Der erste britische Urnengang in einem Dezember seit fast 100 Jahren gilt als zweites Referendum über den Brexit. Umfragen sehen die Konservativen um Premierminister Boris Johnson zwar als Sieger, viele Börsianer zweifeln aber an der Korrektheit der Erhebungen.

"Wir gehen davon aus, dass Großbritannien die Europäische Union im Verlauf des nächsten Jahres formal verlassen wird", prognostiziert Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank. "Wir messen einem geregelten Austritt, der in einem Freihandelsabkommen münden wird, eine hohe Wahrscheinlichkeit bei."

Wegen des britischen Mehrheitswahlrechts sei aber nicht ausgeschlossen, dass es erneut keine klaren Mehrheiten gebe, warnt BayernLB-Analyst Manuel Andersch. Dann stünde man am 31. Januar zum dritten Mal vor einer "No Deal-Klippe", ergänzt er. Benjamin Melman, globaler Investmentchef beim Vermögensverwalter Edmond de Rothschild Asset Management, rechnet in diesem Fall mit einem erneuten Aufschub, um eine chaotischen EU-Ausstieg Großbritanniens zu verhindern.

Unabhängig davon sollen wenige Tage nach der "Brexmas"-Wahl die US-Strafzölle auf chinesische Waren verschärft werden. Börsianer rätseln angesichts widersprüchlicher Signale, ob es dazu kommt oder es einen Aufschub gibt, um das geplante Handelsabkommen unter Dach und Fach zu bringen. Dem Dax brockte diese Unsicherheit in der ablaufenden Woche ein Minus von bislang rund einem Prozent ein. Das ist der größte Verlust seit etwa zwei Monaten.

"Zwar wollen und brauchen sowohl die US-Regierung als auch Chinas kommunistische Partei den Deal, aber es wird auf den letzten Metern hart verhandelt", sagt Martin Lück, Chef-Anlagestratege für Deutschland, Österreich und Osteuropa beim weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock. US-Präsident Donald Trump sagte zuletzt, die Verhandlungen liefen gut.

SAUDI ARAMCO DRÄNGT AN DIE BÖRSE


Die "Brexmas"-Wahl und der Zollstreit drängen die Sitzungen der US-Notenbank Fed und der Europäischen Zentralbank (EZB) in den Hintergrund. Allerdings rechnen Experten ohnehin nicht mit Änderungen an der Geldpolitik. Fed-Chef Jerome Powell signalisierte unlängst, dass ein Haus die Füße vorerst still halten wolle. Für die neue EZB-Chefin Christine Lagarde ist es die erste Ratssitzung unter ihrer Leitung.

Vergleichsweise wenig Beachtung schenken Börsianer auch den anstehenden Konjunkturdaten wie den Inflationszahlen aus den USA (Mittwoch) und Deutschland (Donnerstag). Am Dienstag gibt der ZEW-Index Auskunft über die Stimmung der deutschen Börsenprofis.

Am Mittwoch richten Börsianer ihre Aufmerksamkeit auf die Börse in Riad. An diesem Tag soll der staatliche saudi-arabische Ölkonzern Aramco dort debütieren. Die Papiere werden den Angaben zufolge zu je 32 Rial (8,53 Dollar) zugeteilt. Mit einem Volumen gut von 25,6 Milliarden Dollar wäre es die weltweit größte Emission aller Zeiten. Mit einem Börsenwert von umgerechnet 1,7 Billionen Dollar löst Saudi Aramco den US-Computerriesen Apple als wertvollstes börsennotiertes Unternehmen der Welt ab.

Es bleibe aber abzuwarten, wie sich die Aktie entwickle, warnt Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com. Die Nachfrage von Anlegern aus der Region sei zwar gut, internationale Investoren hielten sich aber offenbar zurück. "Wenn man nur Öl-Dollar innerhalb der arabischen Staaten zirkuliert, wozu nutzt dann der Börsengang?"

rtr