(neu: Air France-KLM, Aktienreaktion, Hintergrund)
LONDON (dpa-AFX) - Der Zusammenbruch des Luftverkehrs in der Corona-Krise hat die British-Airways-Mutter IAG und die französisch-niederländische Air France-KLM schwer erwischt. Verluste in Milliardenhöhe und düstere Aussichten für die nächsten Jahre treiben die Konzernspitzen zu drastischen Maßnahmen und herben Einschnitten. So kündigte die niederländische KLM am Freitag den Abbau von bis zu 5000 Stellen an, und die British-Airways-Mutter IAG will sich frische Milliarden von Anlegern besorgen. Für viele große Langstreckenflugzeuge bedeutet die Krise das Aus.
Am Finanzmarkt kamen die Nachrichten schlecht an. Die IAG-Aktie büßte an der Londoner Börse bis zur Mittagszeit 8,45 Prozent auf 165,75 Pence ein. Damit näherte sich der Kurs nach dem Zwischenhoch im Juni von mehr als 300 Pence wieder dem Corona-Crash-Tief von 159,30 Pence. Anfang des Jahres - also vor der Corona-Krise - hatte das Papier noch fast 700 Pence gekostet. Für die Aktie von Air France-KLM ging es in Paris am Freitag um 1,71 Prozent auf 3,512 Euro nach unten. Sie hat seit dem Jahreswechsel fast zwei Drittel an Wert eingebüßt.
Zu IAG gehören neben British Airways auch die spanischen Fluggesellschaften Iberia und Vueling, die irische Aer Lingus sowie die Eigengründung Level. Air France-KLM ist auch unter den Marken Hop! und Transavia unterwegs. Im zweiten Quartal war der Flugverkehr fast vollständig zusammengebrochen. Inzwischen läuft er nur schrittweise wieder an. Vor allem das Geschäft auf der Langstrecke liegt weiter am Boden.
Daher trauen sich weder IAG-Chef Willie Walsh noch sein Kollege Benjamin Smith von Air France-KLM eine belastbare Geschäftsprognose für das laufende Jahr zu. "Die Unsicherheiten rund um die Gesundheitslage, die Öffnung von Grenzen und die allgemeine wirtschaftliche Situation sind sehr groß", sagte Smith. Auch im zweiten Halbjahr dürfte bei seinem Konzern daher ein signifikanter operativer Verlust anfallen.
Smith mahnte, sein Unternehmen müsse sich auf ein komplett verändertes Verhalten seiner Kunden einstellen und sein Geschäft noch schneller umbauen. Das bedeutet wie bei vielen Airlines: Auch in den kommenden Jahren wird deutlich weniger geflogen als vor der Krise. Und für viele Arbeitsplätze in der Luftfahrt heißt es das Aus.
So kündigte die niederländische Air-France-Schwester KLM an, die Zahl ihrer Vollzeitstellen im kommenden Jahr um 4500 bis 5000 Vollzeitjobs auf 28 000 zu senken. Air France hat bereits angekündigt, bis bis zum Jahr 2022 rund 7500 Stellen zu streichen. Damit der Konzern die Krise überhaupt überlebt, haben die Regierungen von Frankreich und den Niederlanden Kredite in Milliardenhöhen zur Verfügung gestellt.
Auch bei IAG stehen tausende Jobs auf der Streichliste - und der Konzern braucht zusätzliches Geld. Jetzt will Walsh die Bilanz mit einer Kapitalerhöhung von bis zu 2,75 Milliarden Euro stärken, wie IAG am Freitag ankündigte. Die arabische Fluggesellschaft Qatar Airways, der 25,1 Prozent der IAG-Aktien gehören, habe bereits zugesagt, gemäß ihrem Anteil frisches Geld zuzuschießen. Auch der Rest der Finanzspritze scheint gesichert. Allerdings müssen die IAG-Aktionäre dem Vorhaben bei einer Hauptversammlung am 8. September erst noch zustimmen.
Ende Juni verfügte IAG nach eigenen Angaben über eine Liquidität von 8,1 Milliarden Euro. Die Konzernspitze erwartet, dass sie den Netto-Geldabfluss im operativen Geschäft im vierten Quartal stoppen kann. Vergangene Woche hatte der Konzern bereits eine Verlängerung der Zusammenarbeit mit dem Kreditkartenanbieter American Express
Die Zahlen des zweiten Quartals zeigen deutlich, wie schwer die Corona-Krise die Airlines getroffen hat. Bei IAG stand unter dem Strich ein Verlust von 2,1 Milliarden Euro nach einem Gewinn von 736 Millionen ein Jahr zuvor. Während der Umsatz im Jahresvergleich um 89 Prozent auf 741 Millionen Euro einbrach, zogen Abschreibungen auf ältere Flugzeuge und Zubehör in Höhe von mehr als 700 Millionen Euro das Ergebnis zusätzlich in den Keller.
So hat British Airways all ihre 32 Jumbo-Jets vom Typ Boeing 747 mit sofortiger Wirkung stillgelegt, und Iberia verabschiedet sich von ihren 15 Airbus A340. Die großen vierstrahligen Jets galten ohnehin als kaum noch rentabel. Weil sich der Flugverkehr auf der Langstrecke noch langsamer erholen dürfte als im Europaverkehr, sieht IAG-Chef Walsh keinen Sinn darin, die Maschinen überhaupt noch einzusetzen.
Im zweiten Quartal brach der Passagierverkehr der IAG-Gesellschaften um 98,4 Prozent ein und damit noch stärker als das um 95,3 Prozent zusammengestrichene Flugangebot. Walsh erwartet, dass es mindestens bis zum Jahr 2023 dauert, bis der Flugverkehr wieder das Niveau von 2019 erreicht. Damit steht er in der Branche nicht allein. Der Chef des Flugzeugbauers Airbus, Guillaume Faury, hält es sogar für möglich, dass sich die Erholung bis zum Jahr 2025 hinzieht. Und Lufthansa-Chef Carsten Spohr will die konzerneigene Flugzeugflotte von zuletzt rund 760 Flugzeugen um 100 Maschinen verkleinern.
Air France-KLM hat bereits im Mai beschlossen, ihre neun Riesenjets vom Typ Airbus A380 auszumustern und nimmt wie Iberia auch die A340-Reihe aus ihrer Flotte. Die Entscheidungen schlugen im zweiten Quartal mit fast 600 Millionen Euro negativ zu Buche.
Auch deshalb stand bei dem Konzern im zweiten Quartal unter dem Strich ein Verlust von 2,6 Milliarden Euro. Nach den ersten sechs Monaten liegt das Minus damit bereits bei 4,4 Milliarden Euro. Air France-KLM hatte bereits vor der Corona-Krise mit Schwierigkeiten zu kämpfen und schon im ersten Halbjahr 2019 rote Zahlen geschrieben.
Der Umsatz brach nun im zweiten Quartal 83 Prozent ein. Auf die ersten sechs Monate gesehen betrug der Rückgang mehr als die Hälfte auf 6,2 Milliarden Euro. Auch dank der Staatshilfe verfügte Air France-KLM Ende Juni allerdings über eine Liquidität von 14,2 Milliarden Euro./stw/eas/fba
Quelle: dpa-Afx