VENLO/HILDEN (dpa-AFX) - Rund zwei Jahre schon bringt die Pandemie Schwung in die Geschäfte des Laborzulieferers und Diagnostikspezialisten Qiagen. Doch der Rückenwind dürfte nicht ewig halten. Das Management der noch recht frisch im Dax notierten Firma plant deshalb lieber perspektivisch mit anderen Produkten als den Corona-Tests. Zur Lage bei Qiagen, was die Analysten sagen und was die Aktie macht.
DAS IST LOS BEI QIAGEN:
Der Konzern mit operativem Sitz im nordrhein-westfälischen Hilden und Holding im niederländischen Venlo hatte früh Tests auf das Corona-Virus im Markt. Inzwischen ist die Produktpalette rund um Sars-Cov-2 weiter gewachsen. Doch wie ungewiss der Verlauf der Corona-Pandemie ist, lässt sich gut an den Prognosen ablesen: Zwei Mal im vergangenen Jahr änderte die Qiagen-Führung um Unternehmenschef Thierry Bernard und Finanzvorstand Roland Sackers die Ziele. Zunächst war der Umsatz mit Corona-Tests zu üppig eingeschätzt worden, dann aber liefen die Geschäfte im dritten Quartal wieder besser als gedacht.
Als Qiagen seine zunächst gestutzten Jahresziele Anfang November daher hob, war aber nicht nur das Testgeschäft ausschlaggebend. Vielmehr brummt auch das Geschäft mit zahlreichen "Non-Covid"-Produkten, auf denen ohnehin die längerfristigen Hoffnungen des Managements liegen. Weil Qiagen in der Pandemie beispielsweise von bestimmten Analysegeräten ein Vielfaches der üblichen Menschen losschlug, lassen sich leichter Folgegeschäfte über das Sars-Cov-2-Spektrum hinaus generieren.
Am 8. Februar wird der Konzern seine Zahlen für das Schlussquartal und das Gesamtjahr veröffentlichen. Zuletzt hatte Qiagen für die zwölf Monate ein Umsatzplus von mindestens 15 Prozent und für das bereinigte Ergebnis je Aktie einen Zuwachs auf mindestens 2,48 Dollar veranschlagt - beide Ziele sind gerechnet zu konstanten Wechselkursen. Die Prognose impliziert allerdings ein schwächeres Schlussquartal als im Vorjahr, in dem das Jahresende wegen der hohen Nachfrage nach Tests besonders stark ausgefallen war.
Inzwischen darf aber wohl gemutmaßt werden, dass der Anlauf der Omikron-Welle das Testen zum Jahresende 2021 zumindest beflügelt hat. Denn wie sich zeigt, schlägt die neue Mutante des Corona-Virus selbst bei Menschen mit Auffrischungsimpfung ("Booster") zu. Wenngleich die Verläufe wohl milder ausfallen als etwa bei der Delta-Variante. Es wird also spannend, welche Auswirkungen der Vormarsch von Omikron auf Qiagen letztendlich hatte und in den nächsten Monaten weiter haben könnte.
Da Qiagen als Corona-Gewinner nach einem verlustreichen Vorjahr 2020 wie Phoenix aus der Asche gestiegen ist, scheiterte im Sommer desselben Jahres die Übernahme durch den US-Laborzulieferer Thermo Fisher am Widerstand der Qiagen-Aktionäre. Dennoch halten sich am Aktienmarkt hartnäckig die Spekulationen, immer wieder poppen Namen möglicher Interessenten auf. So soll beispielsweise auch Bernards früherer Arbeitgeber Biomerieux einen Zusammenschluss ausgelotet haben. Handfestes hat es bislang dazu aber nicht gegeben, auch der deutsche Biotech-Pionier schweigt sich regelmäßig zu solchen Gerüchten aus.
DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:
Die Mehrheit der bei dpa-AFX seit der Vorlage des letzten Quartalsberichts Anfang November erfassten Analysten ist aktuell vorsichtig gestimmt. Fünf von sieben Experten halten sich mit einem neutralen Votum lieber bedeckt. Nur zwei votieren für einen Kauf der Qiagen-Aktie, darunter Sven Kürten von der DZ Bank. Er änderte sogar erst kürzlich seine Empfehlung und hob den Daumen.
