HAMBURG (dpa-AFX) - Unsicherheiten infolge des Ukraine-Krieges und die andauernden Lieferketten-Probleme in China zwingen den Windanlagen-Hersteller Nordex zur Korrektur seiner Jahresziele. 2022 können demnach nur noch im besten Fall operativ schwarze Zahlen erreicht werden. Eher rechnet das Unternehmen mit einem operativen Verlust. "Wir müssen davon ausgehen, dass uns einige dieser Effekte bis in das kommende Jahr begleiten werden", teilte das Unternehmen von Konzernchef José Luis Blanco am Dienstagabend überraschend nach Börsenschluss in Hamburg mit.

An der Börse verschreckten die Nachrichten die Anleger: Die Nordex-Papiere fielen im frühen Mittwochhandel im Nebenwerteindex SDax zuletzt um mehr als 13 Prozent auf 10,90 Euro und damit auf das tiefste Niveau seit Oktober 2020. Neben der gekappten Prognose belasteten auch negative Analysten-Stimmen.

Der Experte Anis Zgaya von der Investmentbank Oddo BHF stufte die Aktie von einer Kaufempfehlung auf "neutral" ab. Es gebe viele Gründe für die Prognosekürzungen, die allerdings hauptsächlich nicht-wiederkehrend seien. Der Analyst rechnet mit größeren Kursschwankungen, solange sich die Lage in der Ukraine und in China nicht bessert. Kollege Analyst Ajay Patel von der US-Investmentbank Goldman Sachs kommentierte, dass die Ankündigung im aktuellen Umfeld nicht völlig überraschend käme, sie sei aber doch negativ zu werten. Auf Jahressicht beläuft sich der Abschlag der Nordex-Papiere auf über 21 Prozent. Laut Constantin Hesse vom Analysehaus Jefferies dürfte es zwar vorerst bergab gehen, er geht aber davon aus, dass die korrigierte Prognose bereits teilweise eingepreist war.

Als operatives Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda-Marge) sollen bei Nordex vom Umsatz nun nicht mehr 1 bis 3,5 Prozent übrig bleiben, sondern nur noch minus 4 bis 0 Prozent. Auch den Umsatz erwartet der Vorstand niedriger als bislang angenommen: Statt 5,4 bis 6,0 Milliarden Euro wird er indessen wohl zwischen 5,2 bis 5,7 Milliarden Euro ausfallen. Zum Vergleich: Das vergangene Jahr hatte Nordex mit einem Umsatz von 5,4 Milliarden Euro und einem operativen Ergebnis von 52,7 Millionen Euro abgeschlossen. Das entspricht laut dem Jahresbericht einer operativen Marge von 1 Prozent. Die Erwartungen für Investitionen in Höhe von rund 180 Millionen Euro und die Working-Capital-Quote von unter minus 7 Prozent bleiben unverändert.

Nordex und viele seiner Wettbewerber leiden bereits seit vielen Monaten unter den angespannten Lieferketten als Folge der Corona-Pandemie sowie massiv gestiegenen Kosten. Denn vor allem Rohstoffe und Energie haben sich stark verteuert. Dabei ist Nordex vor allem von den hohen Preisen für Stahl betroffen, aber auch beispielsweise für Nickel, wie Konzernchef Blanco Ende März im Interview mit der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX sagte. Ursprünglich hatte Blanco im laufenden Jahr eine operative Gewinnmarge von 8 Prozent erreichen wollen. Mittlerweile wird das von dem Unternehmen nur noch als "strategisches Mittelfristziel" bezeichnet. "Die momentane Situation ist nicht nachhaltig genug gesichert, um profitabel zu sein", sagte der Manager in dem Interview.

Dass Nordex nun seine Jahresprognose korrigieren muss, begründen die Hamburger unter anderem mit dem Ukraine-Krieg. Denn dessen Folgen und die Auswirkungen durch die Corona-Lockdowns in China hätten Ende März "mangels ausreichender Vorhersehbarkeit" noch nicht berücksichtigt werden können. Nun seien die Folgen aus den geopolitischen Ereignissen aber enthalten. Ebenso wie die zusätzlichen Kosten, die Nordex durch Cyber-Angriff Ende März entstanden sind. Sowie Einmalaufwendungen für die Umstrukturierung der Produktion, die der Konzern seit geraumer Zeit vornimmt, um profitabler zu werden.

In der neuen Prognose schlüsselt Nordex die Belastungsfaktoren weiter auf. Dabei nehmen die knappen Rohstoffe sowie die Lieferketten-Probleme den größten negativen Einfluss ein. Die volatile Situation und die Lieferketten-Störungen insbesondere bei Transporten über den Seeweg belasteten laufende Projekte erheblich, hieß es demnach vom Vorstand. Er verzeichne erhebliche Engpässe bei Stahl und anderen kritischen Komponenten. Zwar seien Umfang und Ausmaß schwierig abzuschätzen und noch schwer vorherzusagen. Nordex rechnet aber damit, dass diese Faktoren die operative Marge mit 2 bis 2,5 Prozentpunkten belasten werden.

Außerdem rechnet das Unternehmen als direkte Auswirkung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mit einem Umsatzverlust von rund 200 Millionen Euro. Ferner sei mit weiteren Abschreibungen zu rechnen als Folge gestoppter oder nicht mehr durchgeführter Projekte. Die unmittelbaren Auswirkungen hieraus könnten sich auf bis zu einem Prozentpunkt der operativen Marge im laufenden Jahr belaufen.

Den Einfluss der umgestellten Produktionsstätten auf die Gewinnmarge beziffert Nordex auf bis zu 1,5 Prozentpunkte. Das Unternehmen will unter anderem die Rotorblatt-Fertigung in Rostock bis Ende Juni einstellen. Hier seien die Verhandlungen bereits "weit fortgeschritten", wie es am Dienstagabend aus Hamburg hieß. Unter anderem verhandeln Gewerkschaften über die Einsetzung einer Transfergesellschaft und hoffen auf die Übernahme des Standorts durch neue Investoren. Von der Schließung wären 600 Angestellte betroffen. Zudem hat Nordex den spanischen Standort La Vall d'Uixo geschlossen.

Weiterhin dürften die coronabedingten Lockdowns in China die Lieferketten von Nordex belasten und auch der Cyber-Vorfall schlägt sich nieder. Der Vorstand erwartet, dass sich diese Faktoren mit bis zu 1 Prozentpunkt negativ auf die Marge auswirken.

Hinsichtlich des Hacker-Angriffs gibt es laut Nordex keine Anzeichen dafür, dass Windparks und Systeme Dritter betroffen sind. Dennoch habe die IT-Infrastruktur neu hergestellt werden müssen. Daraus resultieren Verzögerungen und Kosten für Nordex. Der Cyber-Vorfall hatte bereits zur Folge, dass Nordex die Vorstellung der Zahlen zum ersten Quartal verschieben musste. Der Quartalsbericht soll nun am 20. Juni veröffentlicht werden./lew/ngu/mne/stk

Quelle: dpa-Afx