BAD HOMBURG (dpa-AFX) - Beim Krankenhausbetreiber und Medizinkonzern Fresenius bahnt sich ein Umbruch an. Der neue Firmenlenker Michael Sen hat das komplette Geschäft auf den Prüfstand gestellt und treibt derzeit die Loslösung von der kriselnden Dialysetochter Fresenius Medical Care (FMC) voran. Ergebnisse der Überprüfung werden zur Bilanz-Pressekonferenz am 22. Februar erwartet. Die Erwartungen an der Börse sind hoch: Nach dem massiven Kurseinbruch der Aktie in den vergangenen Jahren steht der Manager quasi in der Pflicht zu liefern. Was beim Unternehmen los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

ZUR LAGE DES UNTERNEHMENS:

Nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt Anfang Oktober 2022 zog Fresenius-Chef Michael Sen die Reißleine und begann mit seinem intensiven Durchleuchtungsprozess. Kurz zuvor hatte der Konzern zum wiederholten Mal seine Ziele gesenkt.

Fresenius steht bereits seit einigen Jahren unter Druck. Schon vor dem weltweiten Corona-Ausbruch kriselte es wechselweise in Unternehmensteilen, insbesondere aber die Tochter FMC hatte zu kämpfen. Die Pandemie vertiefte die Probleme, wegen der hohen Kosten auch im Krankenhausgeschäft und vieler Corona-Toter unter den Dialyse-Patienten brachen Fresenius Erträge weg.

Damit jagte eine Gewinnwarnung die andere, der Fresenius-Aktienkurs ging immer weiter in den Keller. Beide Konzerne leiteten 2021 Sparprogramme ein, FMC kündigte damals den Abbau von weltweit 5000 Jobs an. Dennoch trübten sich die Perspektiven weiter ein. Im Herbst 2022 zog der Aufsichtsrat endgültig Konsequenzen: Sen löste seinen langjährigen Vorgänger Stephan Sturm ab, der an der Aufgabe gescheitert war, Fresenius wieder in ruhigeres Fahrwasser zu bringen.

Sen gilt als Dampfmacher. Während Sturm auf Forderungen von Investoren auf einen Umbau lange zögerlich reagierte, scheut sein Nachfolger die Trennung von ganzen Bereichen offenbar nicht. Das hat der Manager schon bei seinen früheren Arbeitgebern bewiesen: Als Finanzvorstand von Eon 2016 war er für die Abspaltung der Kraftwerkssparte Uniper mitverantwortlich. Bei Siemens verantwortete er 2018 den Börsengang der Medizintechniktochter Healthineers.

Derzeit treibt der neue Konzernlenker bei Fresenius die Entflechtung von FMC voran. So wird eine Dekonsolidierung im Wege eines Formwechsels in eine Aktiengesellschaft erwogen. Ziel ist es, den Blutwäschespezialisten nicht mehr voll in die Bilanz aufnehmen zu müssen. Das muss Fresenius aktuell trotz einer Beteiligung von lediglich 32 Prozent an FMC durch das Konstrukt der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA). Damit hat Fresenius faktisch das Sagen bei dem Dialyseunternehmen, muss aber auch dessen massiven Ergebniseinbruch komplett mittragen.

Durch eine Entflechtung könnte der Blutwäschespezialist künftig bei Fresenius nur noch anteilig berücksichtigt werden und in der Gewinn- und Verlustrechnung im Finanzergebnis auftauchen. Ob damit der Weg für Sen schon zu Ende ist, bleibt offen. Beobachter halten immer noch eine komplette Trennung durch den Verkauf der Aktien für möglich. Möglicherweise haben solche Aussichten der früheren FMC-Lenkerin Carla Kriwet nicht geschmeckt: Sie gab im vergangenen Dezember nach nur zwei Monaten im Amt wegen "strategischer Differenzen" auf. Die langjährige Finanzchefin Helen Giza konnte dadurch endlich ihren langgehegten Wunsch umsetzen und übernahm das Ruder bei FMC.

Derweil wird auch der Druck von Aktionären größer. Der berüchtigte aktivistische Investor Paul Singer mit seinem Hedgefonds Elliott hat sich inzwischen bei Fresenius eingekauft. Der Amerikaner ist dafür bekannt, bei in Schieflage geratenen Unternehmen auf Veränderungen zu dringen, um dann etwaige Kursgewinne mitnehmen zu können. Auch Singer soll auf eine Herausnahme von FMC aus der Bilanz pochen.

