FRANKFURT/LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Beim Kunststoffkonzern Covestro
DAS IST LOS BEI COVESTRO:
Mitte April machte Covestro-Chef Markus Steilemann den Aktionären ein verspätetes Ostergeschenk: Nach einem überraschend guten Start ins Jahr hob er das Gewinnziel für 2021 an. Einige Experten hatten durchaus höhere Prognosen auf dem Schirm, allerdings erst später damit gerechnet, da es so früh im Jahr naturgemäß noch viele Unwägbarkeiten gibt.
Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) soll im laufenden Jahr nun 2,2 bis 2,7 Milliarden Euro erreichen, nachdem zuvor bestenfalls 2,2 Milliarden in Aussicht gestellt worden waren. Im ersten Quartal wurden davon laut vorläufigen Berechnungen bereits 743 Millionen Euro eingespielt. Im zweiten Jahresviertel sollen es 730 bis 870 Millionen Euro werden. Der auch für die Dividende wichtige freie operative Mittelzufluss wird vom Konzern nun zwischen 1,3 und 1,8 Milliarden Euro erwartet nach davor angepeilten bis zu 1,4 Milliarden Euro.
Rückenwind liefert 2021 auch die Übernahme des Geschäfts mit Beschichtungsharzen des Konkurrenten DSM. Der Anfang April abgeschlossene Zukauf soll die kleinste Covestro-Sparte CAS rund um Vorprodukte für Lacke, Klebstoffrohstoffe und Spezialanwendungen stärken. Dank des Zukaufs rechnet das Management für den Konzern mit einem Mengenwachstum im Kerngeschäft von 10 bis 15 Prozent im laufenden Jahr, ohne den Kauf wären es sechs Prozentpunkte weniger.
Rund läuft es aktuell auch in den beiden größeren Sparten rund Vorprodukten für Hart- und Weichschäume (PUR, Polyurethane) sowie harte Kunststoffe (Polycarbonate). Die hatten 2018 und 2019 unter einem größeren Wettbewerb gelitten, 2020 setzte ihnen dann zumindest anfangs die Corona-Krise schwer zu. Die Nachfrage der Autobranche, aber auch der Möbel- und Holzverarbeitungsindustrie nach den Covestro-Produkten, die in Autositzen und Stühlen Verwendung finden, brach zusammen.
Immerhin: Ab Mai 2020 ging es bei den Leverkusenern bergauf, erst langsam, dann schwungvoll. Und dieser Trend dauert aktuell an. Möbel, Haushalts- und Unterhaltungselektronik sind weiter stark gefragt. Das Homeoffice boomt, und viele Menschen hübschen ihre Wohnungen fleißig auf, da sie wegen der Lockdowns viel Zeit zu Hause verbringen. Das hilft auch Covestro, dessen Kunststoffe etwa in Smartphone- und Notebookhüllen stecken, aber auch für die Dämmung von Kühlschränken sorgen.
Hinzu kommt die starke Erholung der Autobranche. Das Geschäft mit den Autoproduzenten und -zulieferern macht bei Covestro rund ein Fünftel des Umsatzes aus. Und schließlich profitiert der Konzern auch von Produktionsausfällen der Konkurrenz, was zu Knappheiten gerade bei Polyurethanen führt und damit die Preise antreibt.
Mehr Details zur aktuellen Geschäftsentwicklung wird es an diesem Mittwoch (28. April) geben. Dann veröffentlicht der Dax-Konzern die detaillierten Zahlen für das erste Quartal und wird sich auch näher zu den Erwartungen für die kommenden Monate äußern.
DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:
Viele Analysten hoben ihre Kursziele angesichts des neuen Konzernausblicks jüngst weiter an. Im Durchschnitt erwarten die 13 von der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX erfassten Experten in den kommenden Monaten einen Anstieg um rund ein Fünftel bis auf knapp 66,50 Euro.
Mit neun Kaufen-Stimmen ist die überwiegende Mehrheit optimistisch gestimmt, zwei Analysten raten zum Halten der Papiere, zwei sehen sie als zu hoch bewertet an und sagen "Verkaufen".
Am zuversichtlichsten sind die Experten der Commerzbank und der Investmentbank Goldman Sachs mit Zielen von jeweils 75 Euro. Für Georgina Iwamoto von Goldman Sachs ist die Anhebung der Unternehmensziele ein Signal der Stärke. "Der fundamentale Hintergrund muss außerordentlich positiv sein für ein eigentlich konservatives, zyklisches Chemieunternehmen, um so früh im Jahr eine so deutlich über den Markterwartungen liegende Gewinnprognose abzugeben."
