politischen Personals werden. Dies lässt Rückschlüsse auf die zukünftige Ausrichtung der US-Politik zu.
In China signalisieren Daten zu Industrieproduktion und Einzelhandelsumsätzen eine Konjunkturstabilisierung auf niedrigem Niveau. In Japan taugt das stabile, jedoch schwache Wirtschaftswachstum im III. Quartal nicht wirklich zur Reflationierung einer deflationären Volkswirtschaft.
In den USA zeigt sich die Inflationsrate trotz erneutem Anstieg weiterhin zinserhöhungsunkritisch. Das gilt auch für den Immobilienmarkt, der gemäß Baubeginnen und -genehmigungen lediglich seine Seitwärtsbewegung fortsetzt. Auch die blutleere Industrieproduktion und ein wieder schwächerer Index der Frühindikatoren des Conference Board liefern keine Gründe für eine nachhaltige US-Leitzinswende.
Auch in der Eurozone bewegt sich der Inflationsdruck nach wie vor in engen Grenzen. In Deutschland zeigt sich die Wirtschaftsstimmung laut ZEW Konjunkturerwartungen immerhin stabil.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.