BAD HOMBURG (dpa-AFX) - Wie bei so vielen Unternehmen hat die Corona-Epidemie auch die Pläne des Medizin- und Krankenhauskonzerns Fresenius durcheinander gebracht. Nach Schwierigkeiten in 2018 und einem investitionsgeprägten Übergangsjahr 2019 wollte Konzernlenker Stephan Sturm wieder durchstarten. Doch von seinen bisherigen Zielen wird sich der Manager höchstwahrscheinlich verabschieden müssen. Wie es beim Unternehmen läuft, was die Analysten sagen und was die Aktie macht.

LAGE DES UNTERNEHMENS:

Die Corona-Krise macht Fresenius derzeit gleich in mehreren Geschäftsbereichen zu schaffen. Analysten rechnen deshalb mit einer Kürzung der Ziele, wenn der Konzern an diesem Donnerstag seine für den Halbjahresbericht versprochene neue Prognose vorlegt und dabei auch die Corona-Effekte berücksichtigt.

Noch zum Jahresauftakt hatte Fresenius seinen Umsatz und das um Sondereffekte bereinigte Konzernergebnis gesteigert. Doch schon damals schlug die Corona-Krise insbesondere auf das Krankenhausgeschäft in Spanien mit der Kliniktochter Quironsalud durch, und im zweiten Jahresviertel könnte es dort noch dicker gekommen sein.

Das Land gehörte auf dem bisherigen Höhepunkt der Pandemie in Europa zu den am stärksten betroffenen Nationen, weshalb die Kliniken von Quironsalud in Madrid und Barcelona zu landesweiten zentralen Versorgungszentren umfunktioniert wurden. Das Problem: Anders als in Deutschland kann der Konzern in Spanien bisher nicht auf finanzielle Kompensation bauen. Seit Wochen zieht sich nun der Poker mit verschiedenen staatlichen und privaten Institutionen um mögliche Hilfen hin. Hingegen werden die Belastungen in Deutschland, wo Fresenius die größte private Klinikgesellschaft Helios betreibt, durch den Corona-Fonds der Bundesregierung abgemildert.

Allerdings läuft auch die seit Anfang Juni eingeleitete Wiederaufnahme des Regelbetriebes bei Helios noch zäh an, denn offenbar scheuen noch immer viele Menschen das Ansteckungsrisiko in den Kliniken. Und so zieht denn der eine Effekt den anderen nach sich: Denn damit ist auch die Tochter Kabi negativ betroffen, die Krankenhäuser beispielsweise mit Narkosemitteln, Flüssigmedizin und klinischer Ernährung beliefert. Noch zum Jahresstart hatte das Unternehmen von einer stärkeren Nachfrage nach Schmerzmitteln und beruhigenden Medikamenten wegen Covid-19 profitiert.

Sogar Verluste hat die Corona-Pandemie im zweiten Quartal womöglich dem kleinsten Geschäftsbereich Vamed beschert, einem auf Planung, Errichtung und dem Betrieb von Gesundheitsprojekten spezialisierten Dienstleister und Betreiber von Rehakliniken.

Gleichwohl: Anders als viele Konzerne haben Fresenius und die Tochter Fresenius Medical Care (FMC) ihre Dividenden nicht gestrichen. Insbesondere der Dialyseanbieter, der im ersten Quartal für rund die Hälfte der Konzernumsätze stand, entpuppt sich gerade in der aktuellen Krisensituation als robuster Stützpfeiler. Denn seine "Kunden" sind nierenkranke Patienten und als solche auf eine Blutwäsche angewiesen. Zudem wird FMC auch aus einem US-Coronatopf für die Gesundheitsbranche unterstützt.

Die Jahresziele der Tochter könnten daher wohl weniger wackeln als die der Mutter. Aktuell plant FMC mit einem Wachstum von Umsatz und Ergebnis im mittleren bis hohen einstelligen Prozentbereich.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

An den Papieren von Fresenius streiten sich derzeit die Geister. Den einen gelten die Aktien als sicherer Hafen in stürmischer Corona-See. Anderen sind die Unsicherheiten etwa im Krankenhausgeschäft doch nicht so ganz geheuer.

