Dabei ist Wirecard mit seinen nur 4500 Mitarbeitern an der Börse schon mehr als 23 Milliarden Euro wert - mehr als die Deutsche Bank und mehr als doppelt so viel wie die Commerzbank. Letztere, ein Dax-Gründungsmitglied, muss nun den Platz für Wirecard räumen. Denn Investoren sind geradezu begeistert vom Geschäftsmodell der Bayern.
Wirecard ist im Online-Handel allgegenwärtig, ohne dass es Verbrauchern auffällt. Das Unternehmen ist keine klassische Bank, verfügt aber über eine Banklizenz und verdient Geld mit der Abwicklung von digitalen Zahlungen für Tausende Firmenkunden. Wirecard liefert dafür Schnittstellen und Infrastruktur - ob an der Ladenkasse, über Handy, herkömmliche Computernetzwerke oder Karten.
1999 gegründet, verdiente das Unternehmen anfangs auch Geld mit Zahlungen für Glücksspiel und Pornografie. Solchen Schmuddelecken ist es entwachsen, Wirecard kooperiert mit Konzernen wie der Fluglinie KLM, großen Banken sowie dem Kreditkartenanbieter Visa.
"Ziel des Vorstands ist es, kraftvoll organisch die Welt zu erobern", verkündete Chef Markus Braun wenig bescheiden im Frühjahr. Er weiß starke Fakten hinter sich: Im ersten Halbjahr flossen Zahlungen in Höhe von gut 56 Milliarden Euro über die Wirecard-Plattform.
Für Fantasie an der Börse sorgt die Zusammenarbeit mit den IT-Riesen Google (Alphabet C (ex Google)) und Apple aus den USA sowie Alibaba und Tencent aus China. Wenn chinesische Touristen über das Chatprogramm WeChat hierzulande einkaufen, wickelt Wirecard die Zahlung gegen Gebühr ab. Händler müssen die Rechnung der Käufer nur auf dem Smartphone per Gerät scannen, wie Wirecard im eigenen Ausstellungsraum demonstriert. Auch smarte Armbanduhren sind dort zu sehen, deren Display Kunden zum Zahlen an ein Kassenterminal im Supermarkt halten können.
Noch wird der Großteil der weltweiten Zahlungen mit Bargeld beglichen. Doch Innovationen wie Zahlen per Smartphone von unterwegs dürften das mittelfristig ändern. Wirecard-Chef Braun glaubt, dass in den kommenden fünf bis zehn Jahren die gesamte Zahlinfrastruktur im Einzelhandel durch digitale Technologie abgelöst wird.
Wenn Geld immer öfter nicht mehr direkt vom Kunden bar in die Ladenkasse wandert, sind Risikoabsicherungen gefragt. Auch hier mischt Wirecard mit: Kauft ein Kunde im Netz per Visa-Karte ein, garantiert das Unternehmen dem Händler die Zahlung. Der kann so schon mit dem Kapital arbeiten. Später zahlt Visa das Geld, und Wirecard überweist es nach Abzug einer Gebühr an den Händler.
Auch vom allmählich wachsenden Markt für mobiles Zahlen in Deutschland dürfte der Konzern profitieren. Apple und Google führen ihre Zahldienste hierzulande ein und kooperieren mit den Münchnern. Von Google Pay und Apple Pay erwarte man sich einen "Schub", sagte Finanzvorstand Alexander von Knoop der Deutschen Presse-Agentur.
Die Investoren hat Wirecard mit stetig wachsenden Gewinnen verwöhnt. Jüngst wurde die Gewinnprognose erhöht, der Umsatz soll sich bis 2020 auf mehr als drei Milliarden Euro verdoppeln. Dafür werde der Konzern auch neue Branchen stärker in den Blick nehmen, kündigte der Manager an. Zahlungsabwicklungen für Streaming-Dienste etwa seien attraktiv.
In den letzten Jahren hat Wirecard viele Firmen in Schwellenländern wie Südafrika und Indonesien gekauft. Nun soll das Übernahme-Tempo sinken. Mit dem Kauf des US-Kartendienstes Citi Prepaid sei Wirecard auf allen relevanten Kontinenten vertreten, sagte von Knoop. "Wir werden uns nun auf Wachstum aus eigener Kraft und Innovationen konzentrieren und Zukäufe nur opportunistisch sehen." Im ersten Halbjahr kam fast die Hälfte des Erlöswachstums aus Zukäufen.
Auch Übernahmen hatten Wirecard-Aktien in einen Höhenflug versetzt: Binnen drei Jahren haben sich die Anteile auf fast 200 Euro mehr als verfünffacht. Dabei prallten Vorwürfe wie Bilanzmanipulation und Intransparenz an Wirecard ab, ebenso wie ein dubioser Angriff von Spekulanten 2016, der das Papier zum Absturz brachte. "Die inzwischen höhere Sichtbarkeit und bessere Verständlichkeit unseres Geschäftsmodells hilft gegen solche Attacken", meint von Knoop.
Der kometenhafte Anstieg hat indes auch Chef Braun reich gemacht: Er hält gut sieben Prozent der Anteile, ein Paket im Wert von mehr als 1,6 Milliarden Euro. Nun gilt die Aktie als sehr teuer. Wollen die Münchner Anlegerliebling bleiben, darf er nicht nachlassen./als/cho/DP/fba