Der Branchenkenner hält nach dem jüngsten Kursrückfall die Bewertung der Qiagen-Aktie für attraktiv. Denn er ist sich sicher, dass das Unternehmen auch nach der Pandemie zu den Gewinnern gehören wird. In seinem Portfolio abseits der Corona-Produkte habe der Labordienstleister vielversprechende Wachstumstreiber, die ab 2023 gesunde Zuwächse ermöglichen sollten, argumentiert Kürten.
Dabei hält er Qiagens ambitionierte Wachstumsannahmen etwa für das Analysegerät Qiastat-Dx oder die Plattform NeumoDX für durchaus realistisch. 2022 dürfte hingegen für den Konzern ein Übergangsjahr mit sinkenden Umsätzen werden, da die Sonderkonjunktur durch Corona abflaue, so der DZ-Experte.
Das sieht Matthew Sykes von der US-Bank Goldman Sachs inzwischen anders. Gerade weil wegen der Omikron-Variante die Testvolumina zuletzt wieder rasant gestiegen seien, glaubt er an viel Rückenwind für das Unternehmen auch im neuen Jahr. Der Aktienmarkt hingegen scheine nicht an die Nachhaltigkeit der Corona-Umsätze zu glauben, weswegen für die weitere Kursentwicklung tatsächlich die Entwicklung des übrigen Portfolios entscheidend sei, so Sykes.
Jefferies-Analyst Peter Welford hielt deshalb zuletzt Qiagens Prognose des weiteren Pandemie-Beitrags für konservativ - angesichts der starken Schwankungen der Covid-Erlöse sei die Zurückhaltung aber verständlich.
Laut einer aktuellen Umfrage rechnen Experten für das letzte Jahresviertel mit einem Umsatzrückgang um rund sieben Prozent und noch etwas stärkeren Gewinneinbußen. 2021 insgesamt sollte demnach aber noch besser ausgefallen sein als das bereits vergleichsweise starke Jahr zuvor.
DAS MACHT DIE AKTIE
Corona-Gewinnern wie Qiagen geht es derzeit auch an der Börse an den Kragen. Hatten die Anleger den Kurs noch in den vergangenen zwei Jahren der Pandemie kräftig befeuert, ging es in den vergangenen Wochen mit einiger Zugkraft wieder nach unten. Am Markt wird inzwischen zunehmend das Szenario einer endemischen Lage eingepreist. Das würde heißen, dass Corona künftig nur noch in einer bestimmten Population oder begrenzten Regionen vorkommt.
Dabei hatte der Corona-Schub im vergangenen September sogar noch für den Aufstieg in den Dax gereicht, als dieser im vergangenen September auf 40 Mitglieder erweitert wurde. Selbst die Kürzung der Prognose im Juli hatte nur kurz für einen Kurseinbruch gesorgt, der bis Monatsende bereits wieder verdaut war. Doch seit dem Hoch bei 51,56 Euro Ende November hat die Aktie inzwischen 17 Prozent verloren, allein seit Jahresbeginn sind es 13 Prozent.
Über längere Sicht dürfte das Papier Anlegern aber immer noch reichlich Freude machen: Wer etwa Ende 2019 - also noch vor Ausbruch der Pandemie - gekauft hat, kommt auf einen Gewinn von 40 Prozent, denn damals gab es die Aktie noch für rund 30 Euro. Bei einer noch längeren Haltefrist von fünf Jahren ergibt sich ein Plus von knapp 60 Prozent. Auf Sicht von zehn Jahren ist das Papier gar auf das Dreieinhalbfache gestiegen. Qiagens Börsenwert beläuft sich nach den jüngsten Verlusten noch auf knapp zehn Milliarden Euro, damit zählt Konzern aktuell zu den kleinsten Fischen im Dax.
Das Unternehmen, das 1984 an der Universität Düsseldorf gegründet wurde, ist bereits seit 1996 an der Börse notiert - zunächst in den Vereinigten Staaten, wo sich Qiagen als erste deutsches Unternehmen an die Technologiebörse Nasdaq wagte, ein Jahr später in Deutschland. Im Zuge des Biotechnologie- und Dotcom-Booms um die Jahrtausendwende war der Kurs bis auf fast 64 Euro gestiegen. Mit dem Platzen der Blase brach er bis auf fast vier Euro ein - danach ging es wieder peu a peu nach oben./tav/jcf/zb
Quelle: dpa-Afx