Ich weiß noch, wie ich vor Lachen fast unter die Theke fiel, als mir ein Kumpel (nennen wir ihn Norbert) in unserer Stammkneipe eröffnete, er habe in Yellow Bubble investiert. Norbert ist smart und bestens ausgebildet. Nur eben nicht in Finanzen. Auf meine Frage, wie er darauf komme, meinte er nur: Es handle sich um einen chinesischen Internetwert, und ein "Experte" ("Guru" träfe es auch sehr gut) habe dies empfohlen. Er selbst verstehe nichts davon, aber der Experte müsse es ja wissen. Von Yellow Bubble habe ich nie wieder etwas gehört.
Leider, so ist zu befürchten, ist Norbert kein Einzelfall. Im Gegenteil. Gerade bei einer Börsenhausse ist die Hörigkeit gegenüber Gurus besonders ausgeprägt, ob diese nun Ahnung haben oder nicht. Die Hoffnungen auf das schnelle Geld wachsen ins Kraut. Der Katzenjammer folgt meist auf dem Fuß. Interessanterweise habe ich es in meiner langen Karriere an den Kapitalmärkten auch noch nie erlebt, dass sich ein Guru für Fehleinschätzungen entschuldigt oder Verkaufssignale gibt, wenn seine Empfehlungen nicht aufgehen. Oft scheint es mir geradezu so zu sein, dass jene am lautesten brüllen, die selbst am wenigsten messbare Performance aufzuweisen haben.
Bevorzugt werden kleine, unbekannte Werte empfohlen. Wer macht sich schon die Mühe, chinesische Internetwerte nachzurecherchieren? Wer achtet auf die Marktkapitalisierung, bevor er Investitionen tätigt? Niemand. Dabei ist die Marktkapitalisierung äußerst wichtig: Ist sie gering, können selbst minderwertige Kauftipps die Kurse kurzfristig in die Höhe schnellen lassen. Den Ertrag streicht dann meist nur der Tippgeber ein. Alle anderen kommen selten schnell genug wieder raus.
Dass wir so gern Gurus folgen, hat mit der Menschheitsgeschichte zu tun. Stadtmenschen mit Smartphone und Excel machen eben nur einen kurzen Teil davon aus. Früher lebten wir als Jäger und Sammler in der Wildnis und waren darauf trainiert, möglichst schnell aus der Gefahrenzone zu kommen. Da wir in Rudeln beziehungsweise Stämmen lebten, war das Alphatier eine wichtige Referenz. Wenn es Gefahr witterte und wegrannte, war das Beste, was wir tun konnten, ihm zu folgen. Es war das (reaktions-)schnellste Tier. Ihm nachzulaufen war meistens die beste Strategie.
Und so machen wir das heute noch gern, nicht nur bei Gurus, die uns Tipps zur Geldanlage geben - umso lieber noch, wenn diesen vermeintlichen Alphatieren noch andere (die Herde) folgen. Das scheint sie in ihrer Funktion als Leittier zu bestätigen. Die Attribute von Macht und Erfolg drücken sich dann in Kleidung und Titeln, die sie schmücken, aus.
Es spricht nichts dagegen, über Tipps nachzudenken. Sie können Anlegern helfen, auf neue Ideen zu kommen. Aber es spricht alles dagegen, ihnen blind zu folgen. Ich empfehle Anlegern daher immer zwei Dinge: zuallererst die Frage "Warum empfiehlt mir jemand etwas?". Das ist die Grundfrage nach der Manipulation. Möglicherweise spricht jemand eine Empfehlung aus, weil er sich selbst schon eingedeckt hat und noch jemanden sucht, der ihm die Titel teurer abkauft. Dann: "Ist der Tipp wirklich werthaltig?" Jede Anlageidee will überprüft sein. Ein Geistesblitz allein ist noch keine gute Investition. Da muss man sich schon selbst informieren.
Dieser Teil ist harte Arbeit. Aber nur, weil einer der Herde vorauslaufen will, muss die Richtung noch lange nicht stimmen. Wir leben ja nicht mehr im Busch. Anders als damals müssen wir unseren rationalen Gehirnteil zuschalten, statt blind etwas nachzuahmen.
Hans-Jörg Naumer (52) leitet seit 2000 die Abteilung Kapitalmärkte & Investmentthemen bei der Fondsgesellschaft Allianz Global Investors. Die Tochterfirma des Versicherers Allianz ist mit Anlagen von etwa einer halben Billion Euro einer der größten aktiven Vermögensverwalter der Welt. Dort beschäftigt sich der promovierte Volkswirt Naumer unter anderem mit der Verhaltensökonomik (englisch: Behavioral Finance), die das menschliche Verhalten in wirtschaftlichen Situationen betrachtet. Eine seiner Fragestellungen: Wie lassen sich die Erkenntnisse in die Praxis der Kapitalanlage übertragen?