Am 25. September 2000, also wenige Monate nach dem absoluten Zenit des New Economy-Hypes, veröffentlichte ich eine Kolumne, in der ich über das Going Public von Bana N.A.S.A schrieb, einem in Costa Rica beheimateten Unternehmen, das im Untertagebau Bananen mit einer neuartigen Schürfmethode aus über Jahrhunderte gewachsenen Fruchtkavernen freischälen und damit den Weg an die Weltspitze des Bananenhandels schaffen wollte. Interessantes Zubrot: Durch TAC (Turbo Air Cleaning) sollten die im sgn. Rensack-Verfahren nach oben umgestülpten Fruchtstollen gereinigt werden, wobei quasi nebenbei Goldfunde enormen Ausmaßes zu erwarten waren. Auch wenn es heute unvorstellbar klingt: Ein Kollege, der u. a. im Futureshandel und in der Vermögensverwaltung tätig war, fragte mich damals allen Ernstes nach einer Wertpapierkennnummer. Die gab es natürlich nicht. Ebenso wenig wie diese haarsträubend verrückte Story. Aber ich bin mir sicher:
So kopfschüttelnd wir mittlerweile vor der Verblendung der damaligen Zocker stehen, so kopfschüttelnd werden uns kommende Anlegergenerationen einmal fragen, ob heutige Marktteilnehmer denn allen Ernstes einmal davon überzeugt waren, dass per Mausklick erzeugtes virtuelles Geld und die Idee, kreditinduzierte Krisen mit noch mehr Krediten zu bekämpfen, eine ewige Hausse oder gar reales Wirtschaftswachstum hervorbrächten. Und wenn wir ehrlich sind, werden wir dann antworten müssen: Es war so.
Dass wir uns dann noch unangenehmere Fragen stellen lassen müssen, z. B. über die Idee dieses "Wirtschaftswachstums", ist eher unwahrscheinlich. Denn bis dahin dürfte der totale, von den USA ausgehende Überwachungswahn dafür Sorge getragen haben, dass niemand mehr Fragen stellt, die Zweifel an der wohlmeinenden Omnipotenz der politisch-wirtschaftlichen Elite erkennen lassen könnten. Berlin zumindest zeigt dazu derzeit auch nach Herrn Pofalla in etwa so viel Rückgrat wie ein missglückter Vanillepudding. Und um den nicht auf die Reihe zu bekommen, muss man ihn nicht auf die Reihe bekommen wollen.
FED in der Klemme
Spätestens im Kindergarten lernen die meisten von uns, dass sich ein Türmchen nicht beliebig hoch bauen lässt und dass die Sache mit jedem weiteren Bauklötzchen nach und nach immer wackeliger wird. Notenbanker waren vermutlich nie im Kindergarten, auch wenn sie sich bisweilen so aufführen. Ein Zinsklötzchen wird aufs andere getürmt - mit der kleinen, aber ausschlaggebenden Besonderheit, dass die Klötzchen immer größer werden. Das tut man, es darf gestaunt werden, um der Stabilität des Systems willen.
Dass es den Verantwortlichen, wenn gerade einmal keine Kamera und kein Mikrofon in der Nähe ist, dabei alles andere als wohl sein dürfte, zeigt sich in den Protokollen der US-Notenbanksitzung, aber auch in den Sonntagsreden der Deutschen Bundesbank oder des Bundesfinanzministers. Ein Problem aber scheint nun dennoch näher zu rücken:
Seit geraumer Zeit hat die Federal Reserve unterstrichen, ihre Geldpolitik straffen zu wollen, falls die Arbeitslosenquote auf 6,5 Prozent fällt. Dass die dahinterstehende Logik nicht nachvollziehbar ist, wollen wir einmal außen vor lassen und den Blick auf die gestern veröffentlichten US-Arbeitsmarktzahlen für Dezember richten.
Angeblich wurden 74.000 neue Stellen geschaffen, während die Arbeitslosenquote von 7,0 auf 6,7 Prozent fiel. Nur: Allein um die Beschäftigungsrate stabil zu halten, bräuchten die Vereinigten Staaten wegen ihres Bevölkerungswachstums monatlich 150.000 neue Arbeitsplätze. Irgendetwas an den Zahlen kann also nicht stimmen.
