Da die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins wie erwartet nicht antastete, werden Börsianer die Worte Lagardes auf die Goldwaage legen. Für eine Ausweitung der Wertpapierkäufe sei es noch zu früh, sagte Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com. Schließlich sei das bisherige Volumen von 1,35 Billionen Euro bei weitem noch nicht ausgeschöpft. "Lagarde könnte diese Summe aber zur Zielmarke statt zur Obergrenze deklarieren."
Wegen der fallenden Preise in der Euro-Zone und der Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Erholung durch die Euro-Stärke müsse die EZB-Chefin einen Drahtseilakt vollführen, sagte Anlagestratege Michael Hewson vom Brokerhaus CMC Markets. "Daher wäre es für die Märkte extrem hilfreich, wenn jemand wie EZB-Chefvolkswirt Philip Lane diese Themen anspricht, um daraus die Intentionen der Notenbank abzuleiten."
Die Gemeinschaftswährung verteuerte sich in den vergangenen Monaten um etwa zehn Prozent und kostete am Donnerstag 1,1837 Dollar. Dies schmälert die Wettbewerbschancen heimischer Firmen auf dem Weltmarkt.
BREXIT-VERHANDLUNGEN WEITER AUF DER KIPPE
Daneben richteten Investoren ihre Aufmerksamkeit auf ein Krisentreffen in der Brexit-Saga. Dort soll der Streit um ein Gesetz beigelegt werden, mit dem der britische Premierminister Boris Johnson Teile des Brexit-Vertrages aushebeln will. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass es viel hilft - was soll denn jetzt noch an substanziellen Einigungen rauskommen?", fragte Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann. "Anstatt kurz vor Toresschluss Wille zum Kompromiss zu zeigen, fährt Johnson immer schärfere Geschütze auf und gräbt sich noch tiefer in seine Position ein."
Ohne eine Einigung bis zum Jahresende droht ein ungeordneter Ausstieg Großbritanniens aus der EU, der Experten zufolge die Wirtschaft beiderseits des Ärmelkanals belasten würde. Vor diesem Hintergrund fiel das Pfund Sterling um jeweils etwa ein halbes Prozent auf 1,2960 Dollar und 1,0949 Euro.
Unter Druck geriet auch der Ölpreis. Die Sorte Brent aus der Nordsee verbilligte sich um gut ein Prozent auf 40,32 Dollar je Barrel (159 Liter). Auslöser der Verkäufe sei der überraschende Anstieg der US-Lagerbestände, schrieben die Analysten der ING Bank.
BRITISH AIRWAYS-MUTTER IAG NACH KAPITALERHÖHUNG TIEFER
Bei den Aktienwerten rückte IAG ins Rampenlicht. Die Aktien der British Airways-Mutter fielen wegen einer umgerechnet 2,75 Milliarden Euro schweren Kapitalerhöhung um knapp zwei Prozent. Außerdem senkte die Fluggesellschaft ähnlich wie einige Konkurrenten zuvor ihre Geschäftsziele für 2020. "Die Zeichen für eine stockende Erholung der Reisetätigkeit sind eindeutig", kommentierte Analyst Gerald Khoo von der Investmentbank Liberum. "Daher ist die Kapitalerhöhung ein kluger Schritt. Sie signalisiert aber auch einen sehr schwierigen Ausblick für den Winter."
In Deutschland gehörten die Titel von Rheinmetall mit einem Kursplus von 2,7 Prozent zu den Favoriten. Der Rüstungskonzern ergatterte einen milliardenschweren Auftrag zur Lieferung von Schützenpanzern und Unterstützungsfahrzeugen an Ungarn.
rtr