BERLIN (dpa-AFX) - Im Wettlauf gegen eine immer weitere Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland hat die Bundesregierung die Weichen für den Impfstart gestellt. "Die Schwächsten zu schützen, das ist das erste Ziel unserer Impfkampagne", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag in Berlin. Hochbetagte über 80 und Pflegekräfte sollen ab 27. Dezember zuerst geimpft werden. Mit seiner Unterschrift unter einer entsprechenden Impfverordnung wollte Spahn am Freitagnachmittag den rechtlichen Startschuss für die Massenimpfung geben. Zwei Tage nach Beginn des Winterlockdowns schritt die Durchseuchung der Bevölkerung noch weiter voran.
Mit mehr als 30 000 binnen eines Tages gemeldeten Corona-Infektion gab es abermals einen neuen Rekord. Mit 813 Todesfällen meldete das Robert Koch-Institut zudem den zweithöchsten Wert nach 952 vom Mittwoch. Laut Statistischem Bundesamt sind bereits in der dritten Novemberwoche neun Prozent mehr Menschen in Deutschland gestorben als im Schnitt der Vorjahre. Spahn mahnte die Menschen eindringlich, auch über Weihnachten sämtliche privaten Kontakte einzuschränken: "Wir müssen diese Dynamik brechen."
Er sagte: "Jeder zweite Todesfall in dieser Pandemie ist ein über 80-Jähriger, eine über 80-Jährige." Deswegen beginne die Impfung in den ersten Tagen nach dem Start in Pflegeeinrichtungen. Dies gelte, auch wenn Ärzte und Pfleger in der Intensivmedizin der Kliniken ebenfalls zur ersten Priorität zählen. Denn es sei eine "bittere Erkenntnis", dass Corona trotz aller Schutzkonzepte nicht sicher aus Pflegeheimen ferngehalten werden könne. Einmal in einem Heim aufgetreten, schlage das Virus dort brutal zu.
Alle anderen Menschen bat der Minister erneut um Geduld. "Ich bitte Sie darum abzuwarten, bis auch Sie an der Reihe sind." Spahn: "Der Winter wird noch lang, wir werden noch längere Zeit mit diesem Virus leben müssen." Aber: "Es gibt Hoffnung." Anspruch auf die Impfung hätten dann alle Menschen mit Wohnsitz oder längerfristigem oder regelmäßigem Aufenthalt in Deutschland.
An diesem Montag gibt die europäische Arzneimittelagentur EMA ihre Beurteilung über den Biontech
Folgende Gruppen werden dann nach und nach geimpft: In einer weiteren Stufe Ältere zwischen 75 und 79 Jahren, Menschen mit Demenz oder einer geistigen Behinderung in Einrichtungen, dort tätiges Personal, Menschen mit Down-Syndrom. Folgen sollen 70- bis 74-Jährige, Menschen nach Organtransplantationen, Bewohner und Personal in Gemeinschaftsunterkünften (etwa für Minderjährige, Asylsuchende, Obdachlose, enge Kontaktpersonen von Schwangeren und Pflegebedürftigen, dann Ältere zwischen 65 und 69 Jahre, Lehrkräfte, Erzieherinnen, Inhaftierte, Saisonarbeiter, Beschäftigte in Verteilzentren oder der fleischverarbeitenden Industrie, weiter 60- bis 64-Jährige, Personal in Schlüsselpositionen der Landes- und Bundesregierungen sowie Mitarbeiter im Einzelhandel, der Polizei, der Feuerwehr oder des ÖPNV.
Immer noch prioritär folgen die übrigen Unter-65-Jährigen. Spahn kündigte aber "fließende Übergange" an. Nach einer sehr starken Priorisierung zu Beginn erwartet er immer zahlreicheren Impfstoff und neue Zulassungen - etwa des Serums der Firma Moderna
Im ersten Quartal rechnet Spahn mit 11 bis 13 Millionen Impfdosen für Deutschland. Laut "Spiegel" hätte die EU mehr Biontech-Impfstoff kaufen können als die bestellten bis zu 300 Millionen Dosen. Ein Sprecher der EU-Kommission äußerte sich nicht zu den Verhandlungen. Ziel sei ein breites Portfolio verschiedener Anbieter gewesen.
Mobile Impftrupps kommen laut Spahn in den Heimen zum Einsatz - aber auch bei Hochbetagten und Pflegebedürftigen zuhause, die nicht in ein Zentrum gehen könnten. Als Beispiel für die unterschiedliche Organisation vor Ort nannte Spahn einen Impfbus in Nürnberg.
Eine Bevorzugung von Geimpften bei den Einschränkungen lehnt Spahn strikt ab. "Wenn auch jüngere und mobile Menschen in die Möglichkeit kommen, geimpft zu werden nach und nach (...), dann kann nicht die erste Frage sein: Was darf ich jetzt alles wieder und lass' ich die Maske gleich im Bus weg?" Dies sei eine "Frage von Solidarität". "Theoretisch kann jeder privat zuhause natürlich sagen: Ich lade nur noch Leute ein, die immun sind." Der Staat werde seine Aufgaben hingegen gegenüber allen Menschen erfüllen.
Spahn räumte indirekt Versäumnisse der Politik ein. Er sagte, "dass ein früheres Reduzieren von Kontakten insbesondere im Herbst einen Unterschied gemacht hätte". Im Oktober hatten die Länder und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zunächst einen "Lockdowns light" beschlossen. Im November hatten die Ministerpräsidenten mehrheitlich einen Vorschlag des Kanzleramts über Verschärfungen nicht mitgetragen.
Die Bundesregierung stuft die Kanarischen Inseln wieder als Corona-Risikogebiet ein. Das Robert Koch-Institut teilte mit, dass damit ab Sonntag wieder ganz Spanien auf der Risikoliste steht./bw/sam/jr/DP/jha
Quelle: dpa-Afx