LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Konkurrenzdruck, globale Handelsstreitigkeiten, Autoflaute und dann noch die Corona-Krise: Der Kunststoffkonzern Covestro
DAS IST LOS BEI COVESTRO:
Anfang 2018 neigte sich eine außerordentlich starke Zeit für den Spezialisten für Hartplastik, Schaumstoffe und Lackzusätze langsam dem Ende entgegen. Konkurrenten ließen damals Produktionsprobleme hinter sich und bauten - ebenso wie Covestro - angesichts einer guten Nachfrage die Kapazitäten aus. Gleichzeitig begann die Autoindustrie zu schwächeln, mit der Covestro rund ein Fünftel des Umsatzes erzielt. Hinzu kamen der US-chinesische Handelsstreit und das Brexit-Gerangel. Die Gewinne fielen 2018 ein wenig, 2019 dann deutlich.
Und als wäre all das nicht genug, schlug 2020 dann auch noch die Corona-Krise ins Kontor. Im ersten Quartal blieb unter dem Strich ein nur noch kleiner Gewinn hängen, im zweiten Jahresviertel fiel sogar ein Verlust an. Unter Druck standen dabei alle drei Sparten des Konzerns. Das Geschäft mit Vorprodukten für Hart- und Weichschäume (PUR, Polyurethane), die etwa in Autositzen, Stühlen oder auch als Dämmstoffe eingesetzt werden, bekam dabei eine schwache Nachfrage der Autobranche sowie der Möbel- und Holzverarbeitungsindustrie zu spüren. Das gilt auch für das kleinste Segment CAS rund um Vorprodukte für Lacke, Klebstoffrohstoffe und Spezialanwendungen.
Die Autoflaute setzte auch der Polycarbonat-Sparte zu, die harte Kunststoffe entwickelt. Allerdings sorgten hier etwas bessere Geschäfte mit der Bauindustrie für einen gewissen Ausgleich. Zudem geriet der Absatz in die Elektronik- und Haushaltsgeräteindustrie nicht ganz so sehr unter Druck.
Die schwächere Geschäftsentwicklung seit dem Ende des Booms drückte auch den Aktienkurs deutlich nach unten. Die Folge: Nach nur zweieinhalb Jahren im Dax droht Covestro im September der Abstieg aus der ersten deutschen Börsenliga. Dann steht die reguläre jährliche Indexüberprüfung durch die Deutsche Börse an, Basis ist dann die Kursentwicklung bis Ende August.
Bis dahin kann Covestro - eine entsprechende Kursentwicklung vorausgesetzt - also das Ruder noch herumreißen. So rechnete Analyst Pankaj Gupta von der US-Bank JPMorgan in einer am 14. August veröffentlichten Studie vor, dass der Konzern mit Blick auf das Dax-Kriterium der streubesitzgewichteten Marktkapitalisierung auf Rang 42 lag. Um im Dax zu bleiben, muss Covestro allerdings zu den 40 größten Unternehmen gehören, gemessen am Börsenwert der frei handelbaren Aktien.
Um das zu erreichen, müsste Covestro sich in der verbleibenden Zeit ein wenig besser entwickeln als die Aktien der Immobiliengesellschaft Aroundtown
Und genau hier schaut es bislang gut aus. So überzeugte Covestro kurz nach der JPMorgan-Studie und damit womöglich gerade noch zur rechten Zeit mit optimistischen Aussagen zum laufenden dritten Quartal. Die Aussichten seien deutlich besser als noch vor vier bis sechs Wochen erwartet, hieß es. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) könnte daher im dritten Quartal durchaus 350 Millionen Euro erreichen. Das wäre zwar weniger als vor einem Jahr, aber deutlich mehr als Analysten im Schnitt erwartet hatten.
Laut einem Konzernsprecher erholt sich die Nachfrage über alle Branchen: Elektro, Bau, Medizintechnik, aber auch in der Autoindustrie zeichne sich eine wieder bessere Entwicklung ab. Die Verkaufsmengen im Juli hätten bereits auf dem Vorjahreswert gelegen und die Entwicklung scheine sich im August fortzusetzen.
Der Optimismus des Unternehmens verlieh den Aktien frischen Schwung, während die Papiere von Siemens Healthineers jüngst etwas unter Druck standen und die Anteilsscheine von Aroundtown eher auf der Stelle traten. Es könnte also noch etwas werden mit dem Dax-Verbleib von Covestro.
DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:
Die Signale einer Geschäftserholung stimmen auch Analysten zuversichtlicher. Die Kursziele stiegen zuletzt merklich. Das durchschnittliche Ziel der 13 im dpa-AFX-Analyser erfassten Experten, die sich seit der Vorlage der Halbjahreszahlen im Juli geäußert haben, liegt bei fast 40 Euro. Sieben raten zum Kauf der Aktie, fünf zum Halten und nur einer zum Verkaufen.
Sieben dieser Experten äußerten sich seit dem optimistischen Unternehmensausblick für das dritte Quartal. Deren Ziel liegt im Mittel sogar über 44 Euro. Das entspricht einem Kurspotenzial von rund mehr als zehn Prozent.
Analyst Tim Jones von der Deutschen Bank sieht mittlerweile einen klaren Trend steigender Gewinnerwartungen, wenngleich er auch auf die noch zahlreichen konjunkturellen Unsicherheiten verweist. Die machten eine genaue Vorhersage schwer. Sollte aber die Absatzentwicklung im September dem Trend von Juli und August folgen, erschiene ein Ebitda von 350 Millionen Euro im dritten Quartal erreichbar, glaubt der Experte. Mit einem Kursziel von 50 Euro ist Jones der optimistischste Analyst.
Georgina Iwamoto von der US-Investmentbank Goldman Sachs - sie hatte 2018 zu den frühen und wenigen Warnern vor einem Abschwung gezählt - ist seit einiger Zeit deutlich positiver gestimmt und rät aktuell mit einem Kursziel von 48 Euro zum Kauf. So sei Covestro wegen eines Überangebots in der Branche und eines zyklischen Abschwungs, angeführt von der Autobranche, in den letzten Jahren unter den schwächsten Chemiewerten gewesen, erklärt sie. 2020 sollte aber den Tiefpunkt markieren. Sie rechnet mit positiven Überraschungen bei der Absatzentwicklung. Zudem könnten nun Produktionsengpässe in der Branche die Preise antreiben.
Etwas vorsichtiger ist Geoff Haire von der Schweizer Großbank UBS. Auch er sieht angesichts der angestrebten Gewinnentwicklung im dritten Quartal einen möglichen positiven Wendepunkt und hält die Markterwartungen für 2021 nun eher für erreichbar. Ob die Konsenschätzungen nun beständig Luft nach oben hätten, lasse sich angesichts der Entwicklung der Produktionskapazitäten der Branche nur schwer sagen. Zudem können wieder steigende Corona-Infektionszahlen der Konjunkturerholung einen Dämpfer verpassen. Vor diesem Hintergrund stuft Haire die Aktien mit "Neutral" und einem Ziel von 37 Euro ein.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Die Zuversicht des Konzerns hinsichtlich einer Geschäftsbelebung steckte auch die Anleger an. Die ins Stocken geratene Kurserholung nahm im August wieder Fahrt auf. Mit aktuell knapp 39,50 Euro haben die Papiere seit dem Corona-Tief im März von 23,54 Euro um rund zwei Drittel zugelegt. Die Corona-Verluste sind damit fast getilgt.
Damit steht nun auch wieder ein Plus für Anleger der ersten Stunde auf dem Zettel. So hatte Bayer die Papiere der damaligen Konzerntochter im Herbst 2015 zu 24 Euro das Stück an die Börse gebracht.
Anleger, die erst während des Booms 2017 oder Anfang 2018 auf den Zug aufgesprungen sind, dürften hingegen weniger glücklich sein. So hatte sich der Kurs nach dem Börsengang in gerade einmal zweieinviertel Jahren bis Anfang 2018 im Sog der stark laufenden Geschäfte bis auf fast 96 Euro vervierfacht, anschließend ging es aber ebenso rasch wieder nach unten. Trotz der jüngsten Erholung steht seither immer noch ein Minus von fast 60 Prozent zu Buche.
Immerhin: Seit dem Corona-Tief im März hat sich Covestro rund zwölf Prozentpunkte besser entwickelt als der Dax. Allerdings liegt der Konzern beim Börsenwert mit rund 7,2 Milliarden Euro nun auf dem letzten Platz des Dax - den wegen eines Bilanzskandals in die Pleite gerutschten Zahlungsabwickler Wirecard außen vor gelassen, da dieser ab dem 24. August im Dax durch den Essenslieferanten Delivery Hero ersetzt wird.
Im europäischen Vergleich liegt Covestro in Sachen Börsenwert aktuell im hinteren Drittel des Stoxx Europe 600 Chemicals
Quelle: dpa-Afx