Dass die Aktien zuletzt dennoch ein wenig unter Druck geraten sind, hält Iwamoto für ungerechtfertigt. Investoren sorgten sich offenbar über einen nachlassenden Schwung bei der Geschäftsentwicklung. Allerdings seien die Bedenken hinsichtlich einer wieder größeren Konkurrenz vorerst unbegründet. Die Produktionsengpässe der Branche dürften auch in den kommenden Monaten bestehen, erklärt die Expertin und verweist auf geplante Wartungsstillstände bei verschiedenen Produzenten. Das dürfte für eine hohe Auslastung der weiter laufenden Anlagen und auch in den kommenden Jahren für tendenziell höhere Verkaufspreise sorgen.
Auch Markus Mayer von der Baader Bank glaubt an ein weiter positives Umfeld für die Gewinnmargen von Covestro. Erst ab dem dritten Quartal dürften sie sich wieder normalisieren - also zurückkommen - wenngleich das auch noch etwas länger dauern könnte.
Deutlich skeptischer ist Thomas Wrigglesworth von der Citigroup. Für ihn war der optimistischere Unternehmensausblick keine Überraschung, er sei bereits in den Aktienkurs eingepreist gewesen. Viele Kunden füllten ihre in der Pandemie geleerten Lager auf, was zusammen mit den Produktionsengpässen in der Branche die Nachfrage und damit auch die Profitabilität stark angetrieben habe. Allerdings werde das globale Angebot von Polycarbonat sowie des Schaumstoffvorprodukts MDI bald wachsen, gerade weil die erzielbaren Gewinne den Anbietern einen Ausbau der Kapazitäten schmackhaft machten. Bei einem Kursziel von 54 Euro rät der Experte daher zum Verkauf der Papiere.
Mit Blick auf den Kauf des Beschichtungsharze-Geschäfts von DSM äußerte sich Sven Diermeier von Independent Research zuletzt positiv. Die Übernahme sei sinnvoll, da Covestro zum Marktführer bei Beschichtungsharzen aufsteige und der Anteil der Spezialchemie im Konzern größer werde. So ist die Spezialchemie in der Regel gewinnträchtiger und auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten oftmals stabiler als das Geschäft mit Massenware.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Die rasante Kurserholung der Covestro-Papiere geriet Anfang März ins Stocken, auch der optimistischere Gewinnausblick half nicht. Mit einem Kurs von aktuell knapp 55,50 Euro haben die Aktien seit dem Zweieinhalbjahreshoch im März rund zwölf Prozent verloren. Dennoch: Im Vergleich zum Corona-Crashtief vor etwas mehr als einem Jahr von 23,54 Euro summieren sich die Gewinne immer noch auf 136 Prozent. Damit zählen sie in diesem Zeitraum zu den Favoriten im Dax.
Anleger der ersten Stunde - Bayer hatte die Papiere der damaligen Konzerntochter im Herbst 2015 zu 24 Euro das Stück an die Börse gebracht - können sich mittlerweile also wieder über ein ansehnliches Kursplus freuen.
Aktionäre, die erst während des Booms 2017 oder etwas später auf den Zug aufgesprungen sind, dürften hingegen weniger glücklich sein, denn sie sitzen immer noch auf Buchverlusten: Nach dem Börsengang hatte sich der Aktienkurs im Sog der stark laufenden Geschäfte in gerade einmal zweieinviertel Jahren vervierfacht - zu Beginn des Jahres 2018 kostete das Papier fast 96 Euro. Anschließend ging es aber ebenso rasch wieder nach unten. Seit dem Hoch von damals steht aktuell noch ein Minus von mehr als 40 Prozent zu Buche.
Bei der Marktkapitalisierung - also dem Wert aller Aktien in Summe - bringt es Covestro aktuell auf rund 10,7 Milliarden Euro, was den vorletzten Platz im Dax bedeutet. Ein Abstieg aus der ersten deutschen Börsenliga, wie er letzten Sommer noch gedroht hatte, ist kein Thema mehr. Neben der Kurserholung und dem großen Streubesitz, also dem Anteil frei handelbarer Papiere, liegt das auch an der geplanten Dax-Reform durch die Deutsche Börse. Sie will den deutschen Leitindex im September von 30 auf 40 Werte aufstocken.
Im europäischen Vergleich liegt Covestro in Sachen Börsenwert im hinteren Drittel des Stoxx Europe 600 Chemicals
Quelle: dpa-Afx