Skandale können politische Karrieren befördern. Diese Erfahrung macht auch ein grüner Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg, den bis dahin in Berlin nur wenige auf dem Schirm hatten, obwohl er für einen Grünen eine ungewöhnliche berufliche Laufbahn vorzuweisen hat. Danyal Bayaz, promovierter Absolvent des Studiengangs Politik und Wirtschaft und in wenigen Wochen 37 Jahre alt, verdiente vor seinem Einzug in den Bundestag sein Geld als gut bezahlter Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group in Stuttgart, zuletzt als Projektleiter. Finanziell verschlechterte er sich mit den Diäten eines Abgeordneten.
Mit dem gigantischen Betrugsskandal des im DAX notierten Finanzdienstleisters Wirecard geriet Bayaz in wenigen Monaten zu einer Marke im politischen Berlin. Mit mündlichen und schriftlichen Fragen bombardierte das Finanzausschussmitglied die Bundesregierung über den Sommer, machte auch mit seinen Redebeiträgen im Parlament und vor den Kameras "bella figura".
Weil er für die Grünen wochenlang den Spannungsbogen aufrechterhielt, ob seine Fraktion der FDP- und Linksfraktion-Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss folgt, stand auch er persönlich im Fokus. Ihm ist zu verdanken, dass die Öffentlichkeit erfahren hat, dass die Mitarbeiter des Bundesamtes für Finanzaufsicht (Bafin) im vergangenen Jahr privat vor allem mit der Wirecard- Aktie handelten, statt dienstlich den Manipulationsvorwürfen gegen das Unternehmen nachzugehen.
Bayaz, bekennender Fan des konservativ-grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, leitet auch den Wirtschaftsbeirat der Grünen, in dem sich DAX-Vorstandsvorsitzende, Mittelständler und Verbandsvertreter zwei- bis dreimal im Jahr treffen. Er beerbte in dieser Funktion die aus dem Parlament in den Verbandslobbyismus gewechselte Kerstin Andreae. Zugeschalteter Referent bei der letzten virtuellen Sitzung des Wirtschaftsbeirats in der vorigen Woche war: Kretschmann.
Privat lebt Bayaz, in Heidelberg geborener Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters, übrigens auch in einer "politischen" Liaison. Seine Partnerin ist die Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag, Katharina Schulze.
€uro am Sonntag: Sie haben Ihre Rolle als Aufklärer im Wirecard-Skandal gefunden. Sie werden sicher für Ihre Fraktion eine federführende Rolle im parlamentarischen Untersuchungsausschuss übernehmen, dessen förmliche Einsetzung der Bundestag voraussichtlich in der nächsten Sitzungswoche beschließen wird?
Danyal Bayaz: Es ist noch nicht klar, wie groß der Untersuchungsausschuss sein wird, aber ich werde die federführende Rolle für meine Fraktion übernehmen.
Die Grünen zierten sich lange, bis sie ebenfalls - wie zuvor schon die Linksfraktion und die FDP - Ja zu einem U-Ausschuss sagten. Wollte man da eine rot-grün-rote Machtoption bei der Bundestagswahl 2021 nicht gefährden?
Nein, außerdem haben sich Verantwortungsträger aller Regierungsparteien nicht gerade mit Ruhm bekleckert, nicht nur die SPD und Olaf Scholz. Neben dem Finanzministerium hat man auch im Wirtschaftsministerium oder im Kanzleramt zumindest leichtfertig agiert. Die Grünen haben das Wirecard-Thema vor der Sommerpause mit einer Aktuellen Stunde ins Parlament geholt. Über den Sommer haben wir der Regierung die Gelegenheit gegeben, mehrere Fragenkataloge zu beantworten. Es ist auch üblich, dass erst einmal Sondersitzungen stattfinden, bevor man einen Untersuchungsausschuss beschließt. Der Bundesfinanzminister hat ja früh gesagt, er möchte sich an die Spitze der Aufklärung setzen.
Und - hat er?
Die Antworten der Regierung in Sondersitzungen des Finanzausschusses und auf unsere schriftlichen Anfragen haben den Eindruck vermittelt, dass die Regierung nicht glaubwürdig und ernsthaft aufklärt. Das Fass zum Überlaufen brachte für mich die ausweichende Antwort der Regierung auf meine Frage nach den Compliance-Regeln in der Bundesanstalt für Finanzaufsicht (Bafin).
