(neu: Einschätzungen des Ifo-Chefs Fuest)
BERLIN/ESSEN (dpa-AFX) - In Deutschland plagen Zugverspätungen die Fahrgäste, während das Bahn-Management weltweit Geschäfte macht. Das monieren Kritiker seit Jahren und fordern einen größeren Fokus auf das Kerngeschäft auf der Schiene. Mit dem Verkauf der Logistiktochter DB Schenker geht der bundeseigene Konzern weiter in diese Richtung. Für rund 14,3 Milliarden Euro veräußert er das Unternehmen an den dänischen Wettbewerber DSV - und damit einen der wenigen gut laufenden Geschäftsbereiche im eigenen Haus.
Inklusive erwarteter Zinserträge bis zum Vollzug des Verkaufs sei das Geschäft 14,8 Milliarden Euro wert, teilte die Bahn mit. Für beide Unternehmen ist es ein Rekorddeal. Die Schenker-Beschäftigten hätten indes einen anderen Bieter bevorzugt.
Ziele: Schuldenabbau und Weltmarktführerschaft
"Der Verkauf von DB Schenker an DSV markiert die größte Transaktion in der Geschichte der DB und ermöglicht unserer Logistiktochter eine klare Wachstumsperspektive", teilte Bahnchef Richard Lutz mit. Das Geld verbleibt demnach im Bahnkonzern und soll vollständig in den Abbau des Schuldenbergs fließen, der sich zum ersten Halbjahr auf rund 33 Milliarden Euro belief.
Für DSV wiederum bildet der Kauf einen wichtigen Schritt zu mehr Marktanteilen: "Hand in Hand und unter einem Dach werden die Mitarbeiter von DSV und Schenker unsere Stärken bündeln, um einen echten Weltmarktführer in der Branche zu schaffen", teilte DSV-Chef Jens H. Lund mit. Gemessen am Umsatz würde der kombinierte Konzern den bisherigen Marktführer DHL und auch Kühne + Nagel hinter sich lassen.
Der globale Logistikmarkt gilt als hoch fragmentiert. Selbst als kombinierter Konzern kämen Schenker und DSV den Angaben zufolge lediglich auf einen Marktanteil von bis zu sieben Prozent. Finanzieren will DSV die Übernahme zu rund vier bis fünf Milliarden Euro aus Eigenkapital. Der Rest komme aus Krediten.
DSV und Schenker: Umsatzstärkster Logistikkonzern der Welt
DSV beschäftigt eigenen Angaben zufolge weltweit rund 75.000 Menschen und gilt nach Umsätzen aktuell als weltweit drittgrößter Logistikkonzern. Mit der Übernahme will das Unternehmen vor allem sein Europageschäft stärken. Schenker sei insbesondere in Deutschland, Frankreich und Spanien stärker aufgestellt als DSV, betonte Lund. "Die Kombination wird sicherstellen, dass wir in allen Märkten eine starke Präsenz haben."
Innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre wollen die Dänen deshalb rund eine Milliarde Euro in Deutschland investieren, vor allem in die Zusammenführung der bisherigen doppelten Infrastruktur wie Lagerhallen.
DB Schenker mit seinem Hauptsitz in Essen hat nach eigenen Angaben rund 72.700 Beschäftigte in mehr als 130 Ländern. "Wichtige Zentralfunktionen bleiben in Deutschland erhalten, darunter die IT in Essen", heißt es in einer internen DSV-Präsentation, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Darin heißt es aber auch, dass mittelfristig 1.600 bis 1.900 Vollzeitstellen abgebaut werden sollen. Diese sollen vor allem in der Verwaltung wegfallen, während im operativen Bereich Arbeitsplätze erhalten und langfristig aufgebaut würden.