Und das tut es auch nicht. Denn fernab der statistischen Tricks der letzten Jahrzehnte krankt die Erhebung der Zahlen schon am verwendeten Ansatz: Sowohl die Arbeitslosenquote als auch die Anzahl neuer Jobs werden in Telefonumfragen ermittelt und dann hochgerechnet. Dass dabei zwangsläufig auch reiner Blödsinn herauskommen kann, liegt auf der Hand.
Dessen ungeachtet liegen 6,7 Prozent nun nicht mehr weit von der "Fed-Grenze" von 6,5 Prozent entfernt, aber der die US-Notenbank nach eigenem Bekunden restriktiver werden will. Das Makabre daran:
Quelle: www.shadowstats.com
Die tatsächliche, um die statistischen "Bereinigungen" bereinigte Arbeitslosenquote, wie sie von www.shadowstats.com berechnet wird, ist im Dezember sogar wieder leicht gestiegen und liegt nun bei 23,1 Prozent. Was dabei herauskommen wird, sollte die Notenbank tatsächlich ihre Politik des ultraleichten Geldes verschärfen, liegt auf der Hand.
Jaja, diese Amerikaner, werden Sie vielleicht denken. Aber seien wir nicht zu voreilig. Die Änderung des Sozialgesetzbuchs von 2008 (s. § 12 a SGB II i. Z. mit Kap. 3 SGB XII), gestattet es der Bundesagentur für Arbeit, Hartz IV-Empfänger ab einem Alter von 63 Jahren in Frührente zu schicken. Und davon wird auch fleißig Gebrauch gemacht. So hat sich die Anzahl dieser Zwangsverrentungen seit 2008 mehr als verdreifacht. Effekt: Die Arbeitslosenquote, die schon durch die zahlreichen unsinnigen "Maßnahmen" der Arbeitsagentur um rund eine Million geschönt wird, sinkt statistisch noch weiter, während die Verrenteten mit Abschlägen auf ihr Altersruhegeld zurecht kommen müssen. So leger lassen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und dem Wahlvolk als Erfolg verkaufen.
Einmal oben, einmal unten
Am Freitag findet an den Terminbörsen der sgn. kleine Verfalltermin statt. Und danach geht es um einiges. U. a. um die Entscheidung, ob sich nun die mittel- oder die langfristige Perspektive durchsetzt. Sehen wir uns zuerst einmal das langfristige Bild an. Den Monatschart des Dow Jones mit dem gewaltigen charttechnischen "Megaphon" besprechen wir erst wieder zum Monatsultimo. Nehmen wir stattdessen einmal den Nasdaq 100 ins Visier.
Ich weiß, viele Anleger misstrauen der Charttechnik. Die Meisten vermutlich, weil "nicht sein kann, was nicht sein darf". Aber wie auch immer, der wunderschöne Aufwärtstrendkanal des wichtigsten US-Technologie-Index lässt sich einfach nicht wegzudiskutieren. Und ebenso wie im "Megaphon" des Dow Jones sind wir auch hier jetzt "oben". Der Kurs könnte also sorgenfrei bis rund 3.100 nachgeben, ohne diesen Haussekorridors in Gefahr zu bringen. Erst darunter würde es kritisch.
Etwas anders sieht der kurzfristige Chart des S&P 500 aus. Her hat der Kurs am Montag ganz exakt auf eine sgn. Kreuzunterstützung zurückgesetzt, die mit Fug und Recht auch die Wiege eines neuen Aufwärtsschubs seit könnte. Zum Verfalltermin geht es also darum, welches Lager sich nun durchsetzt. "Auf Sicht" aber werden sich immer noch die fundamentalen Basisfaktoren durchsetzen, auch wenn es den Notenbanken gelungen ist, sich die Lufthoheit über die Entscheidungsfähigkeit der meisten Anleger zu erobern. Und die Fakten sind nicht gut.
