In Deutschland braut sich etwas zusammen, was Einfluss auf Europa oder gar die ganze Welt haben könnte. Nach der drastischen Verringerung der Gaslieferungen durch Russland hat die Bundesregierung nun die Alarmstufe im Notfallplan Gas ausgerufen. "Auch wenn man es noch nicht so spürt: Wir sind in einer Gas-Krise", sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck. Die Lage sei ernst.

Die Gas-Preise seien jetzt schon hoch, so der Vizekanzler. "Wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen." Von dem sogenannten Preisanpassungs-Mechanismus, den der Paragraf 24 des Energiesicherungsgesetzes ermöglicht, macht die Bundesregierung jedoch vorerst keinen Gebrauch. Dazu müsste die Bundesnetzagentur eine erhebliche Reduzierung der Gesamt-Gas-Importmengen nach Deutschland feststellen.

Dieser Mechanismus könnte laut Habeck in bestimmten Situationen notwendig sein, um einen Kollaps der Energieversorgung zu verhindern. "Es gilt, den Markt trotz hoher zusätzlicher Kosten am Laufen zu halten", sagte Habeck.

Lehman-Effekt droht am Energiemarkt


Das Problem sind jedoch nicht die Preise für die privaten Verbraucher, sondern vielmehr die Unternehmen, die auf Gas angewiesen sind, auf bezahlbares Gas. Und günstige Gaspreise sind derzeit nicht absehbar. Da die Energieversorger wegen geltenden Verträgen gezwungen sind, teure Gas-Mengen zu vereinbarten Preisen bereitzustellen, würden lokale Versorgungsunternehmen immer mehr Verluste machen. "Wenn dieses Minus so groß wird, dass sie es nicht mehr tragen können, droht irgendwann der ganze Markt zusammenzubrechen", sagte Habeck auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. "Also ein Lehman-Effekt im Energiesystem. " Die Lehman-Pleite hatte 2008 eine globale Finanzkrise ausgelöst.

Die Krise hat sich bereits weit über Deutschland hinaus ausgebreitet. Zwölf EU-Staaten sind betroffen und zehn haben eine Frühwarnung im Rahmen der Gassicherheitsverordnung herausgegeben, sagte Frans Timmermans, der Klimachef der Europäischen Union kürzlich in einer Rede vor dem Europäischen Parlament. "Das Risiko einer vollständigen Gasstörung ist jetzt realer als je zuvor", sagte er laut Bloomberg. "All dies ist Teil der Strategie Russlands, unsere Einheit zu untergraben."

Rezessionsängste drücken Rohstoffpreise


Sichtbar wird die Krise auch bei anderen Rohstoffen. Da die hohen Preise für Energie die Inflation befeuern, wollen die Notenbanken mit Zinserhöhungen gegensteuern. Das wiederum droht die Konjunktur in vielen Ländern abzuwürgen. Eine Rezession wird immer wahrscheinlicher. Das wiederum drückt die Preise für Rohöl, Kupfer, Aluminium, Blei und Zink seit Tagen abwärts, während Gas tendenziell teurer wird.

Ein kompletter Gas-Lieferstopp durch Russland dürfte einen deftigen Wirtschaftsabschwung nach sich ziehen. Der daraus resultierende Rohstoff-Nachfrage-Rückgang wiederum könnte sogar einen Crash am Rohstoff-Markt auslösen.

Diese Unternehmen leiden überdurchschnittlich


Mehrere Unternehmen sind davon bereits jetzt betroffen, mit am stärksten Uniper. Die im MDax gelistete Firma ist Deutschlands größter Importeur von russischem Erdgas und gleichzeitig größter Speicherbetreiber. Rund ein Viertel der deutschen Speicherkapazität entfällt auf Uniper. Die Aktie verliert am Donnerstag erneut mehr als vier Prozent.

Wichtigster Kunde von Uniper ist der weltgrößte Chemiekonzern BASF. Ein möglicher Stopp russischer Gaslieferungen würde die Produktion am Standort Ludwigshafen massiv beeinträchtigen, wenn nicht gar stilllegen.

Zur Produktion ihrer Produkte benötigen auch Metall-Konzerne Erdgas. Bleibt das aus, können weniger Stahl- oder Kupfer-Produkte auf den Markt gebracht werden. Die Rezessionsrisiken bedrohen diese zyklischen Unternehmen zusätzlich. Stahl-Erzeuger wie Thyssenkrupp, Salzgitter und ArcelorMittal sowie Kupfer-Konzern Aurubis stehen an der Börse unter überdurchschnittlichem Druck. "Basismetalle bleiben durch die schwierigen Nachfrage-Aussichten im Zusammenhang mit den chinesischen Covid-19-Sperren und der Straffung der Geldpolitik unter Druck", konstatieren die Experten der Bank Standard Chartered.

BÖRSE ONLINE rät kurzfristig orientierten Anlegern von einem Kauf der betroffenen Unternehmen ab. Vor einem langen Horizont bleiben die Aktien jedoch haltenswert.

mmr mit dpa und rtr