FRANKFURT (dpa-AFX) - Vom anfänglichen Kurseinbruch infolge des Krieges Russlands gegen die Ukraine haben sich die Aktienbörsen in den vergangenen Wochen rasch erholt. Doch wie viel Risiko in puncto wirtschaftlicher Auswirkungen des Konflikts ist in den Kursen noch eingepreist, wie geht es weiter? Experten trauen dem deutschen Leitindex jedenfalls zu, dass er das Jahr 2022 trotz der galoppierenden Inflation und der kriegsbedingten Turbulenzen mit einem kleinen Plus beendet. Sie setzen dabei allerdings auf ein Ausbleiben eines Wirtschaftseinbruchs. Jedwede Entspannung im Russland-Ukraine-Konflikt werde die Stimmung unter den Anlegern verbessern, zeigt sich Analyst Sven Streibel von der DZ Bank überzeugt. Er traut dem Dax bis zum Jahresende einen Anstieg auf 16 000 Punkten zu. Entspannungssignale waren jüngst aber rar.

Schon vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine am 24. Februar war die Kriegsangst am deutschen Aktienmarkt deutlich zu spüren gewesen. Doch erst mit Beginn der militärischen Eskalation des Konfliktes zwischen den beiden Staaten rutschte der Dax deutlich ab. Das Börsenbarometer knickte Anfang März bis auf fast 12 400 Punkte ein, blieb damit aber knapp 4200 Punkte über seinem 2020 in der Corona-Krise erreichten Tief seit 2013.

Doch der Dax sprang im Laufe des März fast genauso schnell wieder nach oben, wie er zuvor unter Druck geraten war. Mittlerweile hat der Leitindex den Kursrutsch seit Beginn der Invasion wieder aufgeholt, sodass sich für das erste Quartal noch ein Minus von gut neun Prozent ergibt - immerhin aber noch der größte Rückschlag seit dem ersten Jahresviertel 2020.

Die weitere Entwicklung dürfte nun maßgeblich vom Geschehen in der Ukraine und dessen wirtschaftlichen Folgen abhängen. Angesichts des schon seit fünf Wochen tobenden Krieges rechnen deutsche Unternehmen in den kommenden Monaten mit einem kräftigen Rückgang ihrer Geschäfte, wie der jüngste Absturz des Ifo-Geschäftsklimaindex zeigt.

Käme es nun beispielsweise zu einem westlichen Boykott russischen Öls, wäre der internationale Ölmarkt beträchtlich unterversorgt, sodass der Ölpreis nach oben katapultiert würde, vermutet Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank. In diesem Szenario wäre eine Rezession, also ein Wirtschaftsabschwung, wahrscheinlich, zumal Russland auf einen Ölboykott und auf die Weigerung, Gas mit Rubel zu bezahlen, mit einem Stopp seiner Gaslieferungen reagieren könnte. Jüngst aber gab es in dem Konflikt einige Entspannungssignale, die viele Beobachter aber noch mit Vorsicht betrachten.

Aktienexperten bleiben indes noch gelassen. Marktstratege Robert Halver von der Baader Bank etwa sagt: "Selbst diese sicher schwere Krise wird ein Ende finden." Bei Lösung des Konflikts und einer weltkonjunkturellen Beruhigung werden europäische und deutsche Aktien Halver zufolge gerade wegen ihrer zyklischen sowie am Export orientierten Ausrichtung gefragt sein und ihren Rückstand zum US-Aktienmarkt aufholen.

Zudem kommen die Aktienmärkte der Eurozone laut Halver trotz der hohen Inflation in den Genuss einer immer noch beeindruckenden Liquiditätspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), wodurch sich Zinssparen weiterhin nicht lohne. Ihre Bekämpfung der Corona-Krise gehe nahtlos in die Abfederung der Ukraine-Krise über.

In der Eurozone treiben zwar seit Monaten steigende Energiepreise die Inflation an, und der Ukraine-Krieg hat diese Entwicklung noch angeheizt und die EZB will im dritten Quartal dieses Jahres wohl zumindest den Kauf zusätzlicher Anleihen von Staaten und Unternehmen einstellen, aber wann genau danach die Zinsen angehoben werden, bleibt offen. Aktuell wird mit einem ersten Schritt in der zweiten Jahreshälfte gerechnet.

Die tonangebende US-Notenbank hat zwar im Kampf gegen die hohe Inflation derweil schon die Zinswende eingeleitet, doch die Anleger trauen der Fed zu, dass sie dabei mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen behutsam vorgeht. Denn straffe Zinserhöhungen können einerseits die Inflation im Zaum halten, andererseits aber auch Investitionen sowie Kredite verteuern und so die Wirtschaft schwächen.

Sollte den Zentralbanken jedoch die Kontrolle über die wirtschaftliche Entwicklung und die Inflation noch stärker entgleiten, würden im ungünstigen Falle die Preise weiter anziehen und die Konjunktur stagnieren. Auch ein solches Szenario ist unter Experten gefürchtet und wird mit dem Schlagwort "Stagflation" umschrieben - eine Kombination aus den Begriffen "Stagnation" und "Inflation".

Trotzdem zieht Aktienstratege Markus Reinwand von der Landesbank Hessen-Thüringen ein eher positives Resümee: "Die Schwankungsanfälligkeit des Aktienmarktes dürfte bis auf Weiteres sehr hoch bleiben. So stellt die Kombination aus Krieg, hohen Rohstoff- und Energiekosten sowie steigenden Zinsen eine Herausforderung für Aktien dar. Zumindest europäische Titel sind jedoch moderat bewertet, was sie für mittelfristig orientierte Anleger interessant macht."

Ebenso wie der DZ-Bank-Analyst Streibel sieht auch Reinwand den Dax Ende 2022 bei 16 000 Punkten - es wäre ein Jahresplus von rund einem Prozent. Das Rekordhoch von 16 290 Punkten aus dem November 2021 aber wäre damit noch nicht erreicht./la/bek/mis

--- Von Lutz Alexander, dpa-AFX ---

Quelle: dpa-Afx