Rohstoffe mit neuem Verkaufssignal
Denn noch etwas sollten die Haussiers beachten. Und zwar die Rohstoffpreise. Denn anders als bullishe Erwartungen etwa aus Politik, Notenbanken oder IWF sind sie ein belastbarer Indikator für die Perspektive der Weltwirtschaft. Rechnen die Akteure dort mit einer anziehenden Konjunktur, steigen die Preise etwa für Industriemetalle, Bauholz oder Energie etc.. Umgekehrt fallen sie, wenn die Marktteilnehmer mit einer Abschwächung der Wirtschaft rechnen und entsprechend weniger Rohstoffe kaufen.
Letzteres ist gegenwärtig der Fall. Denn der Rogers Rohstoffpreis-Index ist in der vergangenen Woche erstmals wieder unter seine letzten Tiefs und damit auf den niedrigsten Stand seit Mitte 2012 gefallen. Für sich genommen, sollte das nicht überbewertet werden.
Aber es fügt einen weiteren Mosaikstein in das Bild einer heraufziehenden Deflation oder zumindest Stagnation, auch wenn die Notenbanken dieser Welt dieses Szenario verbal ins Reich des Unmöglichen verdammen. Zieht die Fed in diesem Umfeld tatsächlich die Zinsschraube an, versetzt sie der Wirtschaft den Todesstoß. Denn eine Deflation wird bekanntermaßen durch Zinssenkungen bekämpft, nicht durch Zinserhöhungen. Die Fed steht damit vor einem Problem: Sinkt die Arbeitslosenquote auf 6,5 Prozent, müsste sie schon allein aus Gründen der Glaubwürdigkeit handeln. Tut sie es, wird sie diesen Schritt schneller wieder rückgängig machen müssen als sie meint. Und das wäre nun auch wieder alles andere als Vertrauen bildend.
Sentiment mit jähem Dreh
Bewegung ist jetzt auch in den nächsten Chart gekommen. Wie Sie wissen, hatte die Quote der negativ gestimmten US-Börsenbriefe vor Weihnachten ein neues 26-Jahrestief markiert und war in den vergangenen Wochen dort verblieben.
Dieser Überoptimismus, der fast schon das heute überstrapazierte Prädikat "historisch" verdient, hat in der abgelaufenen Woche jedoch einer heftigen Aufwärtszacke Platz gemacht.
Was die Verfasser der Börsendienste zum Umdenken bewegt haben mag, ist unklar. Umso klarer ist, dass dieser Schwenk zu einer Art sich selbst erfüllender Prophezeiung werden könnte, wenn die Anleger der aufkeimenden Skepsis folgen und Gewinne mitnehmen. Was zu tun ist, hatte ich ja bereits in der letzten Woche skizziert: Wer long ist, sollte auch long bleiben und sich keinesfalls aus "Besserwisserei" gegen den Markt stemmen. Unverzichtbar bleiben allerdings enge Stopps. In meinem Börsendienst "private profits" bin ich derzeit nach Gewinnmitnahme im DAX noch im MDAX und im TecDAX auf der Longseite. Und beim TecDAX habe ich den Gewinn sichernden Stopp in der vergangenen Woche gleich zweimal nachgezogen. Und ziehen die Kurse weiter an, ziehe ich die Stopps nach. Punktum und fertig.
Kleines Fazit
Börsianer finden so gut wie immer einen Grund zur Verteidigung der Annahme, dass sie "die Welt da draußen" gerade jetzt nicht interessieren müsse. Verfalltermin, Notenbanksitzung, US-Arbeitsmarktdaten, Quartalsberichte und und und. Der "Welt da draußen" ist das allerdings regelmäßig sehr egal. Und sie beschert den Anlegern immer dann die Quittung, wenn sie sich wieder einmal zu weit von ihr entfernt haben - nach oben oder nach unten. Über was wir heute reden müssten, wissen Sie. Mit "Und dennoch naht die Wende" hatte ich diesen Beitrag begonnen. Wenn Sie wissen wollen, wann es für den DAX soweit ist, besuchen Sie einfach einmal www.daximal-system.de
Viel Erfolg und beste Grüße!
Axel Retz
Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt das Portal www.private-profits.de.
Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt das Portal www.private-profits.de.