Sewing wird der jüngste Vorstandschef in der fast 150-jährigen Geschichte des einstigen deutschen Vorzeige-Instituts und der erste der Nachkriegszeit, der seine Wurzeln im weniger glamourösen Privatkundengeschäft hat. Der Westfale verbrachte fast seine gesamte Karriere bei der Deutschen Bank. Er gilt dort als bestens vernetzt, als Chef der internen Revision und Risikomanager hatte er während seiner Laufbahn auch Gelegenheit den Investmentbankern auf die Finger zu schauen.
"Christian Sewing hat in seinen mehr als 25 Jahren bei der Deutschen Bank konstant bewiesen, dass er führungsstark ist und eine große Durchsetzungskraft hat", erklärte Aufsichtsratschef Achleitner nach der rund vierstündigen Sitzung des Kontrollgremiums. "Der Aufsichtsrat ist überzeugt, dass es ihm und seinem Team gelingen wird, die Deutsche Bank erfolgreich in eine neue Ära zu führen. Wir setzen auf die innere Kraft unserer Bank, auf die vielen großen Talente, die wir haben."
NEUE FÜHRUNG
Mit der Berufung von Sewing und dem Abgang Cryans wird auch die übrige Führungsstruktur der Bank verändert. Unterhalb von Sewing werden Rechts- und Personalvorstand Karl von Rohr und Garth Ritchie, bislang Co-Chef und künftig alleiniger Leiter der Investment- und Firmenkundenbank, zu stellvertretenden Vorstandschefs befördert. Postbank-Chef Frank Strauß übernimmt von Sewing die Leitung des Privatkundengeschäfts alleine, das er bislang gemeinsam mit dem neuen Bankchef verantwortete. Marcus Schenck, der bislang gemeinsam mit Sewing Stellvertreter Cryans und gemeinsam mit Ritchie Chef der Investmentbank war, verlässt das Institut.
Schenck habe für eine Position innerhalb der neuen Führung nicht zur Verfügung gestanden, erklärte Achleitner. Er habe den Aufsichtsrat bereits vor Ostern darüber informiert, dass er zur Hauptversammlung am 24. Mai aus der Bank ausscheiden wolle.
Der Wechsel an der Spitze hatte sich in den vergangenen zwei Wochen abgezeichnet, nachdem Cryan nach einer neuerlichen Gewinnwarnung und einem Absturz des Aktienkurses immer mehr unter Druck geraten war. Vor Ostern war dann bekanntgeworden, dass Achleitner nach einem Nachfolger für Cryan sucht. Cryan hatte danach zwar bekräftigt, er wolle bleiben. Rückendeckung aus dem Aufsichtsrat oder von Achleitner persönlich hatte er jedoch nicht bekommen. Nun wird die Bank Ende des Monats verlassen.
"Trotz seiner relativ kurzen Amtszeit als Vorstandsvorsitzender hat John Cryan eine wichtige Rolle in der fast 150-jährigen Geschichte der Deutschen Bank gespielt und Weichen für eine erfolgreichere Zukunft des Hauses gestellt", erklärte Achleitner. "Der Aufsichtsrat ist nach einer umfassenden Analyse aber zum Schluss gekommen, dass es nun eine neue Umsetzungskraft in der Führung unserer Bank braucht."
HERKULESAUFGABE
Auf Sewing wartet nun eine Herkulesaufgabe. Nach drei Verlustjahren in Folge wird von dem neuen Mann an der Spitze nicht weniger erwartet als die Quadratur des Kreises: Er muss nicht nur das schwächelnde Investmentbanking in den Griff bekommen, sondern auch die Integration der Postbank in den Gesamtkonzern vorantreiben.
Sewing erbt von Cryan eine verunsicherte Bank, deren Mitarbeiter und Aktionäre mehrere Wechsel der Strategie hinter sich haben. Im Vergleich zur Konkurrenz steht die Bank in vielen Bereichen schwächer da als vor der Finanzkrise. Die großen Wall-Street-Häuser etwa sind dem Institut im prestige- und gewinnträchtigen Investmentbanking weit enteilt. Die IT, heutzutage von besonderer Bedeutung für die Leistungsfähigkeit eines modernen Kreditinstituts, gilt nach jahrelangen Sparrunden als überaltert und sanierungsbedürftig.
Investoren äußerten sich in ersten Reaktionen zurückhaltend zu der Personalrochade: "Die Deutsche Bank sollte jetzt die Chance nutzen, ihre Strategie noch einmal auf den Prüfstand zu stellen", sagte Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment, einem der größeren Aktionäre der Bank. "Insbesondere im Investmentbanking gibt es Anpassungsbedarf, eine stärkere Fokussierung ist dort unvermeidlich."
Von einem der Großaktionäre, der nicht direkt zitiert werden wollte, hieß es, Sewing habe zwar das Zeug zu einem ordentlichen Vorstandschef, wichtiger sei es jedoch, dass das Strategieproblem der Bank endlich gelöst werde. Nach zwei Führungswechseln in nur sechs Jahren gilt inzwischen auch Aufsichtsratschef Achleitner als angeschlagen - schließlich steht er schon seit 2012 an der Spitze des Kontrollgremiums und trägt damit Mitverantwortung für die mehrfachen strategischen und personellen Kurswechsel.
rtr