Die Impfstoffe gegen Covid-19 werden Moderna und Biontech in diesem Jahr Milliardeneinnahmen bescheren. Beide Biotechfirmen, die vor Jahresfrist nur Branchenexperten ein Begriff waren, können damit ihre klinische Forschung über Jahre finanzieren. Und auch an der Börse haben die zwei Überflieger reichlich an Gewicht zugelegt. Moderna kommt aktuell auf den dritthöchsten Börsenwert unter allen in den USA gelisteten Biotechs.
Die Erfolge im Kampf gegen die Corona-Pandemie haben die Biotechbranche ins öffentliche Licht gerückt. Dabei zählt der Sektor schon seit Jahren zu den Vorreitern bei neuen Technologien. So bereiten die Fortschritte in der personalisierten Medizin den Weg für eine immer bessere Behandlung von Krebs. "Die präzisere Differenzierung von einzelnen Tumoren anhand von genetischen Mutationen ermöglicht eine zielgenaue Behandlung von bestimmten Patientengruppen mit einzelnen Arzneien", erläutert Markus Manns, Fondsmanager bei Union Investment. Als konkretes Beispiel nennt er Lungenkrebs. Bei dieser bislang kaum behandelbaren Krebsart könne der zielgerichtete Einsatz von einzelnen Wirkstoffen die Überlebensrate deutlich verbessern.
Zu den Bereichen, in denen die Krebsmedizin vor einem Durchbruch steht, zählt Christian Lach, Portfoliomanager bei Bellevue Asset Management, die zellulären Therapien. Dabei werden den Patienten entnommene Immunzellen genetisch so umprogrammiert, dass sie nach der erneuten Infusion in die Patienten Tumore erkennen und ausschalten. Teilweise wurden Patienten, bei denen zuvor mehrere Medikamente nicht mehr anschlugen, komplett geheilt. Waren bislang nur einige Produkte zur Behandlung von Blut- und Lymphzellenkrebs zugelassen, werden in diesem Jahr erste entscheidende klinische Daten bei Studien in soliden Tumoren erwartet. Die Hämophilie ist für Lach ein weiteres spannendes Krankheitsfeld, in dem sich im Schatten von Covid-19 mithilfe der Gentherapie bahnbrechende Fortschritte vollziehen: "Etliche Firmen werden in diesem Jahr wichtige klinische Daten vorlegen, die den Grundstein für eine Zulassung legen könnten."
Zulassungswelle läuft
Die Bereitschaft, in Indikationen mit hohem medizinischem Bedarf die regulatorischen Verfahren zeitnah abzuwickeln, wird sich auch in den nächsten Jahren auf die Zahl der zugelassenen Produkte positiv auswirken. Vor allem in den USA, dem weltweit größten Markt für Arzneien, bleiben die Rahmenbedingungen positiv. Mario Linimeier, Geschäftsführer von Medical Strategy, ist davon überzeugt, dass das regulatorische und politische Umfeld nach dem Regierungswechsel mindestens so positiv bleibt wie zuvor: "Die Zulassungen der Covid-19-Impfstoffe nach einem so unglaublich kurzen Entwicklungszeitraum haben in der Politik das Problembewusstsein für die Notwendigkeit von neuen medizinischen Therapien weiter geschärft."
Branchenexperten gehen davon aus, dass die in den letzten zwei Jahren hohe Zahl an Biotech-Börsengängen in den USA weiter anhält. Die erfolgreichen Börsenpremieren von deutschen Biotechs - zuletzt waren es Centogene, Biontech, Immatics und Curevac - werden weitere Aspiranten anziehen, meint Matthias Kromayer, Geschäftsführer der MIG Verwaltungs AG aus München, die an Biontech und Immatics beteiligt ist. "100 Millionen US-Dollar einzuwerben ist für deutsche Biotechs dort kein Problem, wenn die Firmenstory stimmt." Auf Sicht der nächsten fünf Jahre, so sein Fazit, werde es deshalb noch eine Reihe von US-Listings europäischer Biotechfirmen geben: "Das gilt in erster Linie für Gesellschaften, deren Wert nicht an einem zugelassenen Produkt hängt, sondern die eine innovative Technologieplattform für die Entwicklung einer breiten Produktpipeline mitbringen."
US-Biotechs mit Milliardenprodukten
Biotechaktien sind deshalb eine spekulative Beimischung für jedes Anlegerdepot. Die jüngsten Gewinnmitnahmen im Sektor liefern gute Einstiegskurse. Dabei gilt es zu beachten, dass kleinere und mittelgroße Firmen, die mit ersten Produkten vor der Marktreife stehen, den größeren Kurshebel nach oben und unten mitbringen.