Beschäftigte sorgen sich um Arbeitsplätze
Sorge vor einem größeren Stellenabbau im Zuge der Übernahme hatte die Schenker-Beschäftigten in den vergangenen Wochen und Monaten umgetrieben. In internen Schreiben hatte sich der Gesamtbetriebsrat für den Zuschlag an den zweiten zuletzt noch verbliebenen Bieter ausgesprochen, den Private-Equity-Investor CVC Capital Partners. "Da CVC kein Logistik-Geschäft betreibt, sind hier keine derart drohenden Arbeitsplatzverluste zu erwarten", heißt es darin. Nun müssen die Arbeitnehmervertreter mit DSV zu seiner sozialverträglichen Lösung kommen. Bis 2027 gelten nach der Übernahme durch DSV zufolge den Angaben vereinbarte Sozialzusagen, unter anderem zum Schutz von Arbeitsplätzen.
Bahn trennt sich von Tafelsilber
Mit Schenker trennt sich der finanziell schwer angeschlagene Konzern von einem der wenigen gut laufenden Geschäftsbereiche im eigenen Haus. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres fuhr Schenker einen operativen Gewinn (Ebit) von 520 Millionen Euro ein. Vor allem Schenker war es zu verdanken, dass die Bahn nach der Corona-Krise zumindest zeitweise wieder schwarze Zahlen schrieb. 2023 machte der Logistikriese einen Gewinn von 1,8 Milliarden Euro und holte die Bahn zumindest operativ aus der Verlustzone. Im Frachtgeschäft bleibt der Bahn jetzt nur die seit Jahren in der Krise steckende DB Cargo.
Schenker galt vielen Bahnkritikern als Dorn im Auge, weil das Unternehmen mit seinem hohen Straßen-, Luft- und Seefrachtanteil aus ihrer Sicht nicht zum eigentlichen Geschäft der Bahn auf der Schiene passt.
"Mein Ziel ist es, dass sich die DB AG auf ihr Kerngeschäft - den Schienenverkehr in Deutschland - fokussiert", bekräftigte am Freitag Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). "Mit dem Verkauf von Schenker ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung unternommen worden." Mit dem jetzt von ihm geforderten Sanierungskonzept müsse sich der Konzern wirtschaftlich wie strukturell neu aufstellen. Dabei helfe es, mit dem Erlös die Schulden deutlich reduzieren zu können.
Verkauf steht noch unter Vorbehalt
Andere sehen diese Verwendung kritisch. "Den Verkaufserlös in die Schuldentilgung beim DB-Konzern zu stecken, signalisiert der DB lediglich, dass wieder Platz für neue Schulden da ist - das ändert strukturell nichts", teilte der Geschäftsführer des Wettbewerberverbands Die Güterbahnen, Peter Westenberger mit. "Wir fordern, die Milliarden aus dem Verkauf als Grundstock für einen mehrjährigen Infrastrukturfonds zu verwenden."
Die Transaktion von Schenker soll DSV im zweiten Quartal des kommenden Jahres abgeschlossen sein. Zuvor müssen noch der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn, der eine Prüfung des Schenker-Verkaufs im Dezember 2022 angewiesen hatte, die Bundesregierung als auch die Wettbewerbsbehörden zustimmen.
Schenker kein Einzelfall
Der Bahn-Logistikriese ist nur das jüngste Beispiel für das Engagement ausländischer Investoren in Deutschland. Erst diese Woche hatte sich die italienische Großbank Unicredit
Dies sei "Teil normaler wirtschaftlicher Aktivität in einer offenen Volkswirtschaft", sagte der Chef des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, der Deutschen Presse-Agentur. "Auch deutsche Unternehmen investieren viel im Ausland, auch in den Kauf ausländischer Unternehmen."
Allerdings spiele es durchaus eine Rolle, wer der Investor sei und in was investiert werde. In einem Fall wie beim Logistiker Schenker oder der Commerzbank gehe es um Investoren aus der EU. Das sei geopolitisch unbedenklich, betonte Fuest. Differenzierter ist der Fall bei chinesischen Investoren. "Bei chinesischen Investoren, bei denen man nicht ausschließen kann, dass es eine Kontrolle durch den chinesischen Staat gibt, stellen sich Fragen der nationalen Sicherheit", sagte Fuest./maa/bf/trs/DP/ngu
Quelle: dpa-Afx