Als der Zahlungsabwickler Wirecard Ende Juni Insolvenz anmeldete, hätte das Unternehmen nach geltenden Regeln sofort aus dem deutschen Leitindex entfernt werden können - und müssen. Diese Ansicht vertreten Indexexperten wie der Darmstädter Betriebswirtschaftsprofessor Dirk Schiereck. Warum die Deutsche Börse die Pleitefirma bis jetzt im DAX gelassen hat, bleibt eines der Rätsel im Wirecard-Skandal. Derweil vollzieht der Zombiewert weiter seine absurden Kurskapriolen im deutschen Leitindex.
Mit Wirecard war am 25. Juni zum ersten Mal ein DAX-Unternehmen zahlungsunfähig geworden. Der nächste reguläre Austauschtermin liegt im September. Immerhin hat die Deutsche Börse jetzt angekündigt, "zusammen mit den Marktteilnehmern" ein mögliches Ausscheiden von Wirecard aus dem DAX bis Ende August zu beschließen.
Dem Vorschlag zufolge sollen Unternehmen bereits nach Bekanntwerden eines Insolvenzverfahrens kurzfristig aus den DAX-Indizes ausscheiden, erläuterte die Deutsche Börse. Dafür sei eine "Anpassung" der geltenden Regeln nötig. Als derzeit wahrscheinlichster Nachfolger für Wirecard gilt im Übrigen der Lieferdienst Delivery Hero. Auch dem Duft- und Aromenkonzern Symrise werden Chancen eingeräumt.
Unabhängig vom Fall Wirecard will die Deutsche Börse auch das gesamte DAX-Regelwerk "einer vertieften Prüfung unterziehen", wie ein Sprecher erläuterte. Bis Ende September sollen Reformvorschläge erarbeitet sein. Über die Inhalte hält sich der Indexanbieter bedeckt. Diskutiert werden dürfte eine Ausweitung der Aufnahmekriterien (bislang Marktapitalisierung, Börsenumsatz), aber auch die Mitgliederzahl. Indexexper- te Schiereck hatte bereits früher eine Ausweitung des DAX von 30 auf 50 Werte empfohlen. Ein breiter aufgestellter Index könn- te nicht nur die deutsche Unternehmenslandschaft besser repräsentieren, sondern sei auch stabiler gegenüber Einzelrisiken. Derzeit gelten im DAX beispielsweise der Auto- und Finanzsektor als überrepräsentiert, während Tech- oder Medienwerte Mangelware sind.
Ermittler: "Bandenbetrug"
Unterdessen hat sich der Wirecard-Skandal nochmals ausgeweitet: Nach Erkenntnissen der Strafverfolger sind seit mindestens fünf Jahren systematisch Bilanzen gefälscht und Umsätze aufgebläht worden. Die Strafermittler bezifferten den Schaden für Gläubiger und Investoren auf 3,2 Milliarden Euro. Wegen Verdachts auf gewerbsmäßigen Bandenbetrug musste der zunächst freigelassene Ex-Chef Markus Braun wieder in Untersuchungshaft. Auch Ex-Finanzchef Burkhard Ley und ein weiterer Manager wurden verhaftet. Spätestens seit 2015 sei den Beschuldigten klar geworden, dass das eigentliche Geschäft nur Verlust macht.