Sehr günstig bewertet ist die Aktie von Schwergewicht Regeneron Pharma. Das von uns zuletzt in Ausgabe 04/2021 empfohlene Unternehmen erhielt vor zwei Wochen eine positive Beurteilung des Fachgremiums für eine europäische Zulassung eines Antikörper-Cocktails, mit dem sich der Krankheitsverlauf bei akuten Infektionen mit Covid-19 deutlich abschwächt. Gute Wirksamkeitsdaten zeigte ein anderer Wirkstoff zur Behandlung von Asthmaanfällen bei Katzenhaarallergikern. Für Regeneron spricht die auf mehrere Indikationen verteilte Pipeline an Arzneien. Um das Produktportfolio über Zukäufe weiter aufzufüllen, hat das schuldenfreie Unternehmen rund 1,2 Milliarden US-Dollar an Barreserven.
Vertex Pharma ist ein Branchenchampion, der mit Milliardeneinnahmen aus Medikamenten gegen Mukoviszidose, eine erblich bedingte Stoffwechselerkrankung in der Lunge, eine lukrative Marktnische besetzt. Um das in den nächsten Jahren auf unter 20 Prozent abflachende Gewinnwachstum wieder aufzupeppen, geht Vertex Kooperationen in neuen Krankheitsfeldern ein. Ein zusammen mit Crispr Therapeutics entwickeltes Präparat gegen Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie, zwei erblich bedingte Bluterkrankungen, zeigten bereits vielversprechende Wirksamkeitsdaten. Geht alles glatt, könnte das Produkt 2022 zugelassen werden.
Das US-Unternehmen Seagen entwickelt Antikörpertherapien in der Krebsmedizin. Die firmeneigene Technologie nutzt dabei Immunkonjugate, um zellabtötende Wirkstoffe direkt an die Tumorzellen abzugeben, und verhindert damit, dass gesunde Gewebeteile von einer Chemotherapie geschädigt werden. Seagen erzielte 2020 mit drei Produkten erstmals mehr als eine Milliarde US-Dollar Umsatz und wird 2022 schwarze Zahlen schreiben. Mit Zulassungen bei weiteren Krebserkrankungen will die Gesellschaft das Einsatzspektrum ihrer Produkte erweitern.
Drei Eurostars, ein Newcomer
Morphosys ist in gewisser Weise ein deutsches Pendant zu Seagen. Nach der Zulassung der ersten Antikörperarznei Monjuvi gegen B-Zell-Lymphome und dem Zweitlisting in den USA hat die Biotechfirma aus Martinsried ihren Investorenfokus noch stärker auf die USA ausgerichtet. Dass der Aktienkurs zuletzt nicht vom Fleck kam, ist angesichts der jüngsten Entwicklung ein starkes Kaufargument. Im Geschäftsjahr 2020 hat Morphosys nach vorläufigen Zahlen den Konzernumsatz auf 327,7 Millionen Euro mehr als vervierfacht und mit dem operativen Gewinn von 27,4 Millionen Euro den eigenen Prognosekorridor klar getoppt.
Ein europäischer Überflieger mit starkem Standbein in den USA ist Argen-X aus Belgien. Das Unternehmen ist auf Antikörper gegen Autoimmunerkrankungen und Leukämie spezialisiert. Das am weitesten fortgeschrittene Produkt gegen Myasthenia gravis, eine bislang nicht behandelbare akute Muskelschwäche, soll im zweiten Halbjahr 2021 zugelassen werden.
Heidelberg Pharma ist wiederum ein Musterbeispiel für ein Biotechunternehmen, das nach etlichen Fehlschlägen dabei ist, die Kurve zu kriegen. Die aus der früheren Wilex hervorgegangene Firma betreibt zum einen Auftragsforschung und entwickelt zum anderen eigene Kandidaten gegen Krebs. Positive präklinische Ergebnisse einer Substanz gegen Brustkrebs ließen die Aktie zuletzt abheben. Der Titel ist hochspekulativ. Erste klinische Starts mit eigenen Produkten und positive Resultate von auslizenzierten Wirkstoffen sorgen für weitere Kursfantasie.
Der aktuelle Kursrücksetzer bei Biontech bietet Anlegern eine gute Einstiegschance. Auf die möglichen Mutationen des Sars-CoV-2-Virus kann die Firma mit den Kapazitäten an der Produktionsstätte Marburg reagieren. Bei den Krebsimpfstoffen wird Biontech Mitte 2021 klinische Daten liefern.
Auf einen Blick: Biotechnologie
Innovationsquelle Mehr als jedes zweite zugelassene Medikament hat im Labor einer Biotechfirma seinen Ursprung. Führend ist der Biotechsektor vor allem bei neuen medizinischen Ansätzen wie Gentherapien oder Immuntherapien in der Krebsmedizin. Für 2020 bis 2027 erwarten Branchenexperten ein jährliches Umsatzwachstum von im Schnitt sieben Prozent.