"Das Vertrauen des Kapitalmarktes in das von mir seit 18 Jahren geführte Unternehmen ist tief erschüttert", erklärte der Firmengründer, der am Freitag mit sofortiger Wirkung als Vorstandschef zurücktrat. "Mit meiner Entscheidung respektiere ich, dass die Verantwortung für alle Geschäftsvorgänge beim CEO liegt."
Für Wirecard geht damit eine Ära zu Ende. Der 50-jährige Wiener, der mit einem Anteil von sieben Prozent selbst größter Aktionär von Wirecard ist, hat das ehemalige Startup in zwei Jahrzehnten zu einem globalen Anbieter von Zahlungsabwicklungen gemacht und bis in den Dax geführt. Seinen Posten übernimmt der 49-jährige ehemalige Deutsche-Börse-Manager James Freis. Bereits am Donnerstag hatte der Aufsichtrat den für das Tagesgeschäft zuständigen Vorstand Jan Marsalek vor die Tür gesetzt. Die im Dax notierten Wirecard-Aktien holten nach Brauns Rücktritt einen Teil ihrer Verluste wieder auf, sie notierten aber immer noch gut 30 Prozent tiefer bei 26 Euro. In nur eineinhalb Tagen wurden rund zehn Milliarden Euro an Börsenwert vernichtet.
Nun steht der Konzern mit dem Rücken zur Wand. Bilanzprüfer fanden ein 1,9 Milliarden Euro großes Loch in den Büchern und stellten dem Zahlungsdienstleister deshalb kein Testat aus für den Jahresabschluss 2019. Weil dieser nicht vorliegt, könnten Banken Kredite über rund zwei Milliarden Euro kündigen, wie Wirecard mitteilte. Wirecard befinde sich in "konstruktiven Gesprächen" mit den kreditgebenden Banken hinsichtlich der Fortführung von Kreditlinien und der weiteren Geschäftsbeziehung, teilte Wirecard mit.
Der Rücktritt sei konsequent und überfällig, sagte Marc Tüngler von der Aktionärsvereinigung DSW. "Damit ist der Weg für eine Aufklärung freier geworden." Allerdings könne das nur ein Anfang sein, es müsse schnell geklärt werden, wo das Geld geblieben sei. "Durch den Rücktritt von Braun fängt die Schadensminimierung an", sagte Analyst Neil Campling vom Broker Mirabaud. An der Börse herrschte aber Zweifel, ob der Schritt ausreicht. "Der alte Vorstand war untragbar und schnell die Köpfe rollen zu lassen, war die einzige Chance für eine Stabilisierung", sagte ein Händler. "Ob das tatsächlich den fundamentalen Schaden von Wirecard noch abwenden kann, wird sich erst in den kommenden Tagen und Wochen zeigen."
NEUER VORSTAND HAT EINE MAMMUTAUFGABE VOR SICH
Braun hatte noch in der Nacht zum Freitag über ein Video auf der Internetseite des Konzerns verkündet, Wirecard sei womöglich Opfer eines Betrugs. Es sei aktuell unklar, warum die Banken, die im Auftrag von Wirecard Treuhandkonten im Ausland verwalteten, nun erklärt hätten, Bestätigungen über dort angelegte Milliardensummen seien gefälscht. Die philippinischen Banken BDO Unibank und Bank of the Philippine Islands (BPI) dementierten dagegen, mit Wirecard eine Geschäftsbeziehung zu führen. Dokumente, die externe Prüfer von Wirecard vorgelegt hätten, seien gefälscht.
Der neue Chef Freis hat nun eine Mammutaufgabe vor sich, dabei kennt er das Unternehmen noch gar nicht. Eigentlich hätte er erst am 1. Juli starten sollen. Nun muss er Verhandlungen mit Banken führen, das Vertrauen bei Investoren wieder herstellen und dafür sorgen, dass sich wegen des Bilanzskandals nicht auch noch Kunden abwenden. Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann, der selbst erst seit Jahresanfang das Kontrollgremium leitet, holt sich einen Vertrauten an Bord. Die beiden kennen sich von ihrer gemeinsamen Zeit bei der Deutschen Börse. Freis leitete dort das Compliance-Geschäft, Eichelmann war einige Jahre Finanzvorstand.
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Wirecard sieht sich seit Jahren in Medienberichten Vorwürfen der Bilanzmanipulation ausgesetzt, hat diese aber wiederholt bestritten. Im September 2018, als der Zahlungsabwickler die 150 Jahre alte Commerzbank aus dem Dax verdrängte, kostete eine Wirecard-Aktie noch fast 200 Euro. Braun wurde als Visionär gefeiert, der den angestammten Banken mit seinem Geschäftsmodell das Fürchten lehren sollte. Mit rund 5500 Mitarbeitern wickelt Wirecard aus einem kleinen Münchener Zahlungen an Ladenkassen und mit dem Smartphone ab.
Gegen Wirecard-Vorstände ermittelt die Staatsanwaltschaft München wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Zudem schaut sich die Finanzaufsicht BaFin mehrere Vorgänge genauer an. Ärger droht Wirecard wegen des verschobenen Jahresabschlusses auch mit der Deutschen Börse. Weil die Frist für die Vorlage des Geschäftsberichts bereits im April abgelaufen ist, prüft die Frankfurter Wertpapierbörse schon seit dieser Zeit die Einleitung eines Sanktionsverfahrens.
rtr