"Bayer geht damit ein hohes Risiko ein. Das ist eine Wette, dass die Zeit zeigen wird, dass sich die Wissenschaft, auf die sich die Kläger stützen, als falsch herausstellen wird", sagt der Rechtsprofessor David Noll von der Rutgers Universität im US-Bundesstaat New Jersey.

Bayer hatte am Mittwochabend mitgeteilt, sich im Rechtsstreit wegen des angeblich krebserregenden Unkrautvernichters Glyphosat in den USA mit einem Großteil der Kläger geeinigt zu haben. Für den Vergleich und mögliche künftige Fälle werden bis zu 10,9 Milliarden Dollar fällig. Damit sind nach Angaben von Bayer drei Viertel der insgesamt 125.000 eingereichten und drohenden Klagen vom Tisch. Der Konzern musste allerdings eine separate Lösung finden, um das Risiko künftiger Klagen zu mindern, ohne Roundup dafür vom Markt zu nehmen.

ENTSCHEIDUNG IN VIER JAHREN ERWARTET


Das Unternehmen setzt dabei voll auf wissenschaftliche Befunde, die es bei seiner Einschätzung unterstützen, dass Glyphosat bei sachgemäßer Anwendung sicher ist. Behörden weltweit, darunter die US-Umweltbehörde EPA und die Europäische Chemikalienagentur, haben das Herbizid als nicht krebserregend eingestuft. Allein die Krebsforschungsagentur IARC bewertete den Wirkstoff 2015 als "wahrscheinlich krebserregend". Auf diese Einschätzung beriefen sich die Kläger. Der Konzern verlor in den USA drei Glyphosat-Prozesse in erster Instanz. Dabei sahen es die mit Laien besetzten Jurys als erwiesen an, dass von dem Unkrautvernichter ein Krebsrisiko ausgeht.

Dieser Frage soll nun das Wissenschaftsgremium nachgehen und - wenn es diese bejaht - auch klären, welche Mengen Glyphosat dafür nötig sind. "Dadurch wird diese Entscheidung anstelle von Jury-Verfahren wieder in die Hände sachkundiger Wissenschaftler gegeben", erklärte Bayer. Ein US-Bezirksrichter muss diesem Plan allerdings noch zustimmen. Das Gremium soll mit fünf unabhängigen Experten besetzt werden. Sollten sich beide Seiten nicht auf Kandidaten einigen könne, sollen je zwei Bayer und die Klägerkanzleien auswählen. Diese vier Experten sollen den fünften bestimmen. Bayer hat 1,25 Milliarden Dollar für eine noch zu bildende Gruppe möglicher künftiger Kläger reserviert. Mit dem Geld sollen auch die Arbeiten des Gremiums unterstützt werden. Bayer geht davon aus, dass die Entscheidung rund vier Jahre dauern dürfte. Solange sollen die künftigen Kläger keine Ansprüche geltend machen und Schadenersatz fordern dürfen. An die Entscheidung sollen sowohl Bayer als auch die Gruppe möglicher künftiger Kläger gebunden sein.

"KREATIV, ABER RISKANT"


Wenn das Gremium zu dem Schluss kommt, dass Glyphosat nicht krebserregend ist, ist es den Mitgliedern der Gruppe nicht erlaubt, in künftigen Verfahren gegenteilige Ansprüche geltend zu machen. Sollte das Gremium allerdings urteilen, dass das Herbizid krebserregend ist, droht Bayer eine weitere Klageflut. Die Klägerkanzleien hatten Monsanto in der Vergangenheit wiederholt vorgeworfen, das Unternehmen habe wissenschaftliche Studien manipuliert. Das hatte Bayer aber zurückgewiesen.


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Vorstandschef Werner Baumann sieht die Wissenschaft auf seiner Seite, wie er am Mittwochabend wiederholt in Telefonkonferenzen mit Journalisten und Analysten betonte, und erwartet eine Entscheidung des Gremiums zugunsten von Glyphosat: "Wir sind sehr zuversichtlich angesichts über 40 Jahren an wissenschaftlichen Studien, die unser Produkt unterstützen." Bayer gehe davon aus, dass das Gremium nach einer Überprüfung der wissenschaftlichen Befunde zum dem Schluss kommt, dass Glyphosat sicher ist, erklärte William Dodero, Leiter des Bereichs Rechtstreitigkeiten bei Bayer.

Wissenschaftsgremien wurden in den USA in der Vergangenheit bereits in anderen Rechtsstreitigkeiten aufgesetzt, aber in der Regel nicht als Teil eines Vergleichs. Bayers Pläne seien "kreativ, aber riskant", sagt der Rechtsprofessor Adam Zimmerman von der Loyola Law School. Viele Details, darunter auch die Frage, wie Glyphosat-Anwender, die noch gar nicht erkrankt sind, ihr Recht auf künftige Klagen aufgeben, seien noch unklar.

rtr