BERLIN (dpa-AFX) - Die Bundesregierung bereitet sich auf die mit Spannung erwartete Einschätzung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zum Corona-Impfstopp von Astrazeneca vor. An diesem Donnerstag wollte die EU-Behörde bekannt geben, ob sie weiter an dem Präparat festhält. Die EMA-Experten stellten das Vakzin auf den Prüfstand, nachdem Deutschland und andere Länder die Impfungen damit wegen mehrerer Thrombosefälle ausgesetzt hatten. In Deutschland gibt es inzwischen 13 gemeldete Fälle solcher Blutgerinnsel in Hirnvenen in zeitlichem Zusammenhang zu Impfungen, wie das Bundesgesundheitsministerium in Berlin mitteilte.

Die Bewertung der EMA soll dann bindend sein, wie das Ressort von Minister Jens Spahn (CDU) am Vortag mitgeteilt hatte. Beraten würden auch noch die Ständige Impfkommission (Stiko) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Spahn und der Präsident des in Deutschland für solche Zulassungen zuständigen PEI, Klaus Cichutek, wollten sich nach der EMA-Entscheidung noch am Nachmittag zu den Konsequenzen äußern.

Deutsche Ärztinnen und Ärzte erwarten, dass Astrazeneca zugelassen bleibt. Es könnten demnach aber Auflagen dazukommen. "Dann könnte es vielleicht eine Zulassung mit Einschränkungen geben - etwa nur für bestimmte Altersgruppen oder beispielsweise ohne gleichzeitige Nutzung der Pille", sagte der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), Frank Bergmann. Der Fachanwalt für Medizinrecht, Alexander Ehlers, hält einen generellen Stopp des Impfstoffs für unwahrscheinlich. "Wir erwarten (...), dass die EMA wahrscheinlich einen Warnhinweis ergänzend aufnehmen wird", sagte der Direktor des Health Care Management Institutes an der privaten EBS Universität für Wirtschaft und Recht bei Frankfurt im Deutschlandfunk.

Bisher wertet die EMA die Vorteile von Astrazeneca zur Verhinderung von Covid-19 größer als das Risiko. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte vor voreiligen Schlüssen eines Impfstopps. "In Impfkampagnen ist es Routine, potenzielle unerwünschte Ereignisse zu melden. Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass die Ereignisse mit der Impfung in Verbindung stehen", sagte der europäische WHO-Regionaldirektor Hans Kluge in Kopenhagen.

Nach der erwarteten EMA-Bewertung wollen sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten an diesem Freitag per Telefonkonferenz zusammenschalten. Beraten werden soll über den Fortgang der Impfkampagne in Deutschland. Auch über den Zeitplan für einen breiten Impfstart in Arztpraxen soll dabei beraten werden.

Gesundheitsminister Spahn hatte die Impfungen mit Astrazeneca in Deutschland am Montag vorübergehend vorsorglich gestoppt. Von den nun 13 gemeldeten Fällen von Thrombosen nach Impfungen endeten drei tödlich. Insgesamt handele es um zwölf Frauen und einen Mann zwischen 20 und 63 Jahren.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bereits betont: "Ich vertraue auf Astrazeneca." Sie erwarte von der EMA eine "sehr deutliche Aussage". Der Wirkstoff spielt eine wichtige Rolle für die Impfstrategie in der EU. Der britisch-schwedische Hersteller hat zwar Lieferschwierigkeiten. Dennoch sind EU-weit 70 Millionen Dosen für das zweite Quartal avisiert. Weil das Vakzin nicht stark gekühlt werden muss, kann es auch gut von Hausärzten gespritzt werden. Die EU-Länder kämpfen seit dem Start der Impfkampagne mit einem Mangel an Impfstoffen. In den kommenden Wochen sollen aber immer mehr Menschen geimpft werden können.

So sollen in Deutschland die Probleme knapper Dosen und überlasteter Termin-Hotlines von April an allmählich schwinden. Die größten Impfstoffmengen werden von Biontech /Pfizer erwartet - nach den bisherigen Planungen 40,2 Millionen Dosen im zweiten Quartal. Astrazeneca sollte mit 16,9 Millionen Dosen dabei sein. Dazu sind 6,4 Millionen Dosen von Moderna eingeplant. Zudem wird in der zweiten Aprilhälfte der Lieferbeginn des Johnson-&-Johnson-Stoffs erwartet.

Mit einer Entscheidung über die Zulassung des Präparats von Curevac (Tübingen/Niederlande) wird im Mai oder Juni gerechnet. Mittelfristig könnte auch der russische Impfstoff Sputnik V zugelassen werden. Eine entsprechende Forderung erhoben die Länderchefs von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Beim Impfen gibt es einen Wettlauf gegen die Zeit: Die dritte Corona-Welle schwappt mit immer mehr Macht durchs Land. Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt das Wachstum als exponentiell. Das Vorherrschen der britischen Variante macht schwere Krankheitsverläufe wahrscheinlicher. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner machte am Donnerstag erneut einen Sprung nach oben. Bundesweit lag die Sieben-Tage-Inzidenz laut RKI am Donnerstag bei 90 - und damit erneut deutlich höher als am Vortag (86,2). Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 17 504 Corona-Neuinfektionen - gut 3000 mehr als am Donnerstag der Vorwoche./klü/bw/sam/DP/jha

Quelle: dpa-Afx