FRANKFURT (dpa-AFX) - Nach einer kurzen Stabilisierung ist der Dax am Donnerstag deutlich ins Minus gedreht. Der Krieg in der Ukraine und steigende Energiepreise belasteten den deutschen Leitindex. Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar von RoboMarkets bezeichnete die anfänglichen Kursgewinne als eine lediglich technische Gegenbewegung nach den jüngsten Verlusten, die nicht überbewertet werden sollte.
Am Nachmittag verlor der Dax 0,58 Prozent auf 13 918,43 Punkte. Damit blieb er zwar über dem Tiefstand seit einem Jahr, auf den er zur Wochenmitte abgerutscht war, bevor er es noch in positives Terrain geschafft hatte. Seit Anfang Januar, als der Index nur knapp unter dem Rekordhoch aus dem November geblieben war, beläuft sich der Kursrückgang aktuell aber schon auf knapp 15 Prozent beziehungsweise über 2300 Punkte.
Der MDax der mittelgroßen deutschen Unternehmen sank zuletzt um 0,53 Prozent auf 30 935,70 Punkte. Für den Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 ging es um 0,29 Prozent auf 3809,49 Zähler nach unten.
Es herrsche weiter Unsicherheit über den Verlauf des Krieges in der Ukraine und die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen gegen Russland, betonte Experte Molnar. Denn dass die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine über einen Waffenstillstand fortgesetzt würden, "während russische Truppen die ukrainische Hauptstadt Kiew weiter unter Beschuss nehmen", klinge doch "ziemlich illusorisch".
Marktexperte Andreas Lipkow von Comdirect betonte die sich eintrübenden Konjunkturaussichten in den Vereinigten Staaten und Europa: Hinter vorgehaltener Hand sprechen einige institutionelle Investoren bereits von den Gefahren einer potenziellen Stagflation in den USA.
Unternehmensseitig steht am deutschen Aktienmarkt weiter die laufende Berichtssaison im Fokus. Dass der Pharma- und Spezialchemiekonzerns Merck KGaA dank guter Geschäfte der Laborsparte nach dem historisch starken Vorjahr auch 2022 ein hohes organisches Wachstum bei Umsatz und bereinigtem Ergebnis anpeilt, ließ die Aktien an der Dax-Spitze um knapp drei Prozent zulegen. JPMorgan-Analyst Richard Vosser sprach von einem starken Ausblick, der die Konsensschätzung für das operative Ergebnis (Ebitda) steigen lassen sollte.
Beim zuletzt starken Versorger RWE und dem im MDax gelisteten Branchenkollegen Uniper standen indes Verluste von über acht beziehungsweise fast 19 Prozent zu Buche. Börsianer führten diese auf den Krieg in der Ukraine zurück. Vor allem Uniper sei ein bedeutender Importeur von Erdgas aus Russland, heißt es im Handel. Mit der fortgesetzten Auseinandersetzung und den einschneidenden Sanktionen gegen Russland seien folglich unmittelbar operative Risiken für den Stromerzeuger verbunden. Die finnische Uniper-Mutter Fortum stoppte alle neuen Investitionsprojekte in Russland.
Aus dem MDax legten gleich mehrere Mitglieder Zahlen vor. Lufthansa-Titel waren mit einem Minus von gut fünfeinhalb Prozent einer der größten Verlierer. Die Fluggesellschaft stellt sich angesichts des Ukraine-Krieges nach zwei verlustreichen Pandemiejahren auf weiter schwierige Zeiten ein. Sie konnte zwar 2021 ihren Verlust um zwei Drittel reduzieren. Ob sie 2022 in die Gewinnzone zurückkehrt, ließ der Vorstand aber offen. Analyst Dirk Schlamp von der DZ Bank befürchtet, dass sich der stark steigende Ölpreis und geopolitische Risiken auf die Nachfrage auswirken könnten.
Die anfangs freundlichen Aktien von ProSiebenSat.1 sackten um fast fünf Prozent auf ein Tief seit November 2020 ab, obwohl der Fernsehkonzern am Rekordumsatz des vergangenen Jahres anknüpfen und 2022 noch mehr schaffen will. Das Unternehmen habe zwar einen guten Ausblick gegeben, schrieb JPMorgan-Analyst Daniel Kerven. Die Anleger sollten jedoch abwarten angesichts möglicher Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine. Der militärische Konflikt drohe die positive Dynamik der Werbeeinnahmen zu bremsen.
Die Anteilseigner von Evonik mussten einen Kursverlust von mehr als drei Prozent verkraften. Der Spezialchemiekonzern traut sich trotz der hohen Rohstoffkosten 2022 ein weiteres Gewinnwachstum zu, betont aber auch die Unsicherheiten durch die Entwicklungen in der Ukraine.
Dagegen legten die Aktien von Kion mit einem Plus von zuletzt noch mehr als sieben Prozent eine Erholungsrally hin und eroberten den MDax-Spitzenplatz. Der Gabelstapler-Hersteller profitierte im vergangenen Jahr von der großen Nachfrage nach Logistik-Fahrzeugen und blickt zuversichtlich auf 2022. Im Kielwasser von Kion schafften es die Titel des Konkurrenten Jungheinrich mit einem Plus von über einem Prozent ebenfalls auf einen der vorderen Indexplätze.
Beim Anlagenbauer Gea bremsten zwar Lieferengpässe das Umsatzwachstum im vergangenen Jahr. Allerdings legte der Gewinn dank der Restrukturierungsmaßnahmen des Unternehmens deutlich zu. Die Aktien verbilligten sich indes um zwei Prozent und waren damit so günstig wie zuletzt im vergangenen Sommer.
Der Euro sank auf 1,1071 US-Dollar. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte den Referenzkurs am Mittwoch noch auf 1,1106 Dollar festgesetzt.
Am Rentenmarkt stieg die Umlaufrendite deutlich von minus 0,17 Prozent am Vortag auf minus 0,08 Prozent. Der Rentenindex Rex fiel um 0,45 Prozent auf 143,00 Punkte. Der Bund-Future verlor zuletzt 0,22 Prozent auf 168,70 Zähler./gl/mis
--- Von Gerold Löhle, dpa-AFX ---
Quelle: dpa-Afx