Sie fassten dann nach. So wurde ruchbar, dass die privat meistgehandelte Aktie von Bafin-Mitarbeitern im vergangenen Jahr Wirecard war. Ein klassischer Interessenkonflikt, wenn das Personal der Aufsicht mit Aktien spekuliert, statt den öffentlich erhobenen Manipulationsvorwürfen gegen die beaufsichtigte Firma nachzugehen.
In der Tat fühlte ich mich vom Finanzministerium hinters Licht geführt. Im Interesse der Anleger und im Interesse der Seriosität des Finanzplatzes Deutschland ist hier eine transparente Aufklärung notwendig, um für die Zukunft solche skandalösen Betrügereien wie bei Wirecard zu verhindern. Dass der Untersuchungsausschuss ein Politikum werden kann, ist angesichts der handelnden Personen und der Bundestagswahl 2021 nicht ausgeschlossen. Dass die SPD kurz zuvor Finanzminister Scholz als ihren Kanzlerkandidaten nominiert hat, kann aber nicht mein Problem sein.
Die FDP-Bundestagsfraktion twitterte nach der Entscheidung für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses eine Fotomontage mit Ihnen, dem Kollegen der Linksfraktion Fabio De Masi und Florian Toncar von der FDP unter dem launigen Titel: "Die drei Musketiere vs. Olaf Scholz".
Das ist zwar ein bisschen Polit-Show, aber dennoch bemerkenswert. Es kommt nicht so oft vor, dass ein Politiker der Linken und der Grünen in der Öffentlichkeitsarbeit der FDP positiv konnotiert wird. Die demokratische Opposition im Bundestag hat in den vergangenen Wochen in Sachen Wirecard ihre Arbeit gemacht. Wir haben uns da auch eng abgestimmt mit den Kollegen der Linksfraktion und FDP, kompetente Leute, die mit uns im Untersuchungsausschuss gewiss auch maßgebliche Treiber der Aufklärung sein werden.
Der AfD steht nach dem Verteilungsschlüssel der Zugriff auf den Ausschussvorsitz zu. Werden Sie für einen AfD-Ausschussvorsitzenden votieren?
Ich mache keine Freudensprünge, dass dieser Ausschussvorsitz an die AfD fallen soll. Ich hatte in den vergangenen Wochen auch nicht den Eindruck, dass die AfD-Kollegen darauf erpicht sind, diesen Skandal aufzuklären. Erst jetzt, da der Ausschussvorsitz ein Thema wird, wird die AfD laut. Doch an dieser Personalfrage darf die Aufklärung im Untersuchungsausschuss gewiss nicht scheitern.
Wählen Sie einen AfD-Politiker zum Ausschussvorsitzenden?
Das ist eine Personenwahl und da lass ich mir nicht das demokratische Recht nehmen, mit Nein zu stimmen. Ich muss mein Abstimmungsverhalten auch mit meinem Gewissen vereinbaren können, da lässt die AfD nicht viel Spielraum. Auch bei der Wahl der Bundestagsvizepräsidenten habe ich aus diesem Grund gegen die AfD-Kandidatinnen und -Kandidaten gestimmt.
Thema "Grüne und Wirtschaft". Sie waren vor Ihrer Abgeordnetenzeit Unternehmensberater, haben bei der Boston Consulting Group besser verdient als jetzt. In der Grünen-Fraktion haben nicht die Realpolitiker die Mehrheit, sondern eher links gestrickte Kolleginnen und Kollegen, die vor allem zum Staatsdirigismus neigen und wenig Vertrauen in die Marktwirtschaft haben.
Als Partei haben wir den Anspruch, die Breite unserer Gesellschaft abzubilden. Ich möchte gern eine Brücke schlagen vom Porsche-Mitarbeiter in Zuffenhausen bis hin zum Jugendlichen, der für Fridays for Future auf die Straße geht. Das ist nicht einfach, und das Spannungsverhältnis drückt sich auch in den unterschiedlichen Strömungen unserer Partei aus. Doch gegenüber früheren Zeiten hat die Flügel-Logik bei den Grünen gerade auch in der Wirtschaftspolitik an Relevanz verloren.
Was sind die Gründe dafür?
