FRANKFURT (dpa-AFX) - Der Schwung am deutschen Aktienmarkt ist nach dem starken Vortag am Mittwoch erlahmt. Der Leitindex Dax pendelte in einer recht engen Spanne um den Vortagesschluss und reagierte am Nachmittag negativ auf Wirtschaftsdaten aus den USA: Zuletzt sank er um 0,46 Prozent auf 14 120,55 Punkte. Für den MDax der mittelgroßen Unternehmen ging es um 0,28 Prozent auf 29 288,44 Punkte nach unten. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 verlor 0,57 Prozent auf 3720,20 Zähler.

"Es ist noch nicht an der Zeit, den Gesamtmarkt zu kaufen, und so kann sich die aktuelle Erholungsphase tatsächlich schnell als Eintagsfliege erweisen", kommentierte Experte Andreas Lipkow. "Der Dax befindet sich in einer sehr wichtigen Börsenphase in der es um Sekt oder Selters für die Marktteilnehmer in den kommenden Handelstagen geht." Die relative Schwäche am frühen Nachmittag begründete Lipkow auch mit den US-Börsen, die nach den klaren Vortagsgewinnen nun ebenfalls im Minus erwartet werden.

Andere Marktteilnehmer thematisierten die Zweischneidigkeit guter Konjunkturdaten für die Börsen. Während die Experten der Commerzbank sie als Kurstreiber hervorhoben, erinnerte die niederländische Bank ING daran, dass eine gute Wirtschaftsentwicklung auch den Spielraum der Notenbanken für eine geldpolitische Straffung erweitert. Die hohen Verbraucherpreise bleiben das große Problem. Steigende Zinsen begünstigen tendenziell festverzinsliche Wertpapiere wie Anleihen gegenüber Aktien.

Dementsprechend unterschiedlich lassen sich auch die jüngsten, eher schwachen Daten aus der US-Bauindustrie interpretieren. Die Baubeginne gingen im April zum Vormonat zwar weniger stark zurück als von Analysten erwartet. Allerdings wurde der moderate Anstieg im Vormonat in einen deutlichen Rückgang revidiert. Zudem fiel die Zahl der Baugenehmigungen im April noch etwas deutlicher als prognostiziert. Sie laufen den Baubeginnen zeitlich voraus und geben einen Hinweis auf die zu erwartende Bautätigkeit.

Unternehmensseitig standen am deutschen Aktienmarkt zur Wochenmitte Übernahmehoffnungen und Geschäftszahlen im Fokus. Dass Siemens Energy Überlegungen über eine Komplettübernahme der spanischen Windkrafttochter Siemens Gamesa bestätigte, ließ die Aktien des Energietechnikkonzerns im MDax um mehr als zwei Prozent steigen. Man erwäge ein Kaufangebot in bar, um die Tochter im Anschluss potenziell von der Börse zu nehmen, teilte Siemens Energy mit. Es sei aber noch keine Entscheidung getroffen worden. Zudem gebe es keine Gewissheit, ob es zu einem Deal kommen werde oder nicht. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg über die Pläne berichtet.

Die Übernahme, über die schon lange spekuliert worden war, wäre laut Händlern strategisch sinnvoll. Damit würde Siemens Energy seine Anstrengungen verstärken, eine Trendwende bei der Problem-Tochter herbeizuführen. Die Siemens-Gamesa-Aktien an der Börse in Madrid waren zeitweise vom Handel ausgesetzt und gewannen zuletzt über 13 Prozent.

Von der Nachricht profitierten auch andere Papiere aus dem Bereich Erneuerbare Energien: Die Anteilsscheine der Siemens-Gamesa-Konkurrentin Nordex gewannen im Nebenwerte-Index SDax 2,3 Prozent und jene des Windpark-Betreibers Encavis drei Prozent. Der Dax-Spitzenreiter RWE verbuchte zuletzt ein Kursplus von drei Prozent. Dies reichte dem Energiekonzern für das höchste Kursniveau seit 2011. Fantasie für langfristige Windkraftziele auf hoher See und ein Milliardenplan der EU für die Unabhängigkeit von russischer Energie galten als Treiber. Die Windkraft-Branche blickt auch gespannt auf einen in Dänemark anstehenden europäischen Windenergie-Gipfel, auf dem es um den Ausbau der Windenergie in der Nordsee gehen soll.

Bei der Commerzbank sorgte das Thema Übernahme ebenfalls für etwas Rückenwind. Die Aktien gewannen als MDax-Spitzenreiter viereinhalb Prozent, nachdem die "Financial Times" berichtet hatte, dass die italienische Unicredit vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs einen Kauf der Konkurrentin und die Zusammenlegung mit der deutschen Tochter Hypo Vereinsbank erwogen habe. Einem Börsianer zufolge ist das Thema zwar aufgeschoben, aber noch nicht vom Tisch: "Die Fusionsfantasie ist zurück."

Dagegen büßten Dermapharm-Titel nach Zahlen am SDax-Ende fast neun Prozent auf 46,98 Euro ein. Bei 46,84 Euro hatten sie zeitweise sogar den tiefsten Stand seit November 2020 markiert. Experte Alexander Thiel vom Analysehaus Jefferies attestierte dem Arzneimittelhersteller ein durchwachsenes erstes Quartal.

Außerhalb der deutschen Aktienindizes büßten Cropenergies-Titel über neun Prozent ein, nachdem der Biosprit-Hersteller seine Jahresbilanz vorgelegt hatte. Die Aktien des SDax-notierten Wettbewerbers Verbio verbilligten sich um 8,7 Prozent. Börsianer verwiesen auf konkretisierte Pläne einer Abschaffung von Biokraftstoffen der Bundesregierung.

Der Euro kostete zuletzt 1,0521 US-Dollar. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte den Referenzkurs am Vortag auf 1,04541 Dollar festgesetzt.

Am deutschen Anleihenmarkt ging es bergab: Der Rentenindex Rex fiel um 0,44 Prozent auf 135,42 Punkte. Die Umlaufrendite stieg im Gegenzug von 0,84 Prozent am Vortag auf 0,91 Prozent. Der Bund-Future verlor 0,28 Prozent auf 152,13 Punkte./gl/jha/

--- Von Gerold Löhle, dpa-AFX ---

Quelle: dpa-Afx