Doch die drohenden mittelbaren Folgen - Marktturbulenzen, ein Einbruch der Wirtschaft und eine Zementierung der ultraniedrigen Zinsen - würden den Finanzinstituten zu schaffen machen. Bankaktien geraten deshalb seit Wochen immer besonders stark unter Druck, wenn Prognoseinstitute eine steigende Brexit-Gefahr ausmachen. Die Papiere der Deutschen Bank fielen vergangene Woche auf ein Allzeittief von 12,68 Euro.

London zählt zu den wichtigsten Finanzzentren der Welt. 41 Prozent des globalen Devisenhandels findet beispielsweise in der britischen Hauptstadt statt. Auch große deutsche Geldhäuser sind deshalb stark an der Themse vertreten, vor allem im Investmentbanking. Die Deutsche Bank beschäftigt in Großbritannien insgesamt über 8000 Mitarbeiter, die Commerzbank mehr als 1000. Der drohende Brexit ist deshalb auch für sie ein großes Thema.

"Operativ sieht alles gut aus, denn wir sind eine deutsche Bank - und Deutschland will bis jetzt nicht austreten", sagt John Cryan, der britische Chef der Deutschen Bank. "Ich glaube, anfänglich wären die Marktturbulenzen das größte Problem." Denn gegen einen Absturz des britischen Pfunds, den viele Experten im Falle eines Brexit erwarten, können sich Geldhäuser kaum absichern. Viele Institute versuchen deshalb, ihren Handelsbestand an britischen Anleihen und Aktien so weit herunterzufahren wie möglich. "Wir schalten in den Defensiv-Modus", betont Cryan. Im Pfund-Handel sei das Institut aber ohnehin nicht besonders stark vertreten.

NACH DER KRISE IST VOR DER KRISE



Nichtsdestotrotz stellen sich die Händler der Deutschen Bank und anderer Geldhäuser vom 23. auf den 24. Juni auf eine ereignisreiche Nacht ein. Viele Devisenmarkt- und Anleihehändler werden dann auf Schlaf verzichten. "Sie mögen es nicht, wenn sie große Momente verpassen", sagt ein hochrangiger Banker. Auch Führungskräfte sollen sich zumindest in Rufbereitschaft halten. Sie werden auch im Auge behalten, ob die IT-Systeme der Banken der "Belastungsprobe Brexit" standhalten. Und sie wollen sicherstellen, dass im Zahlungsverkehr und bei der Abwicklung von Derivategeschäften keine Probleme auftreten. "Wir haben eine Task Force gegründet", sagt ein Spitzenmanager. "Die gab es bei der Griechenland-Krise auch schon."

Mehrere Banken aus dem In- und Ausland haben ihre Kunden prophylaktisch gewarnt, dass es nach einem Brexit zu Einschränkungen im Handel kommen könnte. Sollten dann massenweise Verkaufsorders eintreffen, könne es etwas dauern, bis es neue Marktpreise für bestimmte Wertpapiere gebe. Die Commerzbank hat nach eigenen Angaben alle nötigen Maßnahmen getroffen, um ihren Kunden auch "in volatilen Marktphasen" zur Verfügung zu stehen. "Wir stellen uns in den Handelsbereichen und im Risikomanagement personell entsprechend auf", sagt ein Sprecher von Deutschlands zweitgrößtem Geldhaus.

Intensiv beschäftigen sich Banker zudem mit der Frage, ob es nach einem Brexit zu einem Dominoeffekt käme - und die Märkte beginnen, über einen EU-Austritt von Italien oder Portugal zu spekulieren. Institute, die Staatsanleihen dieser Länder in den Büchern haben, müssten sich dann auf Buchverluste einstellen, sagt ein Bankvorstand. "Das müssten wir dann eben aushalten." Zudem müssten einige Geldhäuser nach einem Brexit ihre Prognosen anpassen, etwa zum erwarteten Wirtschaftswachstum.

GRÖSSTE PROBLEME FÜR GRÖSSTE BANKEN



Banken, die auf der Insel in größerem Stil aktiv sind, müssten zudem bestimmte Geschäfte in die EU verlagern. Konkrete Pläne dafür haben die meisten Geldhäuser aber noch nicht, schließlich würde Großbritannien erst nach einer zweijährigen Übergangsphase aus der EU ausscheiden. "Die größten Institute bekämen die größten Probleme", betont Felix Hufeld, der Präsident der Finanzaufsicht BaFin. "Sie haben die meisten Handelsaktivitäten mit beziehungsweise in London."

Wenn London nicht mehr Teil der EU sei, würde besonders der Handel mit Staatanleihen von Euro-Ländern nach Kontinentaleuropa verlegt, sagt Deutsche-Bank-Chef Cryan. "Wir handeln schließlich auch keine italienischen Staatsanleihen in Tokio." Institute, die große IT-Zentren in Großbritannien haben, müssten aus Sicht von Experten auch diese verlagern - denn der Datenaustausch mit Drittstaaten ist oft kompliziert und streng reguliert.

Bereits gehandelt haben einige ausländische Bankmitarbeiter, die im Fall eines Brexit um ihre Aufenthaltsgenehmigung in Großbritannien bangen, wie ein Berater erzählt. "Die Zahl der Händler und Manager, die eine britische Staatsbürgerschaft beantragt haben, ist zuletzt deutlich gestiegen."

rtr