BÖRSE ONLINE: Seit August läuft das Wirecard- Insolvenzverfahren. Gläubiger fordern über zwölf Milliarden Euro Schadenersatz. Wie sind die Erfolgsaussichten?
Klaus Nieding: Unter den Anspruchstellern sind eben nicht nur Gläubigerbanken oder Geschäftspartner, sondern auch Aktionäre, Anleihegläubiger und Derivateanleger. Wir rechnen damit, dass der Insolvenzverwalter Forderungen von rund sechs Milliarden Euro als rechtmäßig anerkennt. Nach meiner Erfahrung aus drei Jahrzehnten Insolvenzrecht könnten Wirecard-Geschädigte am Ende mit einer Rückzahlungsquote von etwa zehn Prozent rechnen. Das sind bei 100 000 investierten Euro 10 000 Euro - besser als nichts.

Aktionäre müssen im Insolvenzverfahren normalerweise hinter anderen Fremdkapitalgebern zurückstecken. Wie ist es hier?
Die Schadenersatzansprüche der Aktionäre gegen die Wirecard AG ergeben sich aus der Falschinformation des Kapitalmarkts. Bei korrekter Information über die Finanzlage hätten die Anleger nie in die Aktien investiert. Das unterscheidet den Fall von anderen Insolvenzen. Deshalb sollten Aktionäre ihre Ansprüche im Insolvenzverfahren stellen.

Ist es sinnvoll, auch Manager wie Ex-Chef Markus Braun persönlich zu verklagen?
Ansprüche können auch persönlich gegen Ex-Vorstände und -Aufsichtsräte eingeklagt werden, das läuft parallel zur Haftung der AG. Die Vorstände haften mit ihrem Privatvermögen, womöglich greift auch die Manager- Haftpflicht-Versicherung D & O.

Aber nicht bei kriminellen Handlungen.
Die Haftungspflicht der D & O-Versicherung ist im Fall Wirecard noch nicht endgültig geklärt. Aber bei den D & O-Versicherern dürften die Sektkorken geknallt haben, als die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Wirecard-Vorstand eingeleitet hat, weil sie bei strafrechtlichen Tatbeständen schon so gut wie aus dem Schneider sind. Meiner Meinung nach ist da nicht viel zu holen, wie auch bei den Vorständen persönlich.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen auch gegen die Wirtschaftsprüfer von EY, die die gefälschten Abschlüsse der Jahre 2016 bis 2018 testiert haben. Andere Anwälte sprechen von Vorsatz und haben Klagen eingereicht. Warum setzen Sie ausgerechnet bei EY auf eine Vergleichslösung?
Weil wir davon ausgehen, dass sowohl EY als auch der Wirtschaftsstandort Deutschland hohes Interesse haben, dass EY den Wirecard-Skandal "überlebt". Der Londoner EY-Konzern kann es sich allein schon imagemäßig nicht leisten, seine wichtige Deutschland- Tochter zu verlieren. Aber auch der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht mehr als drei große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, nicht zuletzt um die gesetzlich gewollte Trennung zwischen Beratung und Abschlussprüfung umzusetzen.

Wie wollen Sie dabei konkret vorgehen?
Wir setzen gemeinsam mit der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) auf einen Wirecard-Entschädigungsfonds, der von EY und der deutschen Wirtschaft finanziert wird und Anlegern zugutekommen soll. Wir bereiten dafür mit zwei internationalen Prozessfinanzierern und der DSW eine außergerichtliche Lösung vor, behalten uns parallel dazu aber auch eine Klage vor, um Druck auf EY aufzubauen.

Neben EY steht die Finanzaufsicht Bafin in der Kritik. Ihr werden nicht nur gravierende Aufsichtsfehler vorgeworfen, sondern mit dem 2019 verhängten Leerverkaufsverbot sogar Parteinahme für Wirecard. Was ist von der Bafin zu holen?
Aus unserer Sicht nichts, weil die rechtlichen Hürden zu hoch sind. Eine Amtshaftung greift nicht, weil die Bafin laut Gesetz im "öffentlichen Interesse" handelt. Das kommt nach gängiger Rechtsprechung einer Haftungsbefreiung gegenüber einzelnen Kapitalmarktteilnehmern gleich. Ähnliches gilt für die Haftung der Bundesrepublik oder einzelner Ministerien, fehlerhafte Kontrolle durch die Wirtschaftsprüferaufsicht DPR oder mangelnde Umsetzung von EU-Richtlinien. Nach unserer Auffassung kann hier kein Pflichtverstoß nachgewiesen werden.

Was raten Sie Anlegern?
Wir empfehlen jedem geschädigten Anleger, Forderungen im Insolvenzverfahren anzumelden und parallel dazu gegen die ehemalige Wirecard-Verwaltung und gegen EY.

Welche Gebühren fallen dafür an?
Im Insolvenzverfahren bei uns kleinere Pauschalbeträge, abhängig von der Forderungshöhe. Im EY-Verfahren geht an die beiden Prozessfinanzierer im Erfolgsfall eine Gebühr von 28 bis 32 Prozent des erzielten Schadenersatzes. Dafür entfällt das Prozessrisiko.

Gibt es Verjährungsfristen?

Im Insolvenzverfahren gab es eine erste Frist, die mittlerweile verstrichen ist. Allerdings ist die Forderungsanmeldung auch danach grundsätzlich möglich. Ansprüche gegen EY verjähren frühestens Ende 2022.