Nicht nur wir als Partei, sondern auch die Unternehmen im Land haben mittlerweile verstanden, dass wir gegenseitig auch eine gewisse Partnerschaft brauchen. Wenn es darum geht, Ziele wie soziale Gerechtigkeit, nachhaltiges Wachstum und Lebensqualität zu verwirklichen, dann sind Unternehmen und ihre Beschäftigten ein entscheidender Partner. Wenn die Wirtschaft ihren Beitrag nicht leistet, dann schaffen wir das alles nicht. Und verkompliziert wird das Ganze übrigens noch dadurch, dass auch Unternehmen unterschiedliche Interessen haben, immer mehr sehen ja in ambitionierten Zielen und Vorgaben einen Wettbewerbsvorteil. Ich habe schon den Eindruck, dass wir Grünen inzwischen einen selbstverständlicheren Umgang mit Unternehmen pflegen. Dazu tragen viele entscheidend bei, ein Winfried Kretschmann genauso wie unsere Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck.
In der Corona-Rezession scheint Geld für die Bundesregierung keine Rolle mehr zu spielen. Es wird geaast, als ob es kein Morgen gäbe. Von den Grünen vernimmt man kaum eine Kritik, obwohl ihre zahlreichen jungen Wähler die Zeche bezahlen werden. Über Generationengerechtigkeit spricht die Nachhaltigkeitspartei kaum mehr.
Ja, wir nehmen gerade viel Geld in die Hand: Kurzarbeitergeld, KfW-Kredite, Direkthilfen. Ich sehe in dieser besonderen Situation aber keine bessere Alternative. Diese Politik muss zwar eine schwarz-rote Bundesregierung verantworten, doch auch wir Grüne haben viele Aspekte mitgetragen. Wir hoffen jetzt auf einen V-Verlauf in der Konjunkturentwicklung. Doch das ist alles andere als klar. Sollte im Herbst oder Winter eine zweite Welle aufflammen, dann werden wir nochmals aktiv gegensteuern müssen. Aber natürlich treibt uns auch um, ob wir nur den Status quo schützen oder auch etwas für die Zukunft tun.
Wie passt in diesen Zusammenhang die Mehrwertsteuersenkung?
Die Mehrwertsteuersenkung, die mehr als 20 Milliarden Euro Steuerausfälle kostet, ist in diesem Kontext mehr als fraglich: Befeuert sie den Konsum tatsächlich oder bewirkt sie am Jahresanfang, wenn sie wieder erhöht wird, psychologisch sogar eher das Gegenteil? Für die Zukunft der jungen Menschen, für Zukunftstechnologien oder für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft hat sie jedenfalls keinen Effekt. Und bei Innovation spielt nun mal die Musik, wenn man auch morgen noch wirtschaftlich erfolgreich sein will.
Der Bundesfinanzminister will die Schuldenregel im Grundgesetz auch 2021 aussetzen, um 100 Milliarden Euro neue Kredite aufnehmen zu können. Wie stehen Sie dazu?
Vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit halte ich die Schuldenbremse grundsätzlich für eine gute Errungenschaft. Doch wir sollten sie weiterentwickeln. Es macht einen Unterschied, ob Schulden in den Konsum oder in Investitionen zur Vermögensbildung fließen. Gerade jetzt, in der historischen Niedrigzinsphase, sollte der Staat für Zukunftsinvestitionen Geld in die Hand nehmen. Generationengerechtigkeit misst sich am Ende nicht nur an der Frage, wie viel Schulden wir der jungen Generation hinterlassen. Sondern auch daran, ob sie ein gutes Bildungssystem und eine funktionierende Infrastruktur vorfindet und die Möglichkeit hat, Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz oder Wasserstoff zu nutzen und weiterzuentwickeln.
Vita:
Grüner Wirtschaftsexperte
Danyal Bayaz wurde 1983 als Kind einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters in Heidelberg geboren. Nach seinem Abitur studierte er Politik und Wirtschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim, später promovierte er über Finanzmärkte. Von 2013 bis 2017 war Bayaz als Berater für die globale Strategieberatung Boston Consulting Group tätig, zuletzt als Projektleiter. Bayaz trat 2005 den Grünen in Baden- Württemberg bei. Bayaz ist im 19. Bundestag ordentliches Mitglied im Finanzausschuss, stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss, im Ausschuss Digitale Agenda sowie in der Enquete-Kommission für Künstliche Intelligenz. Innerhalb der grünen Bundestagsfraktion ist er für den Themenbereich Start-up-Unternehmen zuständig und leitet den Wirtschaftsbeirat.