Keep Calm and Carry On. Der Spruch, mit dem die britische Regierung ihre Landsleute 1939 auf den Krieg vorbereiten wollte, ist heute nicht nur auf der Insel ein geflügeltes Wort. Ruhig bleiben und weitermachen. Dabei hätte Boris Johnson zurzeit allen Grund, die Ruhe zu verlieren. Der britische Premier kämpft gegen rekordhohe Corona-Infektionszahlen im Land und ist nach Kontakt mit einem positiv getesteten Parlamentarier selbst wieder in Quarantäne. Sein wichtigster Berater Dominic Cummings quittierte nach verlorenem Machtkampf mit Johnsons Verlobter Carrie Symonds den Dienst. Und da ist ja auch noch der Brexit. Gelingt in den verbliebenen Wochen bis Silvester keine Einigung mit der EU, drohen mit dem Ende der Übergangszeit ab Neujahr chaotische Handelsverhältnisse. Einiges spricht indes dafür, dass der No-Deal-Brexit nicht kommen wird - und Anleger ruhig die sich bietenden Investmentchancen im Vereinigten Königreich (UK) nutzen können.
"Die beste Zeit zum Investieren kann dann sein, wenn es sich am unbequemsten anfühlt", sagt Richard Colwell vom Fondsanbieter Columbia Threadneedle Investments. Nach seiner Überzeugung stehen britische Aktien vor einer starken Erholung. Colwell verweist darauf, dass sich die Titel seit Jahrzehnten schlechter entwickelten als Aktien in anderen Märkten, unter anderem weil sich Pensionsfonds zurückzogen und Hedgefonds auf sinkende Kurse wetteten. Auch nach dem Corona-Crash im Frühjahr hätten sich ihre Kurse längst nicht so stark erholt wie Aktien in den USA, den Emerging Markets oder anderen europäischen Ländern.
Günstiger Markt, guter Zeitpunkt
Colwell bevorzugt eine breite Streuung: Neben Unternehmen aus den Branchen Freizeit, Reisen und Einzelhandel, die unter Brexit und Pandemie besonders litten, setzt er weiter auf Firmen, die Widerstandskraft gezeigt hätten, etwa aus den Bereichen Pharma und Lebensmittelhandel. Zudem sind nach Colwells Ansicht kleinere und mittelgroße Unternehmen interessant. Diese würden bei einer Rezession zwar zunächst hinter dem Gesamtmarkt zurückbleiben, dann aber zwei oder drei Jahre besser abschneiden. "Insofern nähern wir uns einem sehr interessanten Punkt im Zyklus dieses spezifischen Marktsegments", meint Colwell.
Dass britische Aktien ein lukratives Investment sein dürften, zeigt ein Blick auf die Mehrjahresprognosen von Asset-Managern. So erwarten die Experten der DWS in ihrem Zehn-Jahres-Ausblick im Schnitt eine Rendite von 5,9 Prozent per annum mit britischen Aktien. Deutsche Titel versprechen demnach eine jährliche Rendite von 4,1 Prozent, bei US-Aktien sind es 5,3 und bei Schwellenländertiteln 5,6 Prozent. Solche Langfristprognosen bergen Unsicherheiten und dürften kaum bis auf die Nachkommastelle eintreffen. Die Tendenz der Aussagen liefert aber wichtige Hinweise für aussichtsreiche Investments.
Die DWS-Prognosen sind in lokaler Währung. Längerfristig gleichen sich Wechselkurseffekte oft aus, auf kürzere Sicht können sie die Erträge deutlich beeinflussen. Für die vergangenen zwölf Monate steht bei einem ETF auf den Londoner Leitindex FTSE 100 in Pfund ein Minus von neun Prozent zu Buche, wegen der Schwäche der britischen Devise sind es in Euro minus 14 Prozent.
Derzeit müssen für einen Euro rund 0,90 Pfund gezahlt werden. Analysten erwarten in den nächsten Monaten eher eine leichte Aufwertung, sie stufen dabei einen harten Brexit aber als unwahrscheinlich ein. Sollte der No-Deal-Brexit doch kommen, wäre neben sinkenden Aktienkursen auch eine Abwertung des Pfunds zu erwarten. Anfang 2021 müsste dann mehr als ein Pfund je Euro gezahlt werden, warnen die DZ-Bank-Analysten. Sie rechnen in ihrem Hauptszenario jedoch mit einer Einigung, auch wenn sich die Verhandlungen noch hinziehen könnten - mittlerweile müsse man davon ausgehen, dass ein Deal nicht vor Ende des Jahres verkündet werde.
