"Das sind nichts anderes als gesunde Gewinnmitnahmen", sagte ein Börsianer. "Bei diesem wirtschaftlichen Umfeld ist es ohnehin ein Wunder, dass die Kurse auf diesem Niveau sind." Wegen der Rekord-Infektionszahlen werden die Rufe nach einem bundesweiten harten Lockdown lauter.

Ein weiterer Belastungsfaktor für die Aktienmärkte war die anhaltende Stärke des Euro. Der blieb mit 1,2123 Dollar in Reichweite seines Zweieinhalb-Jahres-Hochs vom Monatsanfang. Devisenanleger seien noch mit der Nachlese des EZB-Entscheids vom Donnerstag beschäftigt, sagte Portfoliomanager Andrew Mulliner vom Vermögensverwalter Janus Henderson. Die Aufstockung der Wertpapierkäufe sei im Rahmen der Erwartungen ausgefallen. Eine zusätzliche Ausweitung sei nicht in Sicht.

Staatsanleihen setzten ihren Höhenflug dennoch fort. Dadurch markierten die Renditen der zehnjährigen Titel aus Italien, Spanien und Portugal mit plus 0,499 Prozent, minus 0,001 Prozent und minus 0,041 Prozent erneute Rekordtiefs.

BREXIT-UHR TICKT IMMER LAUTER - WANN KOMMT US-HILFSPAKET?


Gleichzeitig läuft im Brexit-Streit die nächste Frist: Großbritannien und die EU wollen bis Sonntag über ein Freihandelsabkommen weiterverhandeln. Selbst wenn sie sich auf den letzten Drücker einigen sollten, drohe zum Jahreswechsel Chaos, warnte Commerzbank-Analystin Thu Lan Nguyen. "Den Unternehmen bleibt bereits jetzt zu wenig Zeit, ein neues Handelsabkommen umzusetzen." Ohne Einigung drohen zum Jahreswechsel gegenseitige Zölle und Verwerfungen für die Wirtschaft beiderseits des Ärmelkanals.

Vor diesem Hintergrund ziehen sich weitere Investoren aus dem Pfund Sterling zurück. Es verlor jeweils ein knappes Prozent auf 1,3171 Dollar beziehungsweise 1,0860 Euro.

Gleichzeitig gehe in den USA das Tauziehen um weitere staatliche Konjunkturhilfen weiter, monierte Anlagestratege Michael Hewson vom Brokerhaus CMC Markets. Weder die steigenden Arbeitslosenzahlen noch die Pandemie hätten die US-Kongressabgeordneten bislang dazu gebracht, sich zusammenzuraufen. "Es ist schwierig, sich vorzustellen, was es dazu bräuchte."

CORONA-PROFITEUERE WIEDER GEFRAGT


Am Aktienmarkt griffen Investoren wieder bei denjenigen Werten zu, die als Profiteure der Beschränkung des öffentlichen Lebens gelten. So gewannen die Titel des Essenslieferanten Delivery Hero 0,8 Prozent. Die Papiere des Kochbox-Versenders HelloFresh kletterten sogar um bis zu neun Prozent auf ein Rekordhoch von 62,85 Euro. Shop Apotheke rückten 2,4 Prozent vor.

Gefragt war auch BioNTech, nachdem der Coronavirus-Impfstoff des Mainzer Unternehmens eine wichtige Hürde auf dem Weg zu einer Zulassung in den USA genommen hatte. Dem US-Gesundheitminister könnten die ersten Amerikaner bereits Montag oder Dienstag geimpft werden. BioNTech-Aktien legten zeitweise 3,4 Prozent zu und stellten mit 108,90 Euro ihr Rekordhoch vom Monatsbeginn ein. Der Entwicklungspartner Pfizer gewann im vorbörslichen US-Geschäft 2,3 Prozent.

In Stockholm brachen die Papiere von Ericsson dagegen um fast sechs Prozent ein. Der Netzwerk-Ausrüster verklagt den südkoreanischen Elektronik-Konzern Samsung wegen eines Streits um Lizenzzahlungen. Daraus resultierende verzögerte Einnahmen aus Patentnutzung sowie Gerichtskosten könnten den operativen Gewinn den Angaben zufolge vierteljährlich um umgerechnet bis zu 146 Millionen Euro schmälern. Ein ähnlicher Streit der beiden Firmen aus dem Jahr 2012 wurde nach zwei Jahren beigelegt.

rtr