Dicker Abschlag: Börsianer trauen der Trendwende des deutschen Markführers nicht. Wer nachrechnet, findet 60 Prozent Kurspotenzial. Von Jörg Lang
Die Europäische Zentralbank macht offensichtlich keine Kompromisse. Nach den Pleiten bei US-Regionalbanken und der Zwangsrettung der systemrelevanten Schweizer Großbank Credit Suisse im Frühjahr wurde der Stresstest für europäische Banken noch einmal verschärft. Auch die Deutsche Bank war davon betroffen. Der deutsche Branchenprimus konnte unter den verschärften Bedingungen den Stresstest nicht bestehen.
Das zeigt auch Wirkung auf die Aktie des deutschen Marktführers. Der zarte Aufwärtstrend, der sich nach einer Konsolidierung wieder entwickelte, wurde ausgebremst. Allerdings zeigt der zweite Blick auf den Stresstest deutliche Verbesserungen etwa zur Auswertung von vor zwei Jahren und weniger harte Annahmen. Offensichtlich hat die Bilanzstärke des Finanzinstituts mittlerweile zugenommen, und die Risiken wurden reduziert.
Dieser positive Eindruck wird auch von den Zahlen unterlegt. Im ersten Halbjahr steigerte die Bank ihre Einnahmen stärker als erwartet. Gleichzeitig verbesserte sich die Bilanzqualität. Sowohl die Eigenkapitalquote und die Verschuldungsquote liegen deutlich über den Jahresschlusswerten. Mit einem Vorsteuergewinn von 3,3 Milliarden Euro erreichte die Deutsche Bank das beste Ergebnis seit 2011. Werden die nicht operativen Kosten eliminiert, hätte die Bank sogar rund vier Milliarden verdient, gut ein Fünftel mehr als im Jahr zuvor. Der recht hohe Anteil an nicht operativen Kosten zeigt, dass der Restrukturierungsprozess noch nicht zu Ende ist. Die Bank reklamiert, dass die Flexibilität bei den Kosten zugenommen habe. Das macht Hoffnung für die kommenden Quartale. Fakt ist: Die Bank ist heute solider als vor zwei Jahren, verdient auch deutlich mehr und hat wahrscheinlich auch bessere Ertragsperspektiven. Nur die Aktie läuft dem hinterher.
Bewertungsformel zeigt Potenzial : 60 % Kurschance sind drin
BÖRSE ONLINE verwendet bei der Bewertung von Bankaktien eine Gegenüberstellung von Eigenkapitalrendite und Kurs-Buchwert-Verhältnis. Um dabei besonders konservativ zu sein, wird die Eigenkapitalrendite auf das gesamte Eigenkapital berechnet, die Kurs-Buchwert-Relationen jedoch nur auf das um Goodwill bereinigte niedrigere Eigenkapital. So fällt die Rendite niedriger aus, die Kurs-Buchwert-Relation ist hingegen höher. Die recht einfache Regel dabei heißt: Bei einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von eins sollte die Bank eine zweistellige Eigenkapitalrendite erwirtschaften können. Gelingt das nicht, ist ein Abschlag fällig. Bei einer Eigenkapitalrendite von fünf Prozent wäre entsprechend eine Kurs-Buchwert-Relation von 0,5 angebracht.
Im Fall der Deutsche-Bank-Aktie ergeben sich gemessen an Bilanz und erwarteten Erträgen für das laufende Geschäftsjahr folgende Relationen: Das konservativ berechnete Kurs-Buchwert-Verhältnis liegt bei 0,36, die erwartete Eigenkapitalrendite nach Steuern bei 6,8 Prozent. Wird das nun nach dem Modell hochgerechnet, müsste die Aktie mit einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von rund 0,6 bewertet werden, was dem Wert ein Potenzial von deutlich mehr als 60 Prozent geben würde. Zu einer ähnlichen Auffassung kommen im Übrigen auch die Analysten von Kepler Cheuvreux. Sie trauen der Aktie sogar Kurse um 18,50 Euro zu, 87 Prozent über dem aktuellen Niveau.
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