Mal wieder eine Frist verstrichen
Die Liste der von Briten oder Brüssel gesetzten und verstrichenen Fristen für eine Einigung ist lang. Zuletzt wurde aus London berichtet, dass ein Handelsabkommen bis Anfang nächster Woche stehen könnte. Medien auf der Insel verweisen aber auch schon auf einen Notfallplan, nach dem das Europäische Parlament am 28. Dezember zusammenkommen könnte. Eigentlich wollen sich die Abgeordneten, die ein Abkommen ratifizieren müssten, am 17. Dezember zum letzten Mal in diesem Jahr treffen.
Zentrale Streitthemen sind weiter die Fischereirechte, zudem soll London heimischen Firmen keine unlauteren Vorteile gegenüber EU-Konkurrenten verschaffen. Fortschritte gab es kaum in den vergangenen Monaten, seit die Briten Ende Januar mit einem Austrittsvertrag die EU verlassen haben und die Übergangszeit begann, in der die alten Regeln noch gelten. Mit seinem Binnenmarktgesetz hat Johnson vielmehr für zusätzlichen Streit bei einem Punkt gesorgt, der als gelöst galt. Waren, die aus dem restlichen Königreich nach Nordirland eingeführt werden, sollen laut Austrittsvertrag vor der Einfuhr auf der Irischen See kontrolliert werden. So wird sichergestellt, dass an der Grenze zum EU-Mitglied Irland keine Zollkontrollen nötig sind. Mit dem Gesetz versucht Johnson aus EU-Sicht, diese Regelung zu umgehen. Das Unterhaus hat dem Vorhaben schon im September zugestimmt. Das Oberhaus, in dem die Regierung keine Mehrheit hat, lehnte es ab.
Enormer Einfluss der US-Wahl
Dies könnte Johnson einen willkommenen Ausweg bieten. Er kann das Gesetz nicht einfach zurückziehen, ohne seine Glaubwürdigkeit vollends zu verspielen. Die Option, daran die Gespräche mit der EU scheitern zu lassen und mit den USA ein Handelsabkommen zu schließen, ist aber passé. Die USA mit Joe Biden, der gern auf seine irische Herkunft verweist, werden sich nicht auf ein Abkommen einlassen, wenn der Friedensprozess in Irland gefährdet ist.
"Die Warnungen des designierten US-Präsidenten Joe Biden über die Notwendigkeit, eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden, hat den Gesprächen neue Dynamik verliehen", sagt Unicredit-Ökonom Daniel Vernazza. Er geht davon aus, dass Briten und EU bis Jahresende ein grundlegendes Freihandelsabkommen vereinbaren. Dafür spreche, dass nun beide Seiten ein Abkommen wollten. Dazu beitragen werde der Abschied von Johnsons Berater Cummings und seinem Kommunikationschef Lee Cain, beide einst treibende Kräfte in der Brexit-Kampagne.
Die Geschichte der Beziehungen zwischen Briten und der EU - nur die wichtigsten Punkte unten im Zeitraffer - wäre um eine Episode reicher. Und das Befolgen des eingangs erwähnten Rats hätte sich ausgezahlt. Plakate mit dem Spruch wurden vor dem Krieg übrigens gedruckt, aber nicht eingesetzt und erst viele Jahre später wieder entdeckt.
INVESTOR-INFO
BGF United Kingdom Fund
Britische Bluechips
Fondsmanager Nicholas Little investiert in britische Standardwerte. Größte Positionen sind zurzeit die Pharmafirma Astrazeneca, der Bergbaukonzern Rio Tinto und der Konsumgüterriese Reckitt Benckiser. Finanztitel sind gegenüber dem Index untergewichtet. Binnen zwölf Monaten legte der Blackrock-Fonds in Pfund um fünf Prozent zu, in Euro bleibt Anlegern ein Plus von 0,5 Prozent. Auch längerfristig einer der besten Fonds für Aktien von der Insel, das spiegelt sich in FondsNote 1.
Thread. Pan Europ. Sm. Cap Opp.
Europäische Nebenwerte
Die beiden Fondsmanager Philip Dicken und Mine Tezgul investieren in Nebenwerte aus Europa. Britische Firmen haben mit 23 Prozent zurzeit den größten Anteil, vor deutschen mit 18 und schwedischen Titeln mit elf Prozent. Zu den britischen Werten im Threadneedle Pan European Small Cap Opportunities zählen die Biotechfirma Genus, Küchenhändler Howden Joinery und Teppichhersteller Victoria. Der Note-1-Fonds ließ auf kurze wie lange Sicht die meisten Konkurrenten hinter sich.
GS Sterling Credit Portfolio
Pfundige Anleihen
Mit dem Fonds von Goldman Sachs nutzen Anleger das höhere Zinsniveau im Vereinigten Königreich, gehen aber ein Wechselkursrisiko ein. Managerin Sophia Ferguson investiert in Bonds, die von Unternehmen guter Bonität in Pfund begeben wurden. Deren Fälligkeitsrendite liegt im Schnitt bei 2,6 Prozent pro Jahr. Binnen zwölf Monaten brachte der Fonds in Pfund sieben, in Euro zwei Prozent.