Der Spruch ist so legendär wie der Name seines Urhebers lang: "Wir müssen den Leuten den Punsch wegnehmen, bevor die Party so richtiglosgeht", sagte einst William McChesney Martin Jr. Der war in den 50er- und 60er-Jahren Chef der US-Notenbank Fed. Keiner hatte den Job länger inne als er: fast 20 Jahre. Gemeint hat er mit dem sprichwörtlichen Wegnehmen der "punch bowl" die Zinspolitik der Notenbank. Der Zins müsse rechtzeitig erhöht werden, bevor die Konjunktur richtig Fahrt aufnimmt und überdreht. Oder um im Bild zu bleiben: Weg mit den alkoholischen Mischgetränken, bevor die Partygäste allzu übermütig werden.
Den undankbaren Job des Spielverderbers hat die US-Notenbank immer noch inne. Die potenzielle Spaßbremse heißt inzwischen Janet Yellen. Und die hat es wahrlich nicht leicht mit ihrer Aufgabe. Ihre jüngsten Kommentare jedoch sowie der Fakt, dass der US-Arbeitsmarkt nach einem durchwachsenen März im April richtig gut dastand, deuten aber darauf hin, dass die Fed im Juni wohl tatsächlich den Spaß ein wenig bremsen wird. Es steht eine weitere Zinserhöhung an. Insgesamt dürfte es dann für das Kalenderjahr auf drei Anhebungen hinauslaufen. Nun gut. Vermutlich verkraftbar für die Börse. Es entspräche dem Wegnehmen einiger Punschgläser. Kehraus ist anders.
Allerdings - und das wäre dann ein Problem - signalisieren einige Wirtschaftsindikatoren wie der Citigroup Economic Surprise Index nachlassendes Konjunkturwachstum. Und wir wissen ja: Sollten die USA schwächeln, dann wird auch Deutschland das mit Sicherheit tun. Wird die Fed also eventuell die Gläser zu früh wegnehmen? Wir hatten das ja schon einmal - kurz vor der Finanzkrise.
Und dann ist da noch etwas Wichtiges. Er mag ja seine Zeit gehabt haben, der William McChesney Martin Jr. Inzwischen jedoch gibt es neben der Fed einige weitere Notenbanken, deren Aktionen globale Konsequenzen haben. Da ist die EZB natürlich. Aber auch Chinas Notenbank. Es ist zwar nicht überliefert, ob dort Punsch getrunken wird - Spaßverderben haben sie aber auf jeden Fall drauf. So soll nun plötzlich das schon lange ausufernde Kreditwachstum im Reich der Mitte eingeschränkt werden. Das sorgt für globales Stirnrunzeln, bei den Rohstofflieferanten etwa. Klein ist die Welt.
Trotzdem sollte man als Anleger den langsamen Punschentzug und andere Hindernisse relativieren. Denn neben den erwähnten negativen Indikatoren gibt es - wie eigentlich immer - zahlreiche andere, die genau das Gegenteil besagen. Letztlich kommt es schlicht auf den Anlagehorizont an. Auf kürzere Sicht ist nichts zu erkennen vom schlimmsten Szenario, einer Rezession. Längerfristig indes sind die Risiken nicht von der Hand zu weisen. Natürlich werden die Bilanzen der Unternehmen und der öffentlichen Hand unter Druck geraten, sollten die Zinsen immer weiter steigen. Aber das dürfte Anleger vermutlich erst im kommenden Jahr vor echte Herausforderungen stellen.
Aktien sind daher immer noch kaufenswert. In den kommenden Tagen und Wochen vielleicht auch wieder zu günstigeren Kursen. Die Frankreich-Wahl ist europafreundlich beendet, die Landtagswahlen in Deutschland bislang ebenso. Und die positiv verlaufene US-Berichtssaison ist praktisch auch durch. Da könnten jetzt Gewinnmitnahmen anstehen oder eine Seitwärtskonsolidierung. Darauf dann mal ein Gläschen Punsch oder zwei.
Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com