Nun ist die Else-Kröner-Fresenius-Stiftung am Zug, die wiederum als größte Einzelaktionärin bei Fresenius das gewichtigste Wort hat. Sie muss dem Vorhaben zustimmen. Vor rund zwei Jahren hatte sich die Stiftung noch offen hinter FMC und gegen eine Trennung gestellt, doch jetzt scheint es den Medienberichten zufolge zumindest für die rechtliche Entflechtung einige Befürworter zu geben.

Spannend dürfte auch werden, was Sen mit den übrigen Sparten vorhat. Unter Sturm hatte es zuletzt Pläne für einen Anteilsverkauf oder Börsengang für die Kliniktochter Helios und das Servicegeschäft Vamed gegeben. Diese wurden mit dem Führungswechsel dann offiziell erst einmal auf Eis gelegt.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Nachricht über die mögliche Entflechtung von FMC sorgte in der vergangenen Woche für einen kräftigen Kurssprung: Die Fresenius-Aktie kletterte zeitweise auf den höchsten Stand seit Juni 2022. Bereits kurz nach Sens Amtsantritt begann das Papier zu erstarken. Zuvor war der Kurs allerdings Mitte Oktober auf ein rund elfjähriges Tief bei 19,69 Euro gefallen.

2017 noch hatte die Aktie im Hoch die Marke von 80 Euro geknackt, doch nach der geplatzten Übernahme des US-Generikaherstellers Akorn reihten sich weitere Hiobsbotschaften aneinander. Der Corona-Pandemie und der allgemeinen Marktschwäche im Zuge des Ukraine-Kriegs hatte der frühere Fresenius-Chef Sturm zu wenig entgegenzusetzen. Nur häppchenweise gab er den offensichtlichen Forderungen der Börse nach und zeigte sich am Ende zumindest offen für eine Trennung von FMC zu einem akzeptablen Preis und für den Einstieg von Investoren bei Helios und Vamed. Den Aktionären war dieser schleichende Umbruch aber offensichtlich zu wenig.

Aktuell bringt es Fresenius bei einem Kurs von rund 28,30 Euro lediglich noch auf einen Börsenwert von rund 16 Milliarden Euro. Damit zählt das Unternehmen im Dax nur noch zu den kleineren Fischen. Viele Anleger sitzen auf teils hohen Verlusten, denn trotz der Erholung seit dem vergangenen Herbst kostet das Papier aktuell mit rund 28,30 Euro immer noch so wenig wie zuletzt Anfang 2013.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die seit Jahresbeginn im dpa-AFX Analyser gelisteten neun Experten stimmen weiterhin mehrheitlich für einen Kauf der Fresenius-Aktie. Eine Verkaufsempfehlung gibt es wegen der niedrigen Bewertung zwar nicht, inzwischen beobachten aber drei Branchenkenner die Entwicklung mit einem neutralen Votum lieber von der Seitenlinie aus. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 32,54 Euro, wobei die Spanne allerdings von 23 bis 44,50 Euro reicht.

Die Pläne zur Entflechtung von FMC beschäftigten zuletzt auch die Experten beim Analysehaus Kepler Cheuvreux. Der Gedanke, die Rechtsform der Dialysetochter zu ändern, sei ein guter erster Schritt, um verborgene Werte freizulegen, hieß es dort.

Auch Falko Friedrichs von der Deutschen Bank sprach von einem Schritt in die richtige Richtung, wenngleich er diesen nur für den Anfang von mehr hält: Die Umwandlung der KGaA in eine Aktiengesellschaft sorge für einen weniger komplexen Investmentansatz und dürfte einen potenziellen Verkauf des Anteils am Dialysespezialisten erleichtern, urteilte der Experte.

Berenberg-Analystin Victoria Lambert sieht unterdessen mit dem neuen Management die Chance auf eine Neubewertung der Aktie. Ihrer Meinung nach wird am Markt aktuell das Aufwärtspotenzial des Papiers im Zuge der Strategie-Überarbeitung nicht angemessen gewürdigt./tav/mne/mis/he

Quelle: dpa-Afx