Es ist wie ein Rausch. Brian Chesky, Chef von Airbnb, des weltweit bekannten Onlinevermittlers von Domizilen, scheint wie in Trance, als die Papiere seines Techkonzerns aus San Francisco an der Nasdaq am 10. Dezember mit einem sensationellen Plus von 115 Prozent debütieren. Bei den vorbörslichen Indikationen zum Debütpreis fehlten Chesky die Worte, erzählt der 39-Jährige wenig später in einem Interview. Sein Vermögen hat sich an diesem Tag verdoppelt.
Auch weil das Geld bei Investoren an der Wall Street in diesem Jahr offensichtlich besonders locker sitzt. Von den bisher zehn Unternehmen insgesamt, die mit Börsengängen (IPOs) an der New York Stock Exchange (NYSE) und der Nasdaq jeweils mehr als eine Milliarde Dollar einsammelten, wagten fünf den Sprung aufs Parkett in diesem Jahr.
Die Einschränkung der sozialen Kontakte und der Ausfall der Mega-Events im amerikanischen Sport haben nicht nur das Interesse vieler Amerikaner an Computerspielen geweckt, sondern auch für Aktien und Börse. Nun strömen Privatanleger, die wegen der Pandemie häufiger zu Hause bleiben oder im Homeoffice arbeiten, über den populären Onlinebroker Robinhood, der sein eigenes IPO für 2021 avisiert hat, in großen Scharen an die Wall Street. Besonders begehrt sind Debüts von Firmen, deren Märkte und Geschäftsmodelle wie bei Airbnb und Essenslieferant Doordash leicht zu verstehen sind.
Allzeithoch bei IPOs in den USA
Von dem tiefen Schock im März haben sich die großen Aktienindizes an der Wall Street schnell erholt. Und seit Anfang November klar war, dass die Wirksamkeit einiger Covid-19-Impfstoffe wesentlich höher ist als erwartet, bewegen sich große Aktienindizes in Amerika, Europa und Asien auf hohem Niveau.
Begünstigt durch viel billiges Geld und die Milliarden, die risikofreudige institutionelle Anleger mit hohen Renditen investieren wollen, flossen den Debütanten an der Wall Street in diesem Jahr knapp 156 Milliarden Dollar zu.
Das ist deutlich mehr als im bisherigen Rekordjahr 2000. Mit spektakulären Debüts von Airbnb, Essenslieferant Doordash und C3.ai, einem von Silicon-Valley-Unternehmer Tom Siebel gegründeten Entwickler von Software für künstliche Intelligenz, wurde die zweite Dezember-Woche eine außergewöhnliche in der starken IPO-Saison.
Allerdings zeigen die hohen Sprünge bei den Eröffnungskursen der Neulinge in diesem Jahr auch, wie viel Geld sie auf dem Börsentisch gelassen haben. Allein Airbnb hätte vier Milliarden Dollar mehr einnehmen können. Einige aussichtsreiche Newcomer für 2020 wie Roblox, Entwickler von Videospieleprogrammen, und Affirm, Anbieter von Software, mit der Verbraucher Einkäufe an der Kasse via Onlinekredit kurzfristig finanzieren können, verschoben ihre Debüts deshalb auf 2021, um ihre IPO- Offerten zu überarbeiten.
Per Umweg an die Börse
Das gute Umfeld, der hohe Anlagedruck bei institutionellen Investoren und Megatrends befeuern an der Wall Street nun auch sogenannte SPACs (Special Purpose Acquisition Companies). Das sind Mantelgesellschaften, die zunächst Kapital über einen Börsengang einsammeln, um mit dem Geld später ein noch nicht börsennotiertes Unternehmen zu kaufen. Über den mit der Firma gefüllten Mantel kommt das erworbene Unternehmen auch ohne den aufwendigen Vorgang eines herkömmlichen IPOs aufs Parkett.
