Anleger können nach den jüngsten Entscheidungen der US-Notenbank Fed und der Europäischen Zentralbank (EZB) zwar mit einer gelockerten Geldpolitik rechnen - das stützt grundsätzlich auch den Aktienmarkt. Wegen des Handelskonflikts und steigender Konjunkturrisiken wächst dort aber gleichzeitig die Gefahr von Korrekturen.

Die Fed hatte bereits am Dienstag angesichts des Zollstreits und der möglichen Belastungen für die Wirtschaft eine Leitzinssenkung ins Spiel gebracht. Marktteilnehmer erwarten nun bis Jahresende bis zu zwei Zinssenkungen, nachdem sie noch bis vor Kurzem von einer weiteren geldpolitischen Straffung ausgegangen waren.

Die EZB wiederum hat wegen zahlreicher Konjunkturrisiken eine mögliche Zinswende bis weit ins Jahr 2020 verschoben. Die Leitzinsen sollen demnach bis mindestens Ende des ersten Halbjahres 2020 nicht angetastet werden. Bislang galt dies bis zum Ende des laufenden Jahres. Seit Jahren liegt der Hauptrefinanzierungssatz bei null Prozent, der Einlagenzinssatz bei minus 0,4 Prozent. Der scheidende EZB-Chef Mario Draghi stellte weitere Zinssenkungen oder eine Wiederaufnahme der Anleihenkäufe in Aussicht.

"Die expansive Geldpolitik treibt zwar prinzipiell den Markt an", erläuterte Donner & Reuschel-Chefvolkswirt Carsten Mumm die derzeitige Lage. "Die negative Reaktion der Börsen direkt nach der EZB-Pressekonferenz zeigte jedoch bereits ein Problem: Wenn die EZB die hochgesteckten Erwartungen der Marktteilnehmer nicht erfüllt, kann der positive Effekt verpuffen."

Gewinne der DAX-Konzerne unter Druck


Zudem spiele der Handelskonflikt eine entscheidende Rolle. Eine weitere Eskalation könne die Konjunktur in Deutschland vollends abwürgen, befürchtet Mumm. "Dann würden auch die Aktienmärkte erst einmal weiter korrigieren."

Am Freitag gab es andere negative Konjunkturdaten. So hat die Bundesbank ihre Wachstumsprognosen für Deutschland gesenkt. Für 2019 erwartet sie nur noch einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 0,6 (bisher: 1,6) Prozent. Für das kommende Jahr rechnen die Experten mit einem Plus von 1,2 (bisher: 1,6) Prozent. Auch die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts zu Exporten und Produktion im April schürten unter Ökonomen die Sorge vor einem deutlichen Rückschlag im zweiten Quartal.

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer rechnet vor diesem Hintergrund in den kommenden Monaten mit enttäuschenden Unternehmenszahlen und starken Schwankungen an den Aktienmärkten. "Die DAX-Unternehmen werden ihre Gewinne in diesem Jahr nicht - wie von den Analysten bislang noch erwartet - um sieben Prozent steigern. Stattdessen ist wegen der schwachen Konjunktur eine schwarze Null wahrscheinlicher."

Gleichzeitig habe die erwartete deutliche Lockerung der Geldpolitik der Fed und der EZB die Anleiherenditen massiv gesenkt. "Im Vergleich dazu erscheinen Aktien attraktiver, ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis dürfte tendenziell zulegen", erwartet Krämer. "Alles in allem dürfte der DAX nicht massiv einbrechen; stattdessen dürfte es zumindest bis zum Jahresende bei der Schaukelbörse bleiben."

Anleihenrendite: Rekordtief


Die Aussicht auf weiter niedrige Leitzinsen hat vergangene Woche die Kurse am Anleihenmarkt nach oben getrieben. Spiegelbildlich markierte die Rendite der richtungweisenden zehnjährigen Bundesanleihe am Donnerstag mit zeitweise minus 0,2418 Prozent einen neuen historischen Tiefstand. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen gilt als wichtiger Orientierungswert für die Kapitalmarktzinsen in Deutschland. Schon seit Mai liegt dieser Wert wieder im negativen Bereich, wie zuvor schon im Jahr 2016, als die Rendite ihren Tiefstand bei minus 0,205 Prozent erreichte. Im Lauf der vergangenen Woche sackte der Wert von Tag zu Tag weiter ab.