Von den 14 im dpa-AFX-Analyser erfassten Experten, die sich nach dem Corona-Crash seit März geäußert haben, votieren neun für einen Kauf der Aktien. Fünf empfehlen, die Papiere zu halten. Kein einziger Experte stimmt für einen Verkauf des Papiers. Dies verwundert eher nicht, da das durchschnittliche Kursziel mit gut 51 Euro fast 15 Prozent über dem aktuellen Kurs liegt.

Dennoch stehen sich Skeptiker und Optimisten mit deutlichen Worten gegenüber. Zu letzteren gehört Berenberg-Analyst Tom Jones. Der Experte hält das Papier für bemerkenswert günstig, selbst wenn die Aktie seit ihrem Tief im März inzwischen wieder deutlich hinzugewonnen habe. Dabei seien lang gehegte Sorgen der Investoren inzwischen im Kurs eingepreist: etwa wegen neuer Vorgaben zur Vergütung und personellen Ausstattung in der Pflege in Deutschland und dem Geschäft mit Biosimilars, das noch eine Weile brauche, um Fahrt aufzunehmen.

Morgan-Stanley-Analyst Michael Jungling lobte noch im Mai die Fresenius-Aktie als grundsoliden Fels in der Brandung, weshalb das Unternehmen sein größter Favorit in der europäischen Medizintechnik-Landschaft sei. Doch insbesondere das zweite Quartal nährt bei einigen Experten aktuell Zweifel: Angesichts des Drucks in verschiedenen Unternehmensteilen verstehe er die Skepsis von Investoren und teile diese, schrieb erst kürzlich Analyst Christoph Gretler von der Credit Suisse in seiner Studie zu Fresenius.

Viele Experten halten es unterdessen aber für sehr wahrscheinlich, dass mit dem zweiten Quartal der Tiefpunkt im Jahr für Fresenius erreicht ist. So wird etwa damit gerechnet, dass das Klinikgeschäft in Spanien im zweiten Halbjahr wieder deutlich aufholen kann. Berenberg-Spezialist Tom Jones sagt daneben insbesondere FMC eine gute Entwicklung im nächsten und den darauf folgenden Jahren voraus.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Von den beiden im Dax gelisteten Aktien macht der Gesamtkonzern in puncto Kursentwicklung seit dem Corona-Crash derzeit die bessere Figur: Zwar hat das FMC-Papier seit dem März-Tief bei 53,50 Euro bis dato um mehr als 40 Prozent auf rund 77 Euro zulegen können, der Fresenius-Anteilschein, der im März bis auf fast 24 Euro abgesackt war, kann jedoch mit einem stolzen Zugewinn von mehr als 80 Prozent auf gut 44 Euro glänzen.

Anders als FMC ist Fresenius trotz des satten Plus aber noch weit von seinem Kursniveau von vor dem Corona-Einbruch entfernt: Zum bisherigen Jahreshoch bei 51,54 Euro, das die Fresenius-Aktie im Februar erreichte, fehlen noch rund 14 Prozent. FMC hingegen verkürzte den Abstand zu seinem Februar-Hoch von 81,10 Euro bis auf etwa 5 Prozent. Damit überflügelt das Papier auch leicht den Dax, dessen Abstand zum Hoch sich zuletzt wieder etwas ausgeweitet hatte.

Mit einer Marktkapitalisierung von rund 25 Milliarden Euro bei Fresenius und etwa 23 Milliarden Euro bei FMC bewegen sich beide Konzerne eher im unteren Mittelfeld der Dax-Riege. Insbesondere Fresenius bringt inzwischen deutlich weniger auf die Börsenwaage als zu früheren Zeiten, denn zum bisherigen Rekord im Juni 2017 waren die Papiere noch rund 80 Euro wert - also fast das Doppelte.

Doch der Kurs litt im Folgejahr insbesondere unter zwei Gewinnwarnungen und hat sich hiervon auch bis zum Beginn der Corona-Krise nicht erholt. Anders die FMC-Papiere - sie waren dank der starken Entwicklung des Dialysedienstleisters wieder gefragt und stiegen vor dem Corona-Knick im Februar mit rund 81 Euro sogar auf das höchste Niveau seit Oktober 2018. Aus dem Februar desselben Jahres stammt der bisherige Rekord der FMC-Aktien von rund 94 Euro./tav/jsl/tih/he

Quelle: dpa-Afx