Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, bestätigte jedoch den Durchbruch. "Ja, der weiße Rauch steigt auf. Wir haben positive Signale, dass es nach Wochen und Monaten der quälenden Debatten jetzt endlich zu einer Einigung kommt", sagte Weber am Dienstagabend in den ARD-"Tagesthemen". Man habe sich auf eine Übergangsphase verständigt, um Schaden für die Wirtschaft und EU-Bürger, die in Großbritannien leben, abzuwenden, erklärte der CSU-Politiker, der selbst nicht an den Verhandlungen teilgenommen hat.
Für eine Einigung sprach auch, dass in Brüssel für Mittwoch eine Sondersitzung der Botschafter der 27 bleibenden EU-Länder angesetzt wurde. Die Regierung in London hofft Berichten zufolge darauf, dass es noch im November zu einem Sondergipfel der Europäischen Union kommt.
Die eigentliche Hürde für ein Brexit-Abkommen dürfte aber im Parlament in London liegen. Dort formiert sich parteiübergreifend Widerstand. Abgeordnete der nordirischen DUP und Mays Konservativer Partei drohten damit, den Deal durchfallen zu lassen, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Auch die Opposition zeigte sich skeptisch.
Ex-Außenminister Boris Johnson und der einflussreiche Parlamentarier Jacob Rees-Mogg schäumten vor Wut. Sie warfen May in Interviews vor, sich Brüssel unterworfen zu haben. Überall im Londoner Regierungsviertel Whitehall seien die weißen Fahnen der Kapitulation gehisst worden, so Rees-Mogg.
Großbritannien lasse sich zum Vasallenstaat der EU degradieren und sei im Begriff, Dublin teilweise die Kontrolle über Nordirland auszuhändigen, schimpfte Johnson und kündigte an, gegen das Abkommen zu stimmen.
Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, teilte per Twitter mit, man werde sich den Text im Detail anschauen. Es sähe aber nicht nach einem guten Deal für Großbritannien aus.
Sollte die angekündigte Einigung im Parlament in Westminster keine Mehrheit finden, droht ein Austritt ohne Abkommen - mit chaotischen Folgen für alle Lebensbereiche. Zuerst wäre es aber wohl das Ende der Regierung May. Auch eine Neuwahl oder ein zweites Brexit-Referendum werden für diesen Fall nicht ausgeschlossen.
Großbritannien wird die EU am 29. März 2019 verlassen. Die Austrittsgespräche steckten bislang in einer Sackgasse. Am problematischsten ist die Frage, wie nach dem Brexit Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden können.
Die EU besteht auf einer Garantie, dass es keine Kontrollen geben wird. Der sogenannte Backstop stößt aber auf heftigen Widerstand bei den Brexit-Hardlinern in Mays Konservativer Partei und der DUP.
Nun haben sich beide Seiten wohl auf einen Kompromiss geeinigt. Medienberichten zufolge sieht der Plan vor, dass ganz Großbritannien im Notfall in der Europäischen Zollunion bleiben soll. Für Nordirland sollen demnach aber "tiefergehende" Bestimmungen gelten.
Weber, der auch Spitzenkandidat der EVP für die Europawahl im Frühjahr ist, zeigte sich erfreut, dass auch die lange umstrittene Frage geklärt sei, wie nach dem Brexit Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden können. Die EU hatte hier auf einer Garantie bestanden, dass es keine Kontrollen geben werde. "Das ist gelungen. Die nordirische Grenze wird nicht als harte Grenze eingerichtet", sagte Weber.
Im Parlament in London dürfte dieser Kompromiss jedoch auf Widerstand stoßen. Die Brexit-Hardliner bei den Konservativen fordern, dass der Backstop nur für eine begrenzte Zeit gelten darf. Die DUP sträubt sich gegen jegliche Sonderbehandlung Nordirlands. Der Entwurf des Brexit-Abkommens soll mehrere hundert Seiten umfassen.
Auch auf die Unterstützung der Brexit-Gegner in der Regierungspartei kann May keineswegs zählen. Ende vergangener Woche trat der Bruder von Boris Johnson, Jo Johnson, aus Protest gegen den Kurs der Regierung von seinem Posten als Verkehrsstaatssekretär zurück. Er setzt sich für den Verbleib in der EU ein und fordert eine zweite Abstimmung über den Brexit./cmy/DP/zb