So flossen in den USA in diesem Jahr fast 70 Milliarden Dollar in 208 SPACs. Das sind mehr als 40 Prozent der Rekordsumme, die über Börsengänge an der Wall Street eingesammelt wurde. Zum Vergleich: Im bisherigen Rekordjahr 2019 erhielten 59 SPACs nur 14 Milliarden Dollar. Weil der Initiator des Investmentvehikels seine Geldgeber nicht ausführlich über das erworbene Unternehmen informieren muss, haben SPACs keinen besonders guten Ruf. Der Markt blieb deshalb lange eine Nische für Spezialisten.
Bis die Einstiege prominenter Wall- Street-Akteure wie Silicon-Valley-Investor Peter Thiel und Hedgefondsmanager Bill Ackman den Markt anschoben. Ackman, der vier Milliarden Dollar einsammelte, so viel wie keiner bisher, wollte Airbnb unter seine SPAC-Haube bringen. Die Gründer schlugen sein Angebot jedoch aus. Die Aufwertung des Markts schreckt Betrüger jedoch nicht ab. Das zeigt der Fall des vermeintlichen und nun enttarnten Tesla-Konkurrenten Nikola. Für seinen großen Bluff nutzte Nikola den Hype um Elektrofahrzeuge, SPACs und die Begeisterung von US-Privatanlegern.
Ein Erfolg wurde der SPAC Kensington Capital, allerdings erst, als Anfang November klar war, dass Kensington Quantumscape, einen US-Entwickler von Feststoffbatterien für Elektroautos, übernehmen würde. Zu den Investoren des kalifornischen Start-ups gehören Bill Gates, die Venture-Capital-Firma Kleiner Perkins Caufield & Byers sowie Volkswagen. Die Wolfsburger können die Technologie zunächst exklusiv nutzen. Für Privatanleger sind die in New York gehandelten Papiere von Quantumscape wegen des geringen Freefloats derzeit allerdings nicht attraktiv.
An der Wall Street erwarten Experten währenddessen für 2021 eine Fortsetzung des Trends von Börsengängen und SPACs, vorausgesetzt, die Aktienindizes können ihre hohen Niveaus halten. "Beide Dynamiken werden sich 2021 in den USA fortsetzen. Viele SPACs aus Amerika werden voraussichtlich auch in Europa Ausschau nach Übernahmezielen halten", sagt IPO-Experte Joachim von der Goltz, der bei der Credit Suisse das Kapitalmarktgeschäft im deutschsprachigen Europa und in Skandinavien verantwortet.
Währenddessen hakt die Deutsche Börse ein enttäuschendes IPO-Jahr ab, das ohne die milliardenschwere Abspaltung von Siemens Energy noch viel bescheidener ausgefallen wäre. Für Curevac, den Tübinger Entwickler eines Covid-19-Impfstoffs, war nicht Frankfurt, sondern Amsterdam im August die erste Wahl, Biontech aus Mainz ist seit Oktober 2019 an der Nasdaq gelistet. Für Biotechs sind diese beiden Handelsplätze erste Wahl. Sie können dort bei den finanzstarken und spezialisierten Investoren viel mehr Kapital einsammeln.
Impulse der Wall Street
Das Geld von US-Investoren werde 2021 aber auch den IPO-Märkten in Deutschland und Europa auf die Sprünge helfen, sagt von der Goltz: "Wir erwarten starke Mittelzuflüsse in europäisch ausgerichtete Fonds und registrieren starkes Interesse an IPO-Kandidaten aus Europa." Bei IPOs oberhalb von 400 Millionen Euro Emissionsvolumen in Deutschland zeichnen US-Investoren im Schnitt 20 bis 25 Prozent der Anteile und sind mit entscheidend für ein erfolgreiches Debüt.
Ein solches strebt etwa Vodafones Mobilfunkturmsparte Vantage Towers an, die in Frankfurt das größte IPO Europas seit drei Jahren anstrebt. Mit 68.000 Standorten in Europa ist Vantage auf dem Kontinent die Nummer 2 hinter Cellnex. Der Datenverkehr in Europa soll sich bis 2024 verdoppeln. Dabei soll 5G-Netztechnik mittelfristig mehr als 40 Prozent des Mobilfunks abdecken. Das bringt Wachstum.
Finanzinvestoren haben 2020 genutzt, um börsenfähige Firmen in ihren Portfolios zu stabilisieren. "Solange die Aktienmärkte die hohen Niveaus halten, könnten Private-Equity-Firmen im nächsten Jahr in Deutschland und Europa einen großen Anteil des IPO-Volumens liefern", sagt von der Goltz.
Von Investoren favorisiert werden Unternehmen, die den Wandel im Gesundheitssektor, Digitalisierung und E-Commerce voranbringen oder mit alternativen Antrieben und regenerativen Energiequellen arbeiten. "Debütanten aus Segmenten wie fossile Brennstoffe werden es dagegen schwer haben zu überzeugen", glaubt von der Goltz. Für die ehemalige Öl- und Gastochter BASF Wintershall Dea wird der geplante Börsengang voraussichtlich nicht einfach.
Gute Chancen auf einen Platz auf einer Liste begehrter IPOs hat das Musiklabel Universal. Die Tochter des französischen Medienriesen Vivendi erwarb die Rechte am Werk des Rockbarden Bob Dylan. Das gehöre zur Vorbereitung des IPO, heißt es auf dem Parkett. Der Wert von Dylans Musikvermächtnis wird auf mehr als 200 Millionen Dollar geschätzt. Die Songs können über Streaming gut vermarktet werden. US- Konkurrent Warner Music ist seit Sommer börsennotiert. Zeichner von Universal können also vergleichen.
Warnsignale aus Peking
Investoren verunsichert hat Chinas radikaler Last-Minute-Stopp für das Debüt des Fintechriesen Ant an der Börse in Hongkong. Zu Ants Portolio gehört Chinas populäre Bezahl-App Alipay. Mit über 34 Milliarden Dollar Erlös wäre Ants Debüt das bisher größte weltweit geworden. Auf Platz 3 in dieser Liga rangiert der ebenfalls von Jack Ma gegründete Onlineriese Alibaba mit 25 Milliarden Dollar IPO-Erlös.
Der Regierung in Peking sei bewusst geworden, dass sie es nicht zulassen könne, dass Giganten wie Ant in strategischen Bereichen der Wirtschaft wie dem Bankensektor dominieren, sagt der bekannte China-Experte Mark Mobius. Rund 70 Prozent von Chinas Bevölkerung nutzt Alipay. Ant gewährt knapp einer halben Milliarde Konsumenten und mehr als 20 Millionen kleiner Firmen Kredite und verwaltet Chinas größten Anlagefonds. Für Peking war mit Ant Gefahr in Verzug.
Bei JD Health, dem Anbieter einer Online-Gesundheitsplattform und von Online-Apotheken, ist das nicht der Fall. Der Konzern sammelte am 8. Dezember 3,4 Milliarden Dollar ein. Beim IPO waren die Aktien um mehr als das 440-Fache überzeichnet. Dennoch schlagen Experten Alarm. So warnt Alicia García Herrero, Chefökonomin der französischen Bank Natixis für den Raum Asien- Pazifik: "Hongkong bleibt kein globa- les Finanzzentrum, es wird Chinas Finanzzentrum."
Glossar
SPACS Kürzel für Special Purpose Acquisition Companies: Gesellschaften, die über den eigenen Börsengang das Geld für die Übernahme einer nicht börsennotierten Firma einsammeln. Der Verwalter des börsennotierten Mantels und die Geldgeber können mit dem Kauf einer aussichtsreichen Firma hohe Kapitalrenditen erzielen. Beispiel Kensington Capital: Als sich Anfang November abzeichnete, dass Kensington den Entwickler von Feststoffbatterien Quantumscape voraussichtlich am 25. November übernehmen wird, verdoppelte sich der Kurs des SPAC bis zu dem Datum. Als Quantumscape den Mantel "füllte" und sich damit den IPO-Prozess gespart hatte, legte der Kurs weiter zu. Der Freefloat der nur in New York gehandelten Quantumscape-Papiere ist gering. Die ursprünglichen Eigner hielten nach dem Wandel mehr als 80 Prozent, Kensington-Aktionäre knapp 13 Prozent. Für sie hat sich der Wert seit Anfang November mehr als verfünffacht.
INVESTOR-INFO
Airbnb
Widerstandskraft
Nach dem Börsengang ist die Aktie des weltweit führenden Onlinevermittlers von Unterkünften nach allen Kennzahlen teuer. Für 2021 erwarten Analysten jedoch mindestens 60 bis 70 Prozent mehr Umsatz, insgesamt also mindestens fünf Milliarden Dollar. Während der Pandemie zeigte sich, dass Airbnbs Geschäft im Vergleich zu Plattformen wie Expedia und Booking.com weniger stark von Fernreisen abhängig ist. Für Risikofreudige.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 140,00 Euro
Stoppkurs: 75,00 Euro
Exasol
Fränkische Techperle
Mit dem Börsengang Ende Mai, dem ersten in Frankfurt nach dem Pandemie-Schock, brach der Entwickler von In-Memory-Analysedatenbanken hierzulande das Eis für IPOs. Exasols Datenbanken im Arbeitsspeicher von Computern beschleunigen die Datenverarbeitung enorm. Zu den Kunden der Nürnberger zählen Konzerne wie Adidas, Dell, Vodafone und Zalando. Chef Aaron Auld sieht die Technologie als "Basis für die Digitalisierung" im Nach-Corona-Zeitalter.
Aussichtsreich.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 35,00 Euro
Stoppkurs: 18,00 Euro
c3.ai
KI als Onlineplattform
Silicon-Valley-Unternehmer Tom Siebel, dessen gleichnamige Firma im Jahr 2005 von Oracle feindlich übernommen wurde, ist zurück: C3.ai betreibt nach eigenen Angaben die größte Cloud-basierte Plattform für künstliche Intelligenz, auf der Firmen ihre eigenen Anwendungen bauen können. Riesen wie Raytheon, Baker Hughes, Royal Dutch Shell und Engie zählen zu den bisher 30 Firmenkunden, die 44 Prozent von 157 Millionen Dollar Umsatz im abgeschlossenen Geschäftsjahr (bis Ende April) lieferten. Der Umsatz legte um gut 70 Prozent zu. Spekulativ.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 100,00 Euro
Stoppkurs: 70,00 Euro
DISRUPTIVE TECH. ZERTIFIKAT
Trendsetter im Paket
Disruptive Technologien sind Innovationen, die die Erfolgsserie einer bereits bestehenden Technologie, eines bestehenden Produkts oder einer bestehenden Dienstleistung ersetzen oder diese vollständig vom Markt verdrängen. Wer auf Unternehmen breit setzen will, greift zu diesem Zertifikat. Schwergewichte sind Aktien von Airbnb, Palantir, Snowflacke oder der kalifornische KI-Aufsteiger C3.ai, der eine Cloud-basierte Plattform für KI entwickelt hat.
ZERTIFIKAT AUF NASDAQ 100
Hundert Techriesen
Die US-Technologiebörse Nasdaq ist beliebtes Ziel für Unternehmen aus der Techbranche. Fünf von zehn Firmen, die in New York bisher bei IPOs mehr als eine Milliarde Dollar eingesammelt haben, debütierten in diesem Jahr. Weitere Debütanten mit geschätzten Börsenwerten von zum Teil deutlich über einer Milliarde Dollar sind in der Warteschlange. Mit dem Nasdaq-100-Zertifikat der Société Générale können Anleger von dieser besonderen Techrally profitieren.
ETF UND DIREKTER IPO-ZUGANG
Einzeln oder im Paket
Anleger in Deutschland, die auf Freedom24, dem Portal der an der Nasdaq gelisteten Freedom Holding ein Depot eröffnen, können Börsengänge in New York, London und an anderen Börsen zeichnen. Wer bequem vom IPO-Boom profitieren will, kann das mit dem ETF von First Trust auf den IPOX100 US Index. Die Aktien der 100 Debütanten im Index werden an ihrem sechsten Handelstag gekauft und scheiden nach vier Jahren aus dem Index aus. Die jährlichen Zuwächse sind höher als